„Wer vor Gericht nicht die Wahrheit sagt, macht sich strafbar.“ So oder ähnlich belehrt Richter Martin Hauser vorschriftsmäßig jeden Zeugen, den er an diesem Tag in das Landgericht Waldshut geladen hatte. Was aber, wenn die Zeugen die Wahrheit sagen, jene aber trotzdem nicht gefunden wird?

Es ist der zweite Verhandlungstag eines langwierigen Prozesses, die Anklage lautet auf Totschlag. Die Suche nach Beweisen erweist sich als mühsam. Der Angeklagte schweigt, der einzige direkte Zeuge lebt nicht mehr. Sonst hat niemand gesehen, was in jener Nacht am Rheinufer wirklich passiert ist.

Der Mann, der es wissen könnte, wird am Morgen des 13. Dezember erneut von Beamten in den Gerichtssaal geführt. Er trägt Fußfesseln, sein Gang ist aufrecht, der Blick starr. Mit einem Nicken begrüßt er die Verfahrensbeteiligten. Verteidiger und Dolmetscher folgen.

In der Nacht des 8. Juni 2023 soll der 39-jährige aus Lettland einen Wildcamper am Rhein getötet haben. Erschlagen mit einem massiven Stück Holz, acht Hiebe zum Kopf, unzählige zum Körper, so die Anklage. Das Opfer, ein 31-jähriger Schweizer, wollte am Rheinufer bei Jestetten wohl die Nacht verbringen. DNA-Spuren und Geodaten hatten Kriminalbeamte zwei Wochen nach der Tat zu dem Mann geführt, der nun auf der Anklagebank sitzt.

Hat der Angeklagte sich in fremden Schrebergärten rumgetrieben?

Schon zum Prozessauftakt hatte der Richter ein Ehepaar verhört, das einen Schrebergarten in der Nähe des Tatorts besitzt. Im Zeugenstand berichtete der Mann von einer ungewöhnlichen Begegnung am Tag der Tat. Er habe unter der Dusche seines Schrebergartens gestanden, so der Pensionär, als plötzlich ein Mann aufgetauchte und nach dem Weg nach Nack fragte. Wenig später, erinnerte sich der Zeuge, habe sich derselbe Mann an einem Kästchen auf seinem Grundstück zu schaffen gemacht – wohl auf der Suche nach Wertsachen. Später fand er auf seinem Grundstück eine Sonnenbrille, die per DNA-Test dem Angeklagten zugeordnet werden konnte.

Von einem ähnlichen Erlebnis berichtet nun eine weitere Zeugin. Auch sie habe den 8. Juni auf ihrem Grundstück am Rhein verbracht. „Ich lag auf einer Liege und habe gelesen“, sagt die Frau. „Plötzlich kommt ein Kopf über die Hecke, guckt mich an und sagt: Benzin. Benzin. Lettland“, erinnert sie sich. „Ich habe kein Benzin“, antwortete die Zeugin. Daraufhin sei der Unbekannte gegangen. Am Abend habe ihr Mann jedoch festgestellt, dass ein Schrank im Schrebergarten geöffnet worden war. Gefehlt habe nichts.

Jugendliche berichten von seltsamer Begegnung

Einen weiteren Hinweis liefern zwei Jugendliche. Die 16- und 17-Jährigen hatten sich an jenem Abend an einem Grillplatz in der Nähe des Tatorts zum Angeln verabredet. Gegen 23 Uhr, erinnert sich einer, kam ein Mann mit dem Fahrrad angefahren. Oberkörperfrei, in Badeshorts, vermutlich alkoholisiert.

„Er hat uns komisch angestarrt“, so der jüngere der beiden. Kurz darauf habe er lautstark mehrere Beleidigungen auf Russisch von sich gegeben. „Er hat noch etwas in den Mülleimer geworfen – was genau, weiß ich nicht“, fügt der 17-Jährige an. Danach sei der Unbekannte verschwunden.

Zeugen machen unstimmige Angaben

Was die zahlreichen Zeugen berichten, bleibt oft vage. Oder es passt schlichtweg nicht zum Profil des Täters. So kann sich etwa keiner der fünf Zeugen daran erinnern, dass der Mann, dem sie begegnet waren, einen Bart trug. Fotos des Angeklagten zeigen ihn zwei Wochen nach der Tat hingegen mit einem markanten Oberlippen- und Kinnbart.

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Ein Zeuge behauptet zudem, bei dem Mann ein auffälliges Tattoo auf der Brust gesehen zu haben. Anderen wiederum ist überhaupt kein Körperschmuck aufgefallen. Fotos des Angeklagten aus den Gerichtsakten zeigen jedoch: Der linke Arm des Mannes ist stark tätowiert, an den Fingern und am Rücken hat er auch Farbe unter der Haut. Nicht aber im Brustbereich.

Zudem geben nur zwei der fünf Zeugen an, den Mann wiederzuerkennen. „Es ist Ähnlichkeit da“, sagt der eine. Der andere sei sich zu 50 Prozent sicher, dem Angeklagten am 8. Juni am Rhein begegnet zu sein. Auch über die Körpergröße und das Alter des Mannes herrscht Uneinigkeit.

Der nächste Verhandlungstermin ist für den 21. Dezember angesetzt. An diesem Tag sollen insbesondere Kriminaltechniker und Gerichtsmediziner aussagen, wie der Richter am Ende der Sitzung bekannt gibt – es bleibt die Hoffnung, dass sie präzisere Aussagen machen können.