Bereits seit 14 Jahren läuft in der Schweiz das Sachplanverfahren zur Ermittlung eines geeigneten Standorts zur Endlagerung radioaktiver Abfälle. Diesen Montag wird die Nationale Genossenschaft für die Lagerung radioaktiver Abfälle (Nagra) in Bern bekanntgeben, wo sie das Tiefenlager bauen will. Nach umfangreichen geologischen Sondierungen stehen drei Regionen zur Auswahl, alle in unmittelbarer Nähe zur deutschen Grenze: Jura Ost, wie der südlich Laufenburg gelegene Bözberg im Sachplanverfahren heißt; östlich Jestettens und Lottstettens das Zürcher Weinland um Benken, offiziell Zürich Nordost genannt; schließlich Nördlich Lägern im Zürcher Unterland, der deutschen Gemeinde Hohentengen gegenüber.
In Hohentengen bereitet man sich schon darauf vor, dass der Schweizer Atommüll nur wenige Kilometer Luftlinie vom Ortszentrum entfernt, nördlich des nahen Höhenzugs Lägern, unter die Erde kommt. Für Donnerstag, 15. September, drei Tage nach der Bekanntgabe in Bern, lädt die Gemeindeverwaltung ihre Bürger zu einer Informationsveranstaltung in die örtliche Mehrzweckhalle ein. Thema: „Standortwahl für die Entsorgung der atomaren Abfälle der Schweiz“.

Die Atomendlager-Entscheidung der Nagra
Die Informationsveranstaltung wird zwar nur stattfinden, wenn die Nagra am Montag wirklich Nördlich Lägern als Standortgebiet benennt. Doch damit rechnen inzwischen immer mehr. Die Schweizer Tageszeitungen „Tages-Anzeiger“ und „Blick“ berichten, dass vieles darauf hindeute, dass das Endlager zwischen Rhein und Lägern komme – und zwar als kombiniertes Lager für hoch- sowie schwach- bis mittelradioaktiven Abfall.
Im Interview mit der „Aargauer Zeitung“ legt sich auch André Lambert, ein inzwischen pensionierter, 1989 bis 2012 bei der Nagra beschäftigter Geologe unmissverständlich fest: „Es wird Nördlich Lägern sein.“ Das vernehme er nicht nur „aus vorinformierten Kreisen“, so Lambert. Das ergebe sich auch „aus gewissen geologischen Kriterien und vor allem aus deren Gewichtung“.
Nagra wollte Nördlich Lägern zurückstellen
2015 schien Nördlich Lägern als möglicher Endlager-Standort schon von der Liste genommen zu sein. Die Nagra hatte bei den Schweizer Bundesbehörden beantragt, die Region als möglichen Standort für ein Endlager zurückzustellen. Dem entsprachen das Eidgenössische Nuklearsicherheitsinspektorat (Ensi) und die Kantone aber nicht und beließen das Gebiet im Verfahren.

Was in den Augen der Nagra zunächst eher gegen Nördlich Lägern zu sprechen schien, könnte nun sogar den Ausschlag für die Eignung als Endlagerstandort geben: Die 110 Meter mächtige Opalinustonschicht, die als Wirtsgestein für das Endlager dienen soll, liegt hier mit etwa 800 bis 900 Metern wesentlich tiefer im Untergrund als am Bözberg oder im Weinland.
Das Tiefenlager soll für eine Million Jahre Sicherheit bieten
Die größere Tiefe macht Bau, Betrieb und auch eine möglicherweise erforderliche Rückholung der Abfälle schwieriger. Darauf hatte die Nagra 2015 verwiesen. Die größere Tiefe bietet aber auch Vorteile, argumentieren andere Experten: Mehr Schutz gegen eine mögliche Oberflächenerosion beispielsweise durch Gletscher, die sich in ferner Zukunft wieder einmal durch das Hochrheintal schieben könnten. Die langfristige geologische Stabilität ist das entscheidende technische Kriterium für die Eignung als Endlager. Schließlich muss die Nagra ihn wegen der langen radioaktiven Strahlungszeiten für die nächste Million Jahre sicher verwahren.
Vollversammlungen der Regionalkonferenzen
Das Endlager und möglicher Standort ist die eine heikle Frage. Die Platzierung der Verpackungsanlage die andere, sehr viel heiklere. Denn was nach einem harmlosen Logistikzentrum klingt, ist der diffizilste und auch für Mensch und Umwelt gefährlichste Teil der Endlagerung. Dort werden die ausgedienten nuklearen Brennelemente von Castoren in kleinere zur Endlagerung geeignete Behälter umverpackt.
Experte über Verpackungsanlage: „Risiko ungleich größer“
André Lambert im Interview mit der „Aargauer Zeitung“: „In der Verpackungsanlage wird an der Erdoberfläche mit verbrauchtem Kernbrennstoff, also hoch radioaktivem Material, hantiert. Da ist das Risiko von Zwischenfällen ungleich größer, als wenn die in gepanzerten Stahlbehältern eingekapselten, fertig verpackten Abfälle mehrere hundert Meter unter der Erdoberfläche im dichten Opalinuston eingelagert sind.“

Derzeit lagern die ausgedienten Brennelemente aus den Schweizer Atomkraftwerken wie weiterer verglaster, hochaktiver Abfall im Zwischenlager (Zwilag) Würenlingen acht Kilometer südlich von Waldshut-Tiengen. Etwa 200 Behälter haben in der Lagerhalle Platz. Das Zwilag verfügt auch über eine sogenannte Heiße Zelle, in der fernbedient Lagerbehälter überprüft und Brennelemente umgeladen werden. Aus technischer Sicht würde es deshalb durchaus Sinn machen, die Verpackungsanlage dort zu platzieren, wo sich der radioaktive Abfall bereits befindet. Das Zwischenlager Würenlingen befände sich nur etwa 20 Kilometer von einem Endlager Nördlich Lägern entfernt.