Der Spuk ist aus der Mode gekommen. Statt an Geister und spirituelle Energien glaubt man heute an ganz gewöhnliche Weltverschwörer: An Multimillionäre, die sich aus ihrer Villa per Smartphone erst eine Flasche Kinderblut bestellen und dann ihre Ärzte anweisen, uns mit der nächsten Dosis Überwachungschips zu impfen. Da gibt‘s nichts zu gruseln und zu schaudern, alles rational erklärbar – entsprechend blühende Fantasie vorausgesetzt.
Vor rund 70 Jahren war das noch anders. Menschen verabredeten sich zu spirituellen Sitzungen. Im Kaffeesatz erkannten sie kommende Ereignisse, in Kristallen verborgene Wahrheiten. Und wenn sich der Esstisch auf magische Weise zu rühren schien, glaubte man, die Stimme eines Verstorbenen zu hören.
Und nein, der Aberglaube war nicht die Angelegenheit einiger belächelter Spinner. Er grassierte mitten unter uns, hielt grundsolide Lehrer, Handwerker, Hausfrauen in Atem. Sogar die Wissenschaft befasste sich mit ihm.

In Freiburg etwa ging der Parapsychologe Hans Bender – Ordinarius für Psychologie und Grenzgebiete der Psychologie – den dubiosen Stimmen, schwingenden Pendeln und von Geisterhand verrückten Dingen auf den Grund. Mit zum Teil hochkomplexen Gerätschaften rückte er in Wohnstuben, Küchen und Schlafzimmer ein. Er befragte Augenzeugen, unternahm Experimente, installierte Kamerafallen.

Mit dabei: Leif Geiges, kriegserprobter Fotoreporter aus dem Schwarzwald mit ausgeprägtem Verständnis für Land und Leute seiner Heimat. Wem, wenn nicht ihm sollte es gelingen, ein Gespenst auf frischer Tat zu erwischen?

Im Freiburger Augustinermuseum sind Geiges‘ Fotografien jetzt zu sehen. Und tatsächlich können wir auf ihnen so manchen Geist erkennen: Er wohnt zum Beispiel im Blick jener Hausfrau, der sich in einer Mischung aus Fassungslosigkeit, Furcht und Ekel auf das Ende ihres zusammengerollten Teppichs richtet.

Das Ding, so schwört sie hoch und heilig, habe sich von selbst so verrenkt – begleitet von fürchterlichem Getöse. Außer ihr sei niemand im Haus gewesen. Natürlich auch kein Fotograf.
Das, was wir sehen, ist deshalb eine nachträglich gestellte Szene. Und doch wirkt es, als seien wir live dabei: So angespannt, so ängstlich blickt die Augenzeugin auf den mysteriösen Teppich – als sei zu befürchten, dass allein die Wiederholung den Geist zum Leben erweckt.

Herr Plach aus dem bayrischen Dorf Vachendorf hatte gerade erst die Brötchen auf den Tisch gestellt, da begannen sie plötzlich zu schweben. Und jetzt sind all die klugen Männer aus Freiburg angereist, um ihn zu interviewen, sogar zu fotografieren. Aus seinen Augen blitzt der Stolz eines einfachen Mannes auf, der endlich mal was zu erzählen hat. Ob er wirklich glaubt, was er da sagt? Etwas Verschmitztes in seinem Gesicht lässt daran zweifeln.

Ganz im Gegensatz zur Familie H. aus Neusatz im Schwarzwald. Als der jünste Spross vom Heidelbeerpflücken zurückkam, lag sein neuer Schulranzen „völlig verdorben“ in einer Jauchegrube. Und weil es zuvor bereits die Mutter eines Nachts so schien, als wolle sie jemand erwürgen, muss es ein Spuk gewesen sein! Wir blicken in ernste Mienen und angstgeweitete Augen. Nur der Junge ohne Schulranzen wirkt ein wenig verlegen. Wahrscheinlich denkt er gerade an die Prügelei, bei der das gute Stück in hohem Bogen gen Jauche segelte.
Aus Geiges‘ Bildern spricht eine Epoche des Umbruchs: Es ist eine Zeit, in der die existenzielle Bedrohung des Krieges noch nachwirkt. Die Protagonisten scheinen stets aufs Schlimmste gefasst, hinter jedem noch so harmlos anmutenden Vorgang könnte sich eine unbegreifliche Gefahr verbergen.

Es ist zweitens eine Zeit des technologischen Fortschritts. Moderne Küchen- und Haushaltsgeräte, die klassische Arbeitsprozesse ganz von selbst verrichten, sind so annehmlich wie unheimlich. Wie verstörend erst ein Fernsehapparat auf manches Gemüt wirken muss, mag man sich kaum vorstellen. Zwischen beseelten und unbeseelten Dingen zu unterscheiden, das fällt in einer solchen Welt keineswegs mehr leicht.
Und drittens ist es eine Zeit, die noch von tiefer Gottesfurcht zeugt. Die von Geiges dokumentierten Begegnungen der dritten Art finden meist zwischen Kruzifixen und Madonnenbildnissen statt. Wer in solchen Räumen wohnt, glaubt fest an die Möglichkeit übersinnlicher Erfahrungen im Alltag. Und womöglich sogar an die Existenz des Leibhaftigen.
Man mag diese Menschen belächeln für ihre naive Frömmigkeit. Die Wahrheit ist, dass sie noch so etwas wie Demut gegenüber höheren Mächten kannten. Von Verschwörungstheoretikern der Gegenwart lässt sich das in den seltensten Fällen sagen. Man sehnt sich nach dem Spuk zurück.
„Spuk! Die Fotografien von Leif Geiges“: bis 26. September im Augustinermuseum – Haus der Graphischen Sammlung, Freiburg. Öffnungszeiten: Di.-So. 10-17 Uhr. Weitere Informationen: www.freiburg.de