Warum Labinot Nikqi diesen Ort liebt? Vielleicht ist es der Duft von frischgemähtem Gras, vielleicht ist es die Geräuschkulisse, die sich im Rund des Singener Hardt-Stadions aus Jubel, Schimpfwörtern und Alltagsplaudereien zusammensetzt – wenn mal wieder gespielt werden darf. Sicher sind es die Menschen, die Freunde, die er hier trifft. Wahrscheinlich ist es noch vieles mehr. So richtig erklären kann er es selbst nicht. Es hat sicher auch mit Peja zu tun, jenem Ort, an dem er vor 42 Jahren geboren wurde. Hier, im Westen des Kosovos, waren und sind die meisten Menschen arbeitslos und die „Plätze, wo Fußball gespielt wird, sind eigentlich stets voller Matsch“.
Zumindest hat es „Labi“ so in Erinnerung behalten. Mit zwölf Jahren verließ die Familie nach dem Zerfall Jugoslawiens die alte Heimat, Nikqi folgte mit seiner Mutter und den acht Geschwistern dem Vater nach Deutschland, der damals als Gastarbeiter in Karlsruhe lebte. Wie es ihm damals ging, wie er sich fühlte? Als Teenager, angekommen in einem unbekannten Land, ohne Deutschkenntnisse? „Schwer war es“, sagt Nikqi. Dann schweigt er am Telefon, während wahrscheinlich einige alte Bilder und Gefühle im Langzeitgedächtnis aufploppen.
Es ist ein Frühlingstag, einer der ersten in diesem Jahr, von dem man wegen der Corona-Pandemie noch nicht so richtig weiß, was man mit ihm anfangen soll. Für Nikqi, den Fußball-Abteilungsleiter, waren die vergangenen Monate ein einziges Auf und Ab. Auf den sportliche Höhenflug folgte der Corona-Lockdown verbunden mit der Sorge, als Zweiter bei einem erneuten Saisonabbruch den anvisierten Aufstieg in die Bezirksliga zu verpassen. Für Nikqi, den Unternehmer, waren es Monate, wie er sie sich wohl kaum besser hätte vorstellen können. Seine Baufirma ist ausgebucht, neue Aufträge können derzeit nicht angenommen werden, er und seine drei Mitarbeiter kommen kaum nach mit der Arbeit, die es zusammen mit 28 Angestellten in Sub-Unternehmen zu bewältigen gilt.
„Mir geht es gut“, sagt „Labi“ daher auch. Noch besser ging es ihm, wenn bald auch wieder Fußball gespielt werden könnte. Der Familienvater spielte einst selbst einige Jahre Fußball in der Jugend des VfR Stockach. „Aber nicht besonders gut“, sagt Nikqi. Er lacht. Fehlendes Talent macht er damals mit Begeisterung wett. Zumindest so lange, bis Meniskusprobleme jedes Spiel zur Qual machen. „Ich schaue seither lieber zu“, erklärt der 42-Jährige.
Ein Spielmacher ist er dennoch, eben einer, ohne den es viele Sportler schwerer hätten, ihrem Hobby nachzugehen. Nicht nur in Singen übrigens, denn als Sponsor unterstützt er nach eigener Aussage ein halbes Dutzend Clubs im Hegau und auf der Höri. Mal spendet er 500, mal 1500 Euro. Für Trikotsätze, Anzüge – solche Dinge eben. Dafür hängen die Banner seiner Baufirma dann am Spielfeldrand. „Ich möchte helfen. Und ich tue das, weil ich es kann“, sagt „Labi“. So einfach sei das. Außerdem kenne er jeden in der Szene, und wenn gute Freunde um Hilfe bitten, könne man ja auch nicht „Nein“ sagen.
Ist da Schwarzgeld im Spiel?
Bauunternehmer, Fußball-Abteilungsleiter – das klingt irgendwie nach Schwarzgeld, oder? „Nein“, widerspricht Nikqi. „Ganz und gar nicht. Die Leute stellen sich das immer so vor, aber in führe ein seriöses Unternehmer, da geht so was nicht. Bei uns bekommen die Spieler einen Fahrgeldzuschuss, mehr nicht.“ Mehr nicht? Kickschuhe habe er obendrein mal einem Kicker geschenkt, weil der keine Kohle hatte. Aber mehr wirklich nicht. Und warum gelingt es den Südsternen nach dem Niedergang in der jüngeren Vergangenheit, seit zwei Jahren wieder gute Spieler in den Traditionsclub zu locken? „Weil wir hier eine Gemeinschaft sind“, sagt Nikqi. „Weil wir hier was aufbauen wollen.“ Irgendwie war dieser Verein zuletzt auch ein Synonym seines eigenen Lebenswegs. Auf die Schulzeit folgten Lehrjahre als Zimmermann, später arbeitete er als Fensterbauer, Küchenmonteur und Türsteher. Mit der eigenen Baufirma erfüllte er sich dann einen Lebenstraum.
Die Südsterne standen vor drei Jahren vor dem Aus. Die wichtigsten Spieler hatten den Club verlassen, um überhaupt eine Mannschaft zusammenzubekommen wurden sogar Anfänger ins Trikot gesteckt. Und Labinot Nikqi übernahm Verantwortung. Stück für Stück geht es seither wieder bergauf, inzwischen sorgen 26 Sponsoren für Optimismus. Auch bei „Labi“, der von dem Aufstieg in die Bezirksliga träumt.
Die großen Träume von der Oberliga
Und von mehr. Nein, eigentlich will er damit gar nicht rausrücken, auf mehrmalige Nachfrage verrät er dann doch die Vision, die ihn manchmal zwischen „Augen zu“ und Tiefschlaf überkommt. „Irgendwann einmal mit Südstern in der Oberliga zu spielen.“
Das ist natürlich Unfug. Illusorisch. Das kann nicht funktionieren. Da sind schon ganz andere daran gescheitert.
Vielleicht gehören Träume aber auch einfach dazu. Wie der eines Jungen aus dem Kosovo, der sich einst eine Zukunft in Deutschland erhoffte. Und von Fußball auf Plätzen ohne Matsch träumte.