Am Tag nach der Ankündigung eines Lockdowns herrschte in der regionalen Kulturszene Rätselraten: Was genau bedeutet das jetzt für Museen? Und was für Bibliotheken? In der am Mittwochabend vorgetragenen Erklärung ist zwar von Theatern, Opern und Konzerthäusern die Rede gewesen, von Messen, Kinos und Freizeitparks. Sogar Bordelle fanden Erwähnung. Museen aber nicht.
„Das hat mich natürlich irritiert, dass unsere Häuser gar nicht vorkamen“, sagte gestern der Leiter des Kunstmuseums Singen, Christoph Bauer, gestern gegenüber dem SÜDKURIER. Gleichwohl hatte er schon früh keinen Zweifel: Die Museen sind mit im Boot, eine gerade erst eröffnete Ausstellung mit Werken von Thomas Kitzinger werde er wohl gleich wieder schließen müssen. Die Bestätigung kam erst am späten Nachmittag, tatsächlich sind Museen auch betroffen. Weiter unklar ist, was für Bibliotheken gilt.

Auch Bauers Kollege Tobias Engelsing vom Konstanzer Rosgartenmuseum war schon früh davon überzeugt, dass sein Haus für einen Monat schließen muss. Dabei sei diese Entscheidung sicherheitstechnisch kaum zu begründen. Das Museum verfüge über ein sehr gutes Hygienekonzept: „Es ist schon ein bisschen merkwürdig, wenn der Baumarkt um die Ecke öffnen darf und wir sollen schließen.“ Er sehe in der Entscheidung ein starkes Gefälle zugunsten der Marktwirtschaft und zulasten öffentlicher Bildungsaufgaben.
Unklarheit am Theater
Doch es sind keineswegs nur die ungenannt gebliebenen Institutionen, bei denen am Donnerstag Ungewissheit herrschte. Am Theater Konstanz kannte man gestern noch immer nicht die exakten Konsequenzen aus der Ankündigung vom Mittwochabend. Sollte zum Beispiel neben dem Aufführungs- sogar auch der Probenbetrieb ausfallen, dürfte sich die Pause deutlich über den November hinaus strecken, erklärte Pressesprecherin Dani Behnke. Klarheit soll am heutigen Freitag eine Krisensitzung bringen. In jedem Fall werde dafür gesorgt, dass die Abonnenten ausgefallene Termine ab Dezember nachholen können.
Dem ungeachtet machte Intendantin Karin Becker keinen Hehl aus ihrer Enttäuschung. Es sei falsch, die Theater zu schließen, teilte sie mit: „Unsere Hygienekonzepte funktionieren, und uns ist bisher kein Fall einer Theateraufführung in Deutschland bekannt, die sich zum Super-Spreader-Ereignis entwickelt hätte.“

Wenig Verständnis für die Maßnahmen bringt man auch bei der Südwestdeutschen Philharmonie auf. „Es breitet sich zunehmend Unverständnis über dieses undifferenzierte Vorgehen aus, auch bei mir“, erklärte Intendantin Insa Pijanka auf Anfrage. Die vereinten Anstrengungen, Kultur trotz Corona zu ermöglichen, seien umsonst gewesen, zumindest fänden sie „keinen Einzug in die gefällten Entscheidungen“. Noch schlimmer: Mit der Einstufung als Institutionen der „Freizeitveranstaltungen“ reduziere die Politik Kulturbetriebe auf ihren bloßen Unterhaltungswert. „In unseren Ohren klingen die gestrigen Worte zynisch.“
Katzenjammer prägt die Stimmung
An den privat geführten Bühnen ist der Katzenjammer groß. „Wenn die Theater die Superspreader wären, würde wir schließen, ohne dass man es uns vorschreibt“, sagt Oliver Nolte vom Überlinger Noltes Theater. „Aber das Gegenteil ist ja der Fall, da fehlt die schlüssige Begründung. Das macht es so schwer, das zu akzeptieren.“
