Sie passt fast nicht in die Werft in Romanshorn: die 60 Meter lange Autofähre Euregia. Nur wenige Zentimeter an jeder Seite hat das Schiff „spatzig“ auf dem Schlitten, auf dem das rund 550 Tonnen schwere Schiff aus dem Wasser gezogen wurde. In der Werft herrscht Hochbetrieb.
Es riecht nach Farbe, Lack und Seewasser. Handwerker stromern mit Werkzeug auf Gerüsten herum und es fliegen Funken. Nur alle sechs Jahre wird das größte Schiff des Bodensees in die Werft in Romanhorn gefahren und überholt. In den letzten Wochen und Monaten fiel die Euregia immer wieder wegen technischer Defekte aus.
Die Euregia hat Computer von 1996 an Bord
Silvan Paganini, Leiter Nautik und Werft der Schweizerischen Bodensee-Schifffahrt, nimmt das Schiff in Augenschein: „Auf uns kommen große technische und finanzielle Herausforderungen zu.“ Denn die Euregia ist zwar das jüngste Schiff der Flotte, aber auch schon 27 Jahre alt.
Die verbaute Technik der Motorfähre ist in die Jahre gekommen. Gerade die Elektronik des Schiffes bereitet dem Ingenieur Kopfzerbrechen. Die Motoren der Fähre werden dieselelektrisch betrieben und er sagt: „Vier Dieselgeneratoren erzeugen an Bord Strom, der dann über eine Steuerung die Elektromotoren antreibt.“
Paganini läuft in den Bauch des Schiffes, öffnet einen Schaltkasten und zeigt auf ein technisches Bauteil, das Dieselsteuerungsgerät: „Einfach gesagt, ist dies ein Computer, der 1996 eingebaut wurde. Wenn Sie überlegen, wie Ihr Computer 1996 ausgesehen hat, können Sie sich vorstellen, wie schwer es ist, auf ein solches Gerät zu warten – respektive Ersatzteile dafür zu bekommen.“
Der dieselelektrische Antrieb der Euregia hat laut Paganini nach 26 Jahren im Einsatz das Ende seiner Lebenszeit erreicht. Er runzelt die Stirn: „Jetzt müssen wir uns eine Lösung überlegen, die auch finanzierbar ist.“ Nicht nur die Motorensteuerung bereitet den Technikern Sorgen. Auch das Herz des Schiffes – beziehungsweise die vier Herzen, die Motoren – stellt die Schiffsingenieure vor eine Mammutaufgabe.
Fit für die Zukunft? Das ist kostenintensiv
Paganini geht eine Tür weiter in den Motorenraum. Es riecht ölig und nach Diesel: „Die strengeren Umweltvorschriften zwingen uns bei der Neumotorisierung, tiefere Grenzwerte für Abgasemissionen und Partikelausstoß einzuhalten. Dies bedeutet fast zwangsläufig, dass wir eine Abgasnachbehandlungsanlage mit Ad-Blue, einem Zusatzkraftstoff, einbauen müssen.
Dafür müssen extra Tanks im Schiff und eine Tankanlage an Land aufgebaut werden. Neben den Anschaffungskosten werden die Betriebskosten steigen, da wir bei der Fähre zum Beispiel täglich mit einem zusätzlichen Ad-Blue-Verbrauch von etwa 150 Litern rechnen.“ Die Euregia muss für die Zukunft kostenintensiv überholt werden.

Auch bei den anderen Schiffen der Flotte steht der Kurs auf Neumotorisierung und Erneuerung der Abgasanlagen mit Ad-Blue. Die anderen Schiffe der Flotte, die teilweise seit 1932 auf dem Bodensee herumfahren, werden sich grundlegend verändern müssen, sagt Paganini. Auch wenn man bei einigen Schiffen wie der Motorfähre „Säntis“ erst 2017 neue Bauteile verbaut hat, genügen diese den Ansprüchen der neuen Normen schon jetzt nicht mehr.
Paganini sieht den Ursprung der Probleme auch in der sehr schnellen Entwicklung neuer Bauteile: „Die Schnelllebigkeit unserer Konsumgesellschaft führt dazu, dass die Industrie Produkte entwickelt, die nicht mehr für ein langes Leben ausgelegt sind respektive die Ersatzteile und das Know-how nicht über längere Zeit sichergestellt werden.“
Eine weitere Herausforderung der Flotte ist die anstehende Motorenrevision der Motorfähre Romanshorn. Die Romanshorn wurde 1959 in Betrieb genommen und fiel im vergangenen Jahr für einige Monate aus, weil keine Ersatzteile für das Schiff lieferbar waren.
„Wir müssen bei der ‚Romanshorn‘ schon nach sechs Jahren beide neuen Motoren wieder komplett ausbauen und zerlegen. Das fordert uns enorm heraus.“ Einem solch aufwendigen Prozedere mussten sich die 65-jährigen Schiffsmotoren vom MS Thurgau und MS Zürich noch nie unterziehen.

Doch die Schweizerische Bodensee-Schifffahrt ist mit ihrer lateralen Diversifizierung gut aufgestellt, wie kürzlich der Verwaltungsratspräsident Hermann Hess bei der Übernahme des Kornhauses in Romanshorn erläutert hat: „Seit vielen Jahren strebt der Verwaltungsrat konsequent nach einer breiteren Aufstellung der Schweizerischen Bodensee-Schifffahrt, um in Zukunft die Abhängigkeit von der ertragsschwachen Kursschifffahrt zu verringern.“
Paganini: „Ein Schiff ist wie ein Lebewesen“
Zurück in den Schiffsbauch der Euregia. Paganini zeigt auf ein Loch im Boden: Was aussieht wie ein Swimmingpool im Motorraum der Fähre, ist ein Seekasten für eine Kühlung neuer Motoren, die erst in einigen Jahren verbaut werden sollen.
Paganini erklärt: „Sollten wir innerhalb der nächsten sechs Jahre die Finanzierung der Neumotorisierung stemmen können, ist ein Auswassern der Fähre dank dieses vorausschauenden Einbaus nicht mehr nötig.“

Bei all den finanziellen Wogen ist ihm keine Spur von Unsicherheit anzumerken. Er läuft unter dem Schiff entlang und fährt mit seinen Fingern über den Rumpf: „Ein Schiff ist wie ein Lebewesen, am Anfang gibt es viele Kinderkrankheiten und gegen Ende der Lebenszeit kommen die Altersbeschwerden.“
Die Euregia steckt momentan in der letzten Phase. Die Schiffe seien wie Teamkollegen und würden von den Angestellten wie ihre Schätze behandelt. Darum arbeiten die Werftmitarbeiter akribisch und mit einer sehr großen Motivation an ihren Schiffen: „Der Unterschied zum Lebewesen ist, dass wir die Lebenszeit eines Schiffes verlängern können, indem wir es technisch überholen.“
Raphael Rohner ist Reporter bei unserer Partnerzeitung, der „Thurgauer Zeitung“.