Eishockey: „Ich bin eine ziemliche rink rat“, sagt Tim Kehler mit einem breiten Grinsen. Eine was? Tatsächlich existiert dieser Begriff im deutschen Sprachgebrauch nicht, im kanadischen aber weiß jeder Eishockeyfan, was damit gemeint ist. Wörtlich übersetzt würde es „Stadion-Ratte“ bedeuten, was allerdings sehr unschön klingt und vor allem auch der eigentlichen Bedeutung nicht einmal annähernd gerecht wird.
Denn eine „rink rat“ ist nichts anderes als ein Eishockey-Workaholic. Will heißen: Tim Kehler ist neun Monate des Jahres mehr oder weniger den ganzen Tag im Eisstadion. Der neue Co-Trainer der Schwenninger Wild Wings liebt seinen Job, sowohl den als Assistent als auch generell als Trainer. Seit nunmehr 20 Jahren arbeitet der Kanadier hinter der Bande. Profi war er eigentlich nie. Natürlich hat auch der jugendliche Tim Kehler Eishockey gespielt, aber nicht so recht erfolgreich.
Immerhin verschlug es in diesen Jahren bereits nach Deutschland, wo unverkennbar seine Wurzeln liegen. 1994/95 spielte er als Student für den ESV Bayreuth, kam in der sechsten Liga auf 155 Scorerpunkte. Das allerdings war es dann auch mit der Karriere. Als Trainer hingegen ist der 52-Jährige ungleich erfolgreicher. Und auch in diesem Beruf zog es den Mann aus Victoria in British Columbia, heute wohnhaft in Vancouver, schnell in die Heimat der Vorfahren.
Einen kleinen Umweg machte Kehler über Ungarn, arbeitete dort unter anderem an der Seite von Rich Chernomaz bei der Nationalmannschaft. Anschließend führte der passionierte Golfspieler die Löwen Frankfurt in die DEL2, blieb dort bis Dezember 2016 als Cheftrainer, bevor er von seinem Sportdirektor Chernomaz abgelöst wurde. Kehler schloss sich danach als Co-Trainer von Greg Poss dem EC Salzburg an und traf dort auf den heutigen Schwenninger Geschäftsführer Stefan Wagner. Der Weg führte 2018 zu den Kassel Huskies, mit denen er als Headcoach zwei Mal Vizemeister wurde. Schließlich folgte der Cheftrainer-Posten bei den Ravensburg Towerstars, wo er im Januar 2023 überraschend durch Peter Russell ersetzt wurde.
„Ich habe überall eine Menge gelernt und durchaus erfolgreich. Auch bei den Klubs, bei denen die Trennung vielleicht nicht ganz nachvollziehbar war“, sagt Tim Kehler diplomatisch. Dabei schätzt der ehemalige Stürmer durchaus den Wechsel zwischen Hauptverantwortlichem und Unterstützer. „Ich war die letzten sechs oder sieben Jahre Cheftrainer, fand es angenehm, immer wieder als Co-Trainer zu arbeiten. Man lernt neue Perspektiven kennen, und es hat mich jeweils zu einem besseren Cheftrainer gemacht“, meint Kehler.
Das Angebot der Wild Wings kam trotz des allzeit bestehenden Kontaktes zu Stefan Wagner durchaus überraschend. Und Tim Kehler musste sich schnell entscheiden. „Es hat ungefähr elf Stunden gedauert, dann war alles klar. Für mich war die Entscheidung einfach. Ich wollte immer in die DEL und habe es als Chance gesehen, mit jemandem zu arbeiten, der so viel Erfolg hatte wie Steve Walker“, berichtet der Neu-Schwenninger.
Seinen neuen „Chef“ kannte er allerdings vor Amtsantritt nicht persönlich, wusste aber bereits nach dem ersten Gespräch, dass es passen würde. „Wir sind beide sehr nahbar, aber auch sehr fordernd. Auch ich kannte das Spielsystem nicht, habe viel gelernt“, so Kehler. Zudem genießt er in gewisser Weise, auch mal nicht die volle Verantwortung zu haben, und damit ein entspannteres Verhältnis zu den Spielern.
Als Assistant Coach ist Kehler bei den Wild Wings nicht für die Defensive verantwortlich, sondern auch für das Unterzahlspiel. Zudem stellt er die Hälfte der Gegner vor, inklusive Videoanalyse, und plant gemeinsam mit Walker das Training. „Wir sind ein kleines Team, und so hat jeder viel zu tun, was ich sehr mag“, sagt Kehler.
Auch deshalb verbringt der Eishockey-Enthusiast seine Tage im Eisstadion. Neben seiner täglichen Arbeit hält er sich dort im Kraftraum fit. Lediglich wenn Ehefrau Sandy zu Besuch kommt, werden die Stunden in der Helios Arena weniger. Zu Weihnachten allerdings wird Kehler keinen Besuch erhalten, die Familie feiert in Kanada. So, wie auch schon in den letzten zehn Jahren. „Ich bin neun Monate weg und dann drei Monate absolut intensiver Ehemann und Onkel“, findet er seinen Lebensstil immer noch „einen Traum“.
Kehler wird ihn sicher noch eine Weile so weiterführen, denn der Trainerjob ist seine Leidenschaft. Ob er dies in Schwenningen tun wird, ist noch offen. „Wir haben miteinander gesprochen, und ich habe die letzten Monate sehr genossen. Es sieht für alle Seiten positiv aus.“