Klack, Klack, Klack. Das rhythmische Stakkato dringt nachhaltend ins Ohr. Fürs Auge bleiben schließlich die von den Stilettoabsätzen der Tänzerinnen geformten Kupferplatten. Kupferreliefs, die nun in der Ausstellung „Crossing Traces“ im Bernauer Hans-Thoma-Museum an die spektakuläre Performance von Nevin Aladag auf der Venedig Biennale 2017 erinnern.
Nevin Aladağ 1972 in Van (Türkei) geboren und in Stuttgart aufgewachsen, zählt zu den prägenden Stimmen der internationalen Gegenwartskunst. Die in Berlin lebende Künstlerin überschreitet gerne Grenzen, interdisziplinär und geografisch: Sie lässt die Wüste erklingen, Basketbälle verkleidet sie mit Teppichen aus aller Welt. Möbelstücke bekommen Saiten aufgespannt und werden zu Musikinstrumenten. Sie sammelt aus unterschiedlichen Städten und Ländern Muster, die ihr in der Architektur, wie etwa dem Art Deco in Miami, begegnen. Daraus entwirft sie die Serie „Verwandtschaft der Muster“, die auch immer das Verbindende der unterschiedlichen Kulturen betonen.
Textiles Gewebe als Bild für soziales Gefüge
Für ihre Serie „Social Fabric“ nutzt sie Teppiche unterschiedlicher Herkunft, Fertigungsweise und Qualität. Die textilen Wandbilder drücken künstlerisch aus, was die sprachliche Metapher „social fabric“ eigentlich meint, nämlich das textile Gewebe als Bild für das soziale Gefüge. Für diese Vielfalt und das Spiel mit Zuschreibungen, Bedeutungen und Materialien wurde Nevin Aladağ jüngst mit dem baden-württembergischen Landespreis für Bildende Kunst ausgezeichnet. Geehrt für ein singuläres Werk mit einer komplexen Vielfalt, die Grenzen als verbindendes Element ansieht. Eine Vielfalt, die nun mitten im beschaulichen Schwarzwald mit repräsentativen Beispielen aus dem umfangreichen Werk eindrucksvoll vermittelt wird.

Nevin Aladağ hat schon an vielen für die Kunst relevanten Orten ausgestellt. Bei der documenta 14 in Kassel und Athen war sie dabei, auf der Biennale di Venezia hat sie mit „Raise the Roof“ die Wände zum Wackeln gebracht. In zahlreichen bedeutenden Sammlungen, darunter die Sammlung des MoMA New York, das Centre Pompidou Paris und das Kunsthaus Zürich ist sie vertreten. Sie wurde mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet, den Landespreis hat sie bekommen, im nächsten Jahr erhält sie den Kurt-Schwitters-Preis.
Bernau passt ins Beuteschema
Und nun also ausgerechnet Bernau. Eine Gemeinde weitab der Metropolen. Natürlich musste sie zuerst einmal auf der Landkarte schauen, wo dieser Ort liegt, aber gerade diese Gegend mit ihrer charakteristischen Kultur fällt doch auch in Aladağ künstlerisches Beuteschema. Trotz der institutionellen Anerkennung bleibt ihre künstlerische Haltung neugierig, experimentell und offen für unerwartete Begegnungen zwischen Materialien, Klängen und Kulturen. Es gehe darum, dass es im Prinzip keine Grenzen gebe und die Ornamente nicht aufzuhalten seien, so die Künstlerin. Ihre Kunst ist immer auch Ausdruck, wie man Grenzen aufsprengen kann, gedankliche, aber eben auch räumliche. Ihr Werk, so wird es beim Rundgang überzeugend visuell und akustisch vermittelt, entfaltet sich zwischen Skulptur, Installation, Video, Performance und Soundkunst – stets mit einem wachen Blick für kulturelle Codierungen, urbane Räume und das Wechselspiel zwischen Identität, Klang und Ornament.
Möbelstücke zu Musikinstrumenten
Bekannt wurde Aladağ vor allem durch Arbeiten, in denen sie Alltagsgegenstände zu Musikinstrumenten umfunktioniert. In ihrer Werkreihe „Music Room“ verwandelte sie Möbelstücke aus Trödelläden in bespielbare Objekte. Musik und Klang erscheinen in Aladağ Werk jedoch nie isoliert, sondern stets in Beziehung zu ihrer kulturellen und sozialen Umgebung.
So inszeniert sie Performances im öffentlichen Raum, bei denen Musikinstrumente von Wind, Wasser oder städtischer Architektur zum Klingen gebracht werden, und erforscht damit, wie Orte selbst zu Resonanzkörpern werden, dokumentiert in den Videoarbeiten. Stuttgart hat sie mit Musikinstrumenten, die an Spielgeräten angebracht waren, ganz menschenlos zum Klingen gebracht – eine Referenz an ihre Heimatstadt, die man dauerhaft im Stuttgarter Kunstmuseum erleben kann.
Spiel mit Symbolen und Erwartungen
Aladağ arbeitet oft mit einer subtilen Ironie, die Klischees und kulturelle Zuschreibungen unterläuft. Sie spielt mit tradierten Symbolen, formalen Erwartungen und den Codes der Repräsentation, ohne sich in eindeutigen Aussagen festzulegen. Ihre Werke funktionieren als offene Systeme, in denen Betrachter eigene Bedeutungen einbringen können.
Mit Konsequenz und künstlerischer Leichtigkeit gelingt es Aladağ, scheinbar feste kulturelle Zuschreