Existiert die wahre Liebe? In einer Zeit, in der man Partner mit einem einfachen Wischen nach rechts auf dem Handy kennenlernt oder von kurzen Beziehungen und etlichen Betrugsgeschichten hört und liest, kann man sich die Frage durchaus stellen.

Als sich Rita und Hans Mühlebach kennenlernten, gab es noch keine Mobiltelefone – die große Liebe hat man trotzdem gefunden. Die Mühlebachs lernten sich auch ohne Datingportale kennen, ganz persönlich. Bevor die beiden ihre Geschichte erzählen, stupst die 89-Jährige ihren Mann unter dem Stuhl mit dem Bein an. Dann schauen sie sich an und grinsen.

Die Eltern von Rita Mühlebach führten in einem Dorf im Kanton St.Gallen einen Lebensmittelladen mit Marktgeschäft für Früchte und Gemüse. Als Älteste von fünf Kindern musste sie schon als Schülerin mitarbeiten. Wenig verwunderlich bildete sie sich später als Verkäuferin im elterlichen Geschäft aus. Sie habe jeden Tag „gekrampft“, erzählt sie heute.

Der Zufall machte aus ihnen Nachbarn

Ihr zukünftiger Mann Hans machte in Winterthur eine kaufmännische Lehre und erfreute sich am Exportgeschäft und Fremdsprachen. Innerhalb von zehn Jahren wechselte er mehrmals die Stellen im In- und Ausland, ehe er im Alter von 30 im St. Galler Rheintal landete. Damals habe man noch keine eigene Wohnung gehabt und Wohngemeinschaften waren unbekannt, sagt der heute 95-Jährige und fügt hinzu: „Man mietete ein Zimmer bei einer Familie und war ein ‚möblierter Mann‘.“

Der Zufall wollte es, dass er ein Zimmer gegenüber dem elterlichen Lebensmittelladen von Rita Mühlebach mietete. „Eine hübsche Frau fiel mir auf, die offensichtlich zu diesem Laden gehörte“, sagt er. Die Rede ist natürlich von seiner Rita.

Die beiden verlieben sich

Die beiden kamen später über gemeinsame Bekannte in Kontakt. „Es zeigte sich, dass auch sie mich bemerkt hatte“, sagt Hans Mühlebach. Es funkte zwischen den beiden. „Trotz einiger früherer Liebeleien verspürte ich diesmal eine noch nie gekannte Ernsthaftigkeit“, sagt er weiter. Seiner Frau erging es ähnlich: „Ich wusste sofort, dass er der Papi meiner Kinder wird.“

Schon bald war den beiden klar: Sie wollen heiraten. Doch zum damaligen Zeitpunkt war das elterliche Geschäft noch ein Hindernis, da Rita Mühlebach fest in den Lebensmittelladen eingebunden war. Die beiden schmiedeten einen Plan. Die damals 25-Jährige reiste für mehrere Monate nach London, arbeitete dort als Au-pair und lernte Englisch.

Das junge Paar tauschte in dieser Zeit Briefe aus. „Im Herbst hielt ich bei den Eltern formell um die Hand ihrer Tochter an, was schweren Herzens bewilligt wurde“, erzählt Hans Mühlebach und grinst, als hätte er einen Sechser im Lotto gewonnen. Als seine Freundin über Weihnachten zu Besuch aus London kam, haben sich die beiden verlobt. Danach ging sie „beringt“ erneut für ein paar Monate nach England.

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Am 6. Juni 1961 heirateten Rita und Hans Mühlebach. Es war nicht nur ihr schönster Tag, sondern gleichzeitig auch der 50. Geburtstag ihres Vaters. Für die Hochzeit ließ ihr Mann für seine Angetraute ein einzigartiges Hochzeitskleid entwerfen, da er dazumal in der Stickereibranche arbeitete.

Trotz Heirat half Rita Mühlebach weiterhin im elterlichen Geschäft aus. Daran änderte sich auch nichts, als sie zum ersten Mal schwanger wurde. Erst als sie bei der zweiten Schwangerschaft Komplikationen hatte, hängte sie den Job als Verkäuferin an den Nagel. Mittlerweile haben die Mühlebachs zwei Söhne und eine Tochter sowie drei Enkel und einen Urenkel.

Sie wollen niemandem zur Last fallen

Durch die Arbeit war Hans Mühlebach ständig unterwegs. Auch im Ausland. Seine Frau lebte mit den Kindern im St. Galler Rheintal. „Ich war viel allein“, blickt sie zurück. Nach der Pension holten die beiden die verlorene Zeit nach und reisten viel. „Es war schön, mit ihm zu reisen, er konnte überall die Sprache“, witzelt sie. Der 95-Jährige nickt. Er spricht fünf Sprachen und besucht aktuell einen weiteren Sprachkurs.

Vor ein paar Jahren sank die Reiselust und die beiden zügelten vom Rheintal ins Fricktal nach Möhlin, wo einer ihrer Söhne wohnt. Mit dem Alter wurden auch die gesundheitlichen Beschwerden größer. „Nach 15 Jahren wollten wir unserem Sohn und der Schwiegertochter nicht noch mehr zur Last fallen“, sagt er.

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Deshalb zügelten sie im Dezember ins Alterszentrum Bruggbach in Frick. Die Wände in ihrem Zimmer sind noch kahl, einige Bilder warten noch, bis sie aufgehängt werden. Farbe und Fröhlichkeit bringt das Ehepaar aber bereits heute mit ihrer Kleidung und Ausstrahlung in den Raum.

„Wir genießen uns“, sagt Hans Mühlebach. Das Geheimnis ihrer langen Liebe ist einfach: „Wir haben uns immer gegenseitig respektiert“, sagt er. Die wahre Liebe.

Die Autorin ist Redakteurin der „Aargauer Zeitung“. Dort ist dieser Beitrag auch zuerst erschienen.