Seit Anfang November steht der Kulturbetrieb still. Wer glaubt, in digitalen Zeiten sei das nicht so schlimm, weil sich doch jedes Hör- und Seherlebnis ganz leicht ersetzen lasse, der täuscht sich. Aus folgenden fünf Gründen werden wir trotz Internet weiterhin Konzerte und Theaterabende vermissen:

1. Analoge Nähe ist nicht zu ersetzen

Wollen Künstler erfahren, wie ihre Darbietung beim Publikum ankommt, müssen sie dieses unmittelbar erleben. Kein „Gefällt-Mir“-Daumen und keine Amazon-Rezension kann ein spontanes Lachen, Seufzen oder Klatschen aus dem Zuschauerraum ersetzen. Und umgekehrt: Auch als Rezipient kann ich nur bei Live-Veranstaltungen erleben, dass Künstler sich von meiner Reaktion beeinflussen lassen. Wer war nicht schon mal davon überzeugt, dass sich die Zugabe seinem eigenen lautstarken Beifall verdankt?

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2. Fehler gehören dazu

Auf Bildschirmen ist alles perfekt, da trifft der Musiker jeden Ton, und die Schauspielerin spricht ihren Text mit traumwandlerischer Sicherheit. Wer darin nur Vorteile erkennt, bedenkt nicht, wie sehr tägliche Gewöhnung unsere Einstellungen prägt. Unsere Fehlertoleranz nimmt ab, anstelle des begeisterungsfähigen Bewunderers tritt der gelangweilte Konsument mit seiner perfektionistischen Anspruchshaltung.

3. Die Vielfalt ist auf der Bühne größer

Verfilmungen von Klassikern wie „Romeo und Julia“ gleichen einander – von Ausnahmen abgesehen – wie ein Ei dem anderen. Weil das Theater flüchtiger ist, kann und muss es viel unmittelbarer auf die Umstände seiner Zeit reagieren. Shakespeares Drama zeigt auf der Bühne ganz verschiedene Gesichter: Mal sehen wir darin eine Parabel auf die gesellschaftliche Spaltung, mal ein Stück über den Generationenkonflikt. Je nachdem, zu welcher Lesart sich Regisseure und Schauspieler von ihrer jeweils aktuellen Lebenswirklichkeit inspiriert fühlen. Nur eins ist es eher selten: eine bloße Liebesschnulze.

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4. Zuhause fehlt die Gemeinschaft

Auf dem Sofa daheim bleibe ich mit meiner Meinung weitgehend allein. Das macht denkfaul. Nur wer unmittelbar erfährt, dass andere in der vermeintlich langweiligen Darbietung sehr wohl einen Sinn erkennen, kann auch seine eigene Wahrnehmung hinterfragen. Im Gespräch über das Erlebte schärfen wir unsere Sinne und bilden uns ästhetisch weiter. Umgekehrt gilt: Wer Orte aufsucht, an denen man gemeinsam Kunst erlebt, der knüpft auch ganz von selbst neue Kontakte. Live-Kultur ist also auch gut fürs soziale Netzwerk.

5. Ohne Geld keine Kunst

Die digitale Kulturwelt der vergangenen zehn Jahre war zu schön, um wahr zu sein. Da kam die Musik wie die Schauspielkunst ganz umsonst ins Haus. Die Wahrheit ist: Ohne ihre Einnahmen aus Live-Konzerten hätten die meisten Musiker längst ihr Instrument zur Seite gelegt. Und hätten Schauspieler keine Bühnenengagements mehr, sähe bald auch der deutsche Film sehr alt aus.