Nina Hagen in Konstanz! Ach nein, es ist nur eine Coverband. Oder genauer: ein theatrales Konzert, eine Hommage an die „Mother of Punk“, wie es der Titel dieser Produktion im Stadttheater verspricht. Und doch, auch das muss verwundern. Denn der Punk ist ja längst aus der Mode gekommen. Selbst die Toten Hosen singen nur noch Fußball-Hymnen, wenn sie nicht gerade öffentlich ihre Wehrdienstverweigerung bereuen. Statt Nonkonformismus gilt es, ideologische Konzepte zu befolgen, wer davon auch nur um Millimeter abweicht, wird mit Internetpranger bei nicht unter tausend Hasskommentaren bestraft. Was also hat Frau Hagen uns heute noch zu sagen?
Der Vorhang hebt sich, vier junge Punkmusiker wollen gerade in die Saiten, Tasten, Trommeln hauen – da hat offenbar jemand vergessen, den Verstärker anzuschließen. „Mach doch mal zu, wir fangen noch mal von vorne an“, ruft die Frau am Schlagzeug zum Bühnentechniker. Ja, so war er, der Punk: verpeilt, amateurhaft, mit Lust am Scheitern.
Radikale Hemmungslosigkeit
Doch dann geht das Konzert tatsächlich los, und schnell wird deutlich, was an diesem Projekt der Haken ist. Dort nämlich, wo der Punk nachhaltigen Erfolg feierte, war das Verpeilte und Amateurhafte ja meist mehr Pose denn Realität. Nina Hagen, ausgebildete und staatlich geprüfte DDR-Schlagersängerin, verfügte über ein stimmliches Register, eine Artikulation und Bühnenpräsenz, wie sie dieses Land selten erlebt hat. Und sie hatte die Gabe einer radikalen Hemmungslosigkeit, sich also in einer Weise dem Moment hinzugeben, die uns braven Normalbürgern völlig abgeht.

Eine solche Künstlerin imitieren zu wollen, bedeutet Lust am Scheitern auf ganz eigene Art. Im Konstanzer Stadttheater nehmen Ingo Biermann, Katrin Huke, Svea Kirschmeier und Anne Rohde das Himmelfahrtskommando auf sich. Sie wüten über den biederen Familienalltag (“Zieh die Schuhe aus, Kind!“), warnen vor dem dritten Weltkrieg (“Born in Xixax“), verziehen dabei ihre Münder, rollen mit den Augen. Zu behaupten aber, sie kämen dem Original dabei wirklich nahe, wäre freundlich gelogen. Wo Nina ausflippt, bleiben sie frech, wo jene rockt, singen diese ein Lied: Bürgerkinder spielen Punk.
Vorboten von Instagram
Kann man diese Ikone nicht auch ehren, ohne sie selbst zu sein? Nun, wer seine Erinnerung ans Original weit hinten im Bewusstsein vergräbt, wird zumindest manch aktuellen Bezug entdecken. Etwa wenn Katrin Huke in „Du hast den Farbfilm vergessen“ ihren Urlaubsgefährten zurechtweist: „Nun glaubt uns kein Mensch, wie schön‘s hier war!“ Da kündigten sich schon in den 70ern die Zwänge der Instagram-Gesellschaft an. Und wenn Svea Kirschmeier trotzig bekennt „Warum soll ich meine Pflicht als Frau erfüllen? Für wen? Für die? Für dich? Für mich?“, hallt das Echo der zurückliegenden Feminismusdebatten nach.

Überhaupt schwebt linke Identitätspolitik über allen Songs an diesem von Isabell Twiehaus konzipierten Abend. Auf der Rückwand steht sie mit Kreide angeschrieben. „Identität“ heißt es dort, oder auch „Identitti“, untermalt mit weiblichen Brüsten, eine Anspielung an Mithu Sanyals Roman aus dem Jahr 2021. Regisseur Wulf Twiehaus will damit wohl eine Brücke bauen in die Diskurse unserer Zeit, auf einem Lampenschirm klebt auch eine LGBT-Flagge. Man fragt sich nur, wie stabil eine solche Brücke sein kann, Hagens Haltung zu Transidentitäten zumindest ist umstritten.
Band
Die „Mother of Punk“ irritierte in ihrer Karriere mit Theorien zu Ufos, kosmischen Energien und der Leugnung von Aids. Auch ihr tiefer christlicher Glaube passte den linken Mitstreitern nie ins Konzept. Bei Isabell und Wulf Twiehaus dagegen wird alles Problematische, Widersprüchliche, Nichtkonforme konsequent ausgesiebt. Stattdessen philosophieren vier Akteure über die Gefahren des Rechtspopulismus und die Flüchtlingsrettung im Mittelmeer: wichtige Themen, zweifellos. Aber wer zu ihnen im Internet nach Äußerungen der echten Nina Hagen sucht, kann lange googeln. Als sie sich vor acht Jahren zuletzt öffentlich politisch positionierte, erklärte sie: „Ich bin im Team Sahra Wagenknecht.“

So wird man den Verdacht nicht los, hier werde eine Künstlerin für ein ganz bestimmtes Weltbild vereinnahmt. Was dabei nicht passend ist, wird halt passend gemacht, Hauptsache irgendwie links. Man feiert den Punk, indem man ihn beerdigt.
Die Songs selbst freilich funktionieren trotz alledem auch nach Jahrzehnten noch, bei der Premiere gibt es stehende Ovationen. Die Frau hinter diesen Songs aber ist uns fremd geblieben. Wahrscheinlich ist ihr das nur recht.
Kommende Vorstellungen: am 25. Februar, 1., 4. und 5. März. Weitere Informationen: www.theaterkonstanz.de