Noltes Kommentar steht exemplarisch für die Stimmungslage in der Region. Man fühlt sich um den Lohn für monatelanges Engagement im Dienste der Pandemiebekämpfung gebracht. „Wir haben die Hygeneanforderungen bisher übererfüllt“, versichert der Überlinger Theatermann: „Wir haben in Lüftungsanlage und Luftfilter investiert, damit wir für den Winter gut gerüstet sind, machen Sprechtheater mit nur noch 25 Zuschauern. Und jetzt fallen wir pauschal unter ein Urteil.“
Auch Jochen Frank Schmidt vom Gloria-Theater in Bad Säckingen sieht sein Haus gegen Corona eigentlich ausreichend gerüstet. „Wir haben uns extra ein CO2-Messgerät angeschafft, um eine mögliche Aerosolbelastung ausschließen zu können“, berichtet er. Die Luft im Saal habe sich von der Außenluft kaum unterschieden: „Wir hatten quasi Open-Air-Bedingungen!“
Cornelia Hentschel, Leiterin der Singener Theaters „Die Färbe“, verweist auf die hohe Bedeutung der Nachvollziehbarkeit von Kontakten. In der Gastronomie war es diesbezüglich zu erheblichen Sicherheitslücken gekommen, weil sich Gäste mit Fantasienamen in die Listen eingetragen hatten. Ein solches Problem könne in der Färbe schon allein dadurch kaum auftreten, weil bereits mit der Kartenreservierung auch der jeweilige Name inklusive Telefonnummer hinterlegt werde: „Wir sind also doppelt abgesichert.“
Neben dem Frust über ihre erzwungene Auszeit treibt viele die Sorge um die finanzielle Situation um. Vergleichsweise zuversichtlich gibt man sich noch beim privat geführten Gloria Theater. Die Möglichkeit eines Lockdowns sei frühzeitig eingeplant worden, sagt Bühnenchef Schmidt, mit entsprechenden Rücklagen ließe sich der November überbrücken.
In Singen will derweil Färbe-Leiterin Cornelia Hentschel an die von der Politik versprochenen Hilfen erst glauben, wenn diese tatsächlich eingetroffen sind. In der ersten Pandemiewelle sei ihr Haus trotz großer Versprechungen durch sämtliche Raster gefallen: „Wir haben von der Kurzabeiterregelung profitiert, das war‘s dann aber auch schon.“ Sollte es sogar ein Probenverbot geben, wäre die ohnehin schwierige Situation nochmals ernster. Ob es so kommt, war in Singen gestern noch ebenso ungewiss wie in Konstanz: „Spätestens am Montag sollten wir dann ja mal Bescheid wissen!“
„Eine Katastrophe“
Die finanziellen Folgen aus der erneuten Schließung treffen nicht nur Privattheater. Auch öffentliche Häuser müssen nun mit harten Konsequenzen rechnen. Besonders deutlich wird die Konstanzer Theaterintendantin Karin Becker. Die nun zu erwartenden weiteren Einnahmeverluste, sagt sie, seien für ihr Haus schlichtweg „eine Katastrophe“.
Wo immer man sich umhört, eines ist allen Kulturschaffenden gemeinsam: die Sorge, mit ihrer geäußerten Kritik falsch verstanden zu werden. Er wolle sich nicht ins Fahrwasser der Coronaleugner begeben, betont Museumschef Tobias Engelsing. „Die Entscheidung wurde sicherlich nicht leichtfertig getroffen.“ Und der Bad Säckinger Theaterchef Schmidt stellt klar: „Mit Coronaleugnern habe ich nichts zu schaffen. Ich möchte zurzeit nicht Politiker sein und solche schwierigen Entscheidungen treffen müssen.“
In Pandemiezeiten Verantwortung zu tragen für kulturelle Einrichtungen, das mutet bisweilen an wie ein Drahtseilakt zwischen Staatsräson, Verzweiflung und der Sorge vor Beifall von falscher Seite. Und immer schwingt der Gedanke an die Zeit nach Ablauf der Auszeit mit: ob die Rückkehr in den Spielbetrieb dann so leicht gelingt, wie die Politik sich das vorstellt. „Heruntergefahren ist so ein Theater schnell“, sagt Cornelia Hentschel. „Im Wiederhochfahren liegt die eigentliche Herausforderung.“