Wer denkt sich denn solch ein Programm aus? Operettenselige Champagnerlaune (Ouvertüre zu Johann Strauß‘ „Fledermaus“) trifft auf tiefe Trauer (Samuel Barbers Streicher-Adagio), grenzwertig derber Karl-Valentin-Humor steht neben der Wiederentdeckung einer afro-amerikanischen Komponistin (Florence Price). Heterogener geht‘s kaum als im jüngsten Konzert der Bodensee Philharmonie.
Zu Gast mit dem wohltuend unkonventionellen Programm im Konstanzer Konzil war der Münchner Dirigent Sebastian Schwab, der mit den Karl-Valentin-Vertonungen auch noch eine Uraufführung aus eigener Feder beisteuerte.
Vorbote der Exzellenzwoche
Vielseitig hat man das früher mal genannt. Jetzt heißt es Diversität – und genau das wird ja auch das Thema der kommenden Exzellenzwoche der Philharmonie (5. bis 13. April) sein. So lässt sich das seltsamerweise „Fünfländereck“ betitelte Programm bereits als Vorbote der Themenwoche betrachten.
Schwungvoll betritt Schwab die Bühne und zack geht‘s auch schon los mit der „Fledermaus“. Der 31-Jährige übermittelt mit Dirigierstab seine gestochen scharfe Handschrift ans Orchester. Forschheit geht vor Wiener Schmäh – und macht mindestens genau so viel Spaß. Man kennt die Themen auch aus Neujahrskonzerten. Es darf geschunkelt werden, jedenfalls im Geiste, während auf dem einen oder anderen Gesicht im Orchester ein Grinsen aufscheint.
Schwabs Karl Valentin Szenen sind ein echtes Schmankerl
Mit den folgenden sieben „operettigen Szenen nach Karl Valentin“ hat Schwab echte Schmankerl geschaffen, die von dem Bassbariton Franz Hawlata zudem perfekt und enorm textverständlich in Szene gesetzt werden. Schwabs Musik stellt sich dabei ganz in den Dienst der Valentin-Reime, schafft wie mit skizzenartigen Bleistiftstrichen den jeweils geeigneten Rahmen für die mal wortverspielten, mal grantelnden, mal hintersinnigen, mal den Hintersinn verweigernden Verse.
Zeitgemäß kommt „Wenn ich einmal Herrgott wär“ daher, herrlich (in Text wie Musik) der „Expressionistische Gesang“, eine Parodie auf die Kunstströmungen zu Valentins Zeit.
Traurigste Musik aller Zeiten
Und dann der Sprung über den großen Teich mitten in Samuel Barbers Schmerzmusik. Das „Adagio for Strings“ hat Eingang in den Vietnam-Film „Platoon“ gefunden. Seinem Ruf als traurigste Musik der Welt wird es aber auch ohne die apokalyptischen Bilder gerecht, auch hier im Konstanzer Konzil unter Schwabs zupackendem, wieder hochpräzisen Dirigat. Man möchte heulen.
Aber schon geht es weiter mit Florence Prices 3. Symphonie. Auch hier möchte man heulen – vor allem aber deswegen, weil dieser Frau, die über dreihundert Werke geschaffen hat, darunter vier Symphonien, die Anerkennung als Komponistin zu ihren Lebzeiten (1887-1953) weitgehend verwehrt geblieben ist. „Ich habe zwei Handicaps“, schrieb sie damals selbst an den Dirigenten Serge Koussevitzky, „mein Geschlecht und meine Hautfarbe.“
Ihre 3. Symphonie (1938-1940) ist zugänglich und gewitzt, schöpft die vollen Mittel des Orchesters aus und trifft genau den damals virulenten Ton der US-amerikanischen Klassik mit ihren folkloristischen und jazzigen Zugriffen. Wir verbinden ihn heute vor allem mit den Namen Aron Copland und George Gershwin. Price setzte sich auch aktiv mit ihren afroamerikanischen Wurzeln auseinander. Der dritte Satz heißt „Juba“ und nimmt damit Bezug auf einen Tanz der Sklaven in den amerikanischen Südstaaten. Und der vierte und letzte Satz kommt ebenfalls so schmissig daher, dass Sebastian Schwab ihn mit der Bodensee Philharmonie spontan als Zugabe wiederholt.
Ein Programm mit großer Diversität also – aber durch Kurzweil und Spielfreude vereint.
Weitere Aufführungen: 1. April, 19.30 Uhr, Milchwerk Radolfzell; 2. April, 19.30 Uhr, Konzil Konstanz. www.bodensee-philharmonie.com