Schon Kontrabassisten haben es nicht leicht, wenn es darum geht, ihr Instrument von A nach B zu wuchten. Ein Alphorn ist demgegenüber zwar schlank, mit seiner Länge von locker zwei bis drei Metern allerdings auch nichts, das man auf dem Fahrrad befördert, um es in der beengten WG zum Üben auszupacken.
Schon im Konzertsaal kann es heikel werden. Und so geht der Blick unwillkürlich in die Deckenkonstruktion des Konstanzer Konzils, als Arkady Shilkloper beim Gang auf die Bühne sein Instrument nur wenige Zentimeter unter den Leuchten entlang balanciert.
Kurzes Bangen, aber alles bleibt heil. Dann steht Shilkloper gefühlt mitten im Orchester, während sein Alphorn erst ganz vorne an der Bühnenkante mit dem Schalltrichter sein Ende findet.
Nationalsymbol der Schweiz
Schon geht es los mit dem Alphorn-Konzert, das sich die Bodensee Philharmonie aufs Programm gesetzt hat. Und wen wundert es: Der Komponist dieses Werks ist ein Schweizer. Daniel Schnyder heißt er. Doch da der 1961 geborene Zürcher inzwischen in New York lebt, hat er das Nationalsymbol der Schweiz auf seine Eignung zum Metropolen-Jazz getestet.
Das Ergebnis klingt ein wenig wie Gershwin in den Alpen, Jazzrhythmen und scharfe Bläserriffs lassen das Instrument förmlich tanzen. Und man darf staunen, wie ein schlichtes alpenländisches Signal aus Sexte und Quarte zu swingen beginnt, wenn man mal ein paar Synkopen reingibt.
Kuhglocken läuten
Dabei bleibt es allerdings nicht. Die Partitur ist anspruchsvoll, der Solopart richtiggehend virtuos. Shilkloper, einst Solo-Hornist im Bolschoi-Theater Moskau, ist hier genau der Richtige, um mit dem Alphorn in jene schwindelerregenden Höhen zu steigen, wo die Intervalle der Naturtonreihe kleiner und vielfältiger werden, aber auch diffiziler zu bewältigen sind.
Dabei vergisst Komponist Schnyder seine Heimat nicht. Plötzlich befindet man sich wieder auf der Alm, zur großen Freude des Publikums läuten auch die Kuhglocken, und das Alphorn entfaltet seine ganze Beschaulichkeit, bevor es wieder zurück geht in die hektische Metropole. Alles in allem: eine echte Swiss-Side-Story.
In der Zugabe setzt Shilkloper nochmal eins drauf, jodelt, breitet Obertöne aus, entspinnt per Zirkularatmung einen endlosen Alpenruf – und entlässt ein restlos begeistertes Publikum. Sowas kriegt man in Konstanz ja auch nicht so häufig zu hören und zu sehen, Alpennähe hin oder her.
„Die Spießer ärgern“
Insgesamt fügte sich das Alphorn-Konzert perfekt in ein Programm, das generell mit dem Überraschungseffekt der verschobenen Perspektive spielte. Es begann mit der „Symphonie classique“, mit der Sergej Prokowjew 1918 Haydns Geist zu neuem Leben erweckte.
Wobei es dem jungen Russen nicht um eine huldvolle Stilkopie ging. Die Hommage liegt eher in der respektvollen Respektlosigkeit, mit der er das kleine, spritzige Werk ausgestaltete und das klassische Modell der Sinfonie überzeichnete. Schließlich wollte er nach eigener Aussage „die Spießer ärgern.“
Der britische Dirigent Andrew Gourlay sorgte mit der Bodensee Philharmonie für eine weitere Umdrehung, indem er die Laut-leise-Kontraste weiter zuspitzte und vor allem im letzten Satz ein rasendes Tempo an den Tag legte. Insbesondere die Holzbläser hatten hier einiges zu tun, aber es lohnte sich. Selten hört man dieses Stück so brillant, scharf gestochen, wild und trotzdem voller guter Laune.
Hommage an Mozart
Ganz anders war Peter Tschaikowskys Herangehensweise in seiner Suite Nr. 4 mit dem Titel „Mozartiana“. Auch sie ist eine Hommage, jedoch griff Tschaikowsky dafür auf real existierende Stücke von Mozart zurück, deren Notentext er im wesentlichen unangetastet ließ.
Drei Klavierwerke und den auch heute gut bekannten Chorsatz „Ave Verum“ kleidete Tschaikowski in ein romantisches Orchestergewand und band die vier Sätze zur Suite zusammen.
Kurz und knackig kommt der erste Satz mit den fugierend gegeneinander verschobenen Stimmen daher. Das ruhige Menuett des 2. Satzes schärft Tschaikowsky klanglich etwas an. Im dritten Satz, dem Ave Verum, huldigt er mit der Süße von Harfe und Geigen dem Wagnerschen Verklärungsdrang fast schon mehr als Mozart.
Wunderbares Solo von Konzertmeisterin Tanino
Paradestück aber ist der vierte Satz mit den Variationen über „Unser dummer Pöbel meint.“ Tschaikowsky potenziert Mozarts Abwechslungsreichtum nochmal, unterstreicht das Thema mal mit Beckenschlägen, mal lässt er Glockenspiel mit pizzicato gezupften Streichern wie eine Spieluhr klingen.
Vor allem aber baut er ein ausladendes Solo der 1. Geige ein, in dem die Konzertmeisterin der Bodensee Philharmonie, Kyoko Tanino, mit wunderbarem Ton ihre Soloqualitäten voll zur Geltung bringt. Und auch Klarinettist Kai Ahrens kommt mit einer Kadenz vorteilhaft zum Zuge.
Händels „Wassermusik“ verjazzt
Und schließlich ist da noch einmal der jazzverliebte Daniel Schnyder, der nicht nur das Alphorn swingen lässt, sondern auch Georg Friedrich Händels „Wassermusik“. Lustig, wie sich diese wie aus einem Wasserstrudel herausschält.
Ähnlich wie bei Tschaikowsky und Mozart bleibt auch hier Händels Original erkennbar, wird aber durch Instrumentierung, Blechbläser-Riffs und ausgedehntem Einsatz verschiedener Percussion-Instrumente mehr und mehr verjazzt. Händel wandert aus dem Barock nach New York – hineingezaubert von einer bestens aufgelegten Bodensee Philharmonie und dem brillanten Dirigenten Andrew Gourlay. Das sollte man sich nicht entgehen lassen.
Weitere Aufführung: Mittwoch, 16. April, 19.30 Uhr, Konstanzer Konzil. Infos und Tickets: www.bodensee-philharmonie.de