Die radioaktiven Abfälle aus den Schweizer Atomkraftwerken sollen im Tongestein vergraben werden: Die Schweizer Politik hat das Entsorgungsproblem aufgegriffen, Spezialisten suchen nach technischen Lösungen. Bürgerinitiativen begleiten den Prozess aufmerksam. Aber wie lange ist diese Entsorgung sicher? Welche Risiken bestehen für uns und unsere Nachkommen? Wie können wir die Menschheit in der Zukunft davor warnen?

Genau dieses Szenario stellt die Zürcher Schriftstellerin Annette Hug in ihrem Roman „Tiefenlager“ dar. Die Geschichte erzählt von fünf Menschen, die eine „Arbeitsgruppe Transtemporaler Kompetenzerhalt“ gründen. Die philippinische Krankenpflegerin Betty Wang trifft in Hongkong die Finanzberaterin und Entwicklungshelferin Petra aus der Schweiz. Gemeinsam gründen sie nun ein Team, das die künftige Menschheit vor den Gefahren schützen will, in welche sie die heutige stürzt. Sie denken an eine Klostergründung, weil sie wissen, dass Klöster die langlebigsten Kompetenzzentren in der Geschichte waren. Zu ihnen gesellen sich der russische Kraftwerksarbeiter Anatol, der deutsche Nuklearphysiker Kurt und die französische Linguistin Cécile.

Um ihr Anliegen zu verwirklichen, sind vielfältige Kompetenzen nötig, die in den fünf Gründungsmitgliedern repräsentiert werden. Schließlich weitet sich die Gruppe aus, auch die Ich-Erzählerin schließt sich dem Team an, am Ende scheint sich die Idee über die ganze Welt auszubreiten.

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Annette Hug erzählt nicht linear, sondern in Schleifen und Rückblenden. Die Vorgeschichten und Motivationen der Ordensgründer werden nachvollziehbar. Aber auch die Schwierigkeiten bei der Arbeit, die Interventionen von außen und die Verwicklungen durch Menschliches und Allzumenschliches werden angedeutet: Eifersüchte, Liebesverwirrungen, der Alkohol.

Schauplatz ist ein ehemaliger Steinbruch, versteckt irgendwo im Wald. Das ist ein altes Motiv in der Schweizer Literatur. Vor 44 Jahren dachte sich Otto F. Walter in seinem Roman „Die Verwilderung“ ein ähnliches Setting aus: Da zogen sich junge Leute in die „Huppergrube“ vor der Stadt zurück, um neue Formen des Produzierens, Verwaltens und Zusammenlebens auszuprobieren.

Wissen weitergeben

Das Ziel der neuen Klostergründung ist, durch Weitergabe des angesammelten Wissens von Generation zu Generation dafür zu sorgen, dass kein Mensch durch Strahlung eines Endlagers für nukleare Abfälle getötet wird.

Annette Hugs schmales Werk ist ein poetischer Roman, der sich sensibel, sprachmächtig und mit vielen historischen und literarischen Bezügen auf ein Gedanken- und Erfahrungsexperiment einlässt.

Annette Hug: Tiefenlager. Roman. Erschienen im Wunderhorn Verlag Heidelberg. 216 Seiten, 24 Euro.