3000 Polizistinnen und Polizisten mehr im Einsatz, Zwölf-Stunden-Schichten und das alles ab sofort: Was Medien und der neue Innenminister Alexander Dobrindt (CSU) am Mittwoch über das neue Vorgehen an der Grenze sagten, klang dramatisch. Auch der Vorsitzende der Gewerkschaft der Polizei (GdP) für den Bereich Bundespolizei, Andreas Roßkopf, bestätigte, dass „nach mündlicher Weisung“ ein „Aufwuchs der Kräfte an den Grenzen“ im Gange sei.

Wer sich aber am Nachmittag die Grenzübergänge zwischen der Schweiz und Deutschland anschaute, der sah vor allem: nichts.

Am späten Nachmittag waren in Konstanz weder am Grenzübergang Tägerwilen, noch am Autobahnzoll, noch am Übergang Kreuzlinger Tor nennenswerte Polizeikräfte zu sehen und schon gar keine flächendeckenden Kontrollen. Auch am Grenzübergang Waldshut/Koblenz lief der Verkehr ungehindert.

Grenzübergang Waldshut, 17.15 Uhr am 6. Mai: Es herrscht der übliche Feierabendverkehr. Doch von Grenzkontrollen ist bislang nichts zu ...
Grenzübergang Waldshut, 17.15 Uhr am 6. Mai: Es herrscht der übliche Feierabendverkehr. Doch von Grenzkontrollen ist bislang nichts zu sehen. | Bild: Baier, Markus

Zu einzelnen Kontrollen kam es nach SÜDKURIER-Beobachtungen am Mittwochnachmittag am Konstanzer Autobahnzoll – aber im gleichen Umfang wie schon seit Monaten, bei weitem nicht jedes Auto wurde angehalten. Verstärkte Kontrollen gibt es an der Schweizer Grenze ohnehin schon seit Oktober 2023.

Zum offensichtlichen Ausbleiben der Kontrollen passte: Eine offizielle Erklärung von Dobrindt zu den neuen Grenzregeln verzögerte sich erst einmal. Dann erklärte er, dass künftig auch Asylsuchende an den Landgrenzen zurückgewiesen werden können.

Eine mündliche Weisung aus dem Jahr 2015, die dem entgegenstand, werde er zurücknehmen, sagte der CSU-Politiker. Gleichzeitig kündigte er eine Erhöhung der Zahl der Bundespolizisten an den Grenzen an.

Kritik an den Maßnahmen

Das zuvor offensichtliche Ausbleiben stärkerer Maßnahmen kommentierte auch die frühere Konstanzer Bundestagsabgeordnete Ann-Veruschka Jurisch (FDP) auf der Plattform X: „Anstatt vollmundiger Ankündigungen wäre es viel wichtiger, den Schengen-Codex anzupassen für mehr Rechtssicherheit“, schrieb sie zu einem Bild, dass den unbewachten Grenzübergang in Konstanz zeigte.

Grenzübergang Laufenburg, 6. Mai 18 Uhr: Es herrscht großes Verkehrsaufkommen, aber Grenzkontrollen gibt es nicht-
Grenzübergang Laufenburg, 6. Mai 18 Uhr: Es herrscht großes Verkehrsaufkommen, aber Grenzkontrollen gibt es nicht- | Bild: Baier, Markus

Kritik kommt auch aus dem Nachbarland, und sie ist für Schweizer und generell diplomatische Verhältnisse ungewohnt scharf. „Systematische Zurückweisungen verstoßen aus Sicht der Schweiz gegen geltendes Recht. Die Schweiz bedauert, dass Deutschland diese Maßnahme ohne Absprache getroffen hat“, erklärte das Schweizer Justizdepartement auf X. 

Man erwarte, dass der grenzüberschreitende Verkehr nicht beeinträchtigt werde: „Die Bürgerinnen und Bürger beider Länder sollen weiterhin ungehindert über die Grenze zur Arbeit pendeln können.“ Minister Beat Jans habe ein Treffen auf Ministerebene vorgeschlagen, eine Antwort stehe aus.

Sozialdemokrat Jans sei überzeugt, dass man die Herausforderungen der Migration nur gemeinsam lösen könne. Er wolle zudem festhalten, dass es dabei immer um Menschen ginge, „darunter vulnerable Gruppen, Frauen und Kinder.“

Koalition ist sich nicht einig

Kanzleramtsminister Thorsten Frei (CDU) pocht dagegen auf mehr Zurückweisungen an den Grenzen, auch von Asylsuchenden. „Wir haben das im Koalitionsvertrag vereinbart“, sagte Frei. SPD-Fraktionsvize Dirk Wiese betonte hingegen, dass das Grundgesetz einen Asylanspruch garantiert.

Frei verwies auf den Koalitionsvertrag, in dem festgehalten wurde, dass die Zurückweisungen in Abstimmung mit den Nachbarländern vorgenommen werden sollen. „Und das wird jetzt auch umgesetzt“, sagte er. Im europäischen Recht stehe, dass ein Asylantrag dort zu stellen sei, wo erstmals europäischer Boden betreten werde. Wegen der geografischen Lage sei es also kaum möglich, dies in Deutschland zu tun.

„Deshalb ist es natürlich sehr häufig so, dass Menschen nach Deutschland kommen, aber gar keine Berechtigung dazu haben“, sagte Frei. Deswegen sollen Menschen auch trotz Aslygesuchs zurückgewiesen werden – gerade dieser Schritt ist rechtlich umstritten.

SPD-Politiker Wiese entgegnete: Niemand könne ein Interesse daran haben, an mancher Stelle über das Ziel hinauszuschießen und Gerichtsentscheidungen nötig zu machen, sagte er. „Das weiß der neue Innenminister aber auch.“

Wer nach Deutschland komme und laut Grundgesetz einen Asylanspruch besitze, müsse auch die Möglichkeit haben, dass dieser geprüft werde. „Das ist auch im Koalitionsvertrag tatsächlich so besprochen worden.“

Kritik an den geplanten Kontrollen kam auch vom Handel. Der Außenwirtschaftschef der Deutschen Industrie- und Handelskammer (DIHK), Volker Treier, sagte dem „Handelsblatt“, schon die Corona-Krise habe gezeigt, dass ein eingeschränkter Grenzverkehr die Konjunktur belasten könne.

Bei dem Ziel, irreguläre Migration einzudämmen, sollte die Politik daher im Blick behalten, dass wichtige Lieferungen und grenzübergreifender Handel möglichst störungsfrei funktionieren. Ein funktionierender europäischer Binnenmarkt und der Schengen-Raum seien für die stark international vernetzte deutsche Wirtschaft „essenziell“.

Die wichtigsten Fragen und Antworten im Überblick

(dpa)