„Wir wollen nicht mit dem Finger zeigen, sondern tatsächlich diskutieren.“ So hatte der Bosporus FC Friedlingen seine Online-Podiumsdiskussion angekündigt. Über „Rassismus, Sucht und Gewalt im Amateurfußball“ diskutierten Vereinsvorsitzender Teberdar Yildirim, Sportlicher Leiter Riza Bilici, Sportrichter Werner Bolte (Hauingen) sowie BFC-Jugendschirmherr Josha Frey (Bündnis 90/Die Grünen). Moderiert wurde die Veranstaltung, an der sich über 50 Teilnehmer zuschalteten, von Stefan Walzer, dem Marketing-Leiter des Vereins.

Wohltuend die Sachlichkeit der Diskussion und vor allem die Tatsache, dass nicht Fälle aus dem Bezirk Hochrhein in der Vergangenheit wieder „hochgekocht“ wurden.

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Sportchef Riza Bilici, der selbst über 30 Jahre lang Fußball gespielt hat, wollte die Situation nicht beschönigen: „Die rassistischen Vorfälle im Fußball haben in den vergangenen Jahren zugenommen. Es ist derber und extremer geworden“, so sein Eindruck. Das lasse sich allerdings nicht in Strafen und Urteilen festmachen, relativierte Werner Bolte, der Vorsitzende des Bezirkssportgerichts des Südbadischen Fußballverbands. „Wir hatten in den vergangenen zwei kompletten Spielzeiten im Bezirk Hochrhein nur zwei Urteile wegen rassistischen Verstößen“, sagte er.

Bolte musste aber auch zugeben, dass Urteile auf den Berichten der Schiedsrichter fußen, der Unparteiische aber oft nicht das wahrnehme, was abseits des Spielfelds geschehe. Entgleisungen kämen in der Regel von außen: „Zuschauer – mit der Bierflasche in der Hand“ provozieren Spieler. Das sei, so der Sportrichter, oft der Anfang für aggressive und rassistische Entgleisungen.

Werner Bolte, Vorsitzender Bezirkssportgericht: „Es gibt keinen flächendeckenden Rassismus im Fußballbezirk Hochrhein.“
Werner Bolte, Vorsitzender Bezirkssportgericht: „Es gibt keinen flächendeckenden Rassismus im Fußballbezirk Hochrhein.“ | Bild: Scheibengruber, Matthias

Bolte hat aber nicht den Eindruck, dass sich auf dem Platz in jüngster Vergangenheit vieles zum Negativen geändert habe: „Als ich 20 war, also vor 47 Jahren, und selbst in meiner Heimat in Nordrhein-Westfalen gekickt habe, traf es oft die italienischen Gegenspieler. Da fielen Ausdrücke wie Spaghettifresser.“ Was sich verändert habe, ist, dass das Aufsticheln subtiler geworden sei. Man provoziere, um den Gegner aus der Reserve zu locken, damit er eine schwächere Leistung zeige. Bolte: „Es gibt keinen flächendeckenden Rassismus im Fußballbezirk Hochrhein.“

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Der Fußballer im Trikot sei also nicht zwingend ein Rassist. Wenn der Rassismus aber von außen geschürt werde, sei es Aufgabe des Vereins, Zeichen zu setzen, indem er sein Hausrecht ausübe und Täter, auch wenn sie zu den großen Fans des Vereins zählen, Platzverbot erteile. Einig waren sich die Teilnehmer darin, dass es dafür einer großen Portion Zivilcourage bedürfe.

Riza Bilici, Sportlicher Leiter BFC Friedlingen: „Die rassistischen Vorfälle im Fußball haben in den vergangenen Jahren ...
Riza Bilici, Sportlicher Leiter BFC Friedlingen: „Die rassistischen Vorfälle im Fußball haben in den vergangenen Jahren zugenommen. Es ist derber und extremer geworden.“ | Bild: Scheibengruber, Matthias

Sportchef Bilici forderte auch die Schiedsrichter dazu auf, bei rassistischen Vorfällen sofort einzugreifen und notfalls auch mit einem Spielabbruch zu drohen. Seine eigenen Spieler nähme er bei etwaigen Vorkommnissen auch nicht in Schutz: „Wir sind sicherlich auch keine Kinder von Traurigkeit. Rassistische Äußerungen gehören aber dennoch nicht auf einen Fußballplatz.“

„Rassismus auf dem Fußballplatz ist ein Spiegelbild der Gesellschaft“, so Landtagsabgeordneter Josha Frey. Der Respekt gehe zurück, ob auf dem Fußballplatz oder in der Kommunikation in sozialen Netzwerken. Wichtig sei, dass Verantwortliche deutlich Stellung gegen Rassismus beziehen. Frey nannte den Freiburger Trainer Christian Streich als Vorbild: „Ihn müsste man klonen können.“

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Zum Thema Gewalt nannte Werner Bolte einige Zahlen: So wurden in der letzten vollständigen Saison wegen Tätlichkeiten 37 Urteile mit 240 Spieltagen Sperre im Bezirk Hochrhein ausgesprochen. „Das ist gleichbleibend“, so der Sportrichter. Interessant: Bei den B-Junioren waren die meisten Urteile fällig. Überraschend für ihn auch, dass es sehr oft Wochentagsspiele waren, bei denen es zu Gewaltexzessen kam. Seine Erklärung: „Die 15- bis 17-jährigen Jugendlichen kommen gestresst aus der Schule und toben sich auf dem Fußballplatz aus.“ Yildirim ergänzte: „In diesem Alter gibt es auch öfters Frust zu Hause.“

Bilici forderte die Jugendtrainer dazu auf, wachsam zu sein: „Sie haben die schwierige Aufgabe, Spannungen abzubauen.“ „Der Trainer muss auch pädagogisches Geschick haben“, stimmte ihm Frey zu. Bolte wurde noch deutlicher: „Manche Trainer und Betreuer haben pädagogisch nichts drauf. Wir brauchen aber gute Jugendtrainer.“ Aggressionen gegen Schiedsrichter müssten von den Trainern unterbunden werden. Yildirim brachte die Eltern ins Spiel, die ihre Kinder oft nur noch beim Verein abliefern: „Sie haben einen anderen Zeitgeist als früher. Deswegen verhalten sich auch die Kinder anders.“ Frey ergänzte: „Der Leistungsdruck in der Schule und der berufliche Stress bei den Eltern ist größer geworden.“

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Einig waren sich alle, dass im Fußball die Werte schon im E- und F-Juniorenalter vermittelt werden müssen. „Lasst die Kinder spielen“, forderte Bolte, dass Ergebnisse bei den Jüngsten keine zentrale Rolle spielen sollten: „Leistung ist nicht alles.“

Ein Blick in die Zukunft in zehn Jahren bildete den Abschluss der Diskussion. Bolte ist skeptisch: „Wir verlieren immer mehr jugendliche Spieler.“ Auch der DFB sei kein Vorbild für den Juniorenfußball: „Die Identifikation mit den Profis geht zur Zeit eher den Bach runter.“

Fusionen seien nicht immer positiv, da auch bei den neuen größeren Vereinen Jugendliche „verloren“ gingen. Yildirim und Bilici waren sich einig, dass viele kleine Vereine gar nicht für sich überleben könnten und Fusionen auch die Rettung sein können, um Jugendliche zu binden. Die digitale Zukunft macht dem Sportlichen Leiter der Friedlinger am meisten Sorgen. Bilici: „Wir dürfen die Kinder nicht an die Konsole verlieren.“