Als sie am frühen Abend des 9. Juni am Rheinufer in Jestetten eintrifft, findet Vanessa Thoma einen teilweise entkleideten Leichnam vor. Der Tote war mehrere Stunden zuvor von Passanten entdeckt worden. Die Leiche lag halb im Wasser, halb an Land, und war abgedeckt mit einer kleinen Plane, berichtet Thoma.
Thoma ist Rechtsmedizinerin aus Freiburg, sie sagt vor dem Landgericht Waldshut-Tiengen aus. Es ist Tag sechs im Prozess gegen einen 39-jähigen Mann aus Lettland. Die Anklage lautet auf Totschlag, auch eine Verurteilung wegen Mordes mit anschließender Sicherungsverwahrung steht im Raum.
Der Angeklagte soll das 31 Jahre alte Opfer aus St. Gallen im Sommer an einer Badestelle in Jestetten mit einem massiven Holzstück erschlagen haben. Das Opfer hatte sich zuvor am Flussufer eine Lagerstätte mit Hängematte eingerichtet.
Mann wollte wohl Angriff abwehren
Noch am Ufer fiel der Medizinerin auf: Der Tote hatte Verletzungen an Kopf und Extremitäten, die nicht zu einem einfachen Sturz passen. Am folgenden Tag obduzierte sie die Leiche: Wunden am Schädel, Verletzungen an Beinen und Rücken, typische Abwehrverletzungen an den Händen. „Da fehlt sogar ein Stück Ohr“, stellt der Vorsitzende Richter der Schwurgerichtskammer fest. Kleine Fragmente, die von einem Stück Holz stammen könnten, habe die Rechtsmedizinerin an eine Kriminalbeamtin übergeben.
Der Geschädigte sei an stumpfen Hirn-Traumata verstorben, mindestens sechs wuchtige Schläge gegen den Kopf müssen ihn mit einem Gegenstand getroffen haben. Die Reihenfolge der Verletzungen lässt sich zwar nicht mehr feststellen, „das Gesamtbild spricht klar für eine Tötung.“
Obwohl sie minutenlang die schweren Verletzungen bis ins kleinste Detail beschrieben hat, erklärt Thoma auf Nachfrage von Staatsanwältin Rahel Diers: „Der Mann hätte gerettet werden können.“ Die Verletzungen am Kopf seien nicht so gravierend gewesen, erstaunlicherweise sei die harte Hirnhaut unterhalb der Schädeldecke intakt gewesen.
Fragen bleiben offen
Ob der 31-Jährige von vorne angegriffen oder unvermittelt von hinten auf den Kopf geschlagen wurde, konnte Thoma nicht beantworten. Der Kopf sei immer gut zu treffen – aus verschiedenen Positionen und Winkeln. Auch ob das Opfer sich nach dem Angriff selbst ins Wasser geschleppt hat, kann sie nicht sagen. Hämatome an den Achseln könnten aber auf ein Greifen hindeuten. Der Todeszeitpunkt, den das Gericht vermutet, passe aber ins Bild.
Der Prozess wird am Donnerstag, 18. Januar, fortgesetzt. Der psychologische Sachverständige soll noch gehört werden, bevor der erste Vertreter der Nebenklage mit seinem Plädoyer beginnt. Das Urteil soll nach bisheriger Planung am 25. Januar fallen. Staatsanwältin Diers und Verteidiger Urs Gronenberg hatten zuvor um mehr Vorbereitungszeit für ihre Plädoyers in diesem komplexen Indizienprozess gebeten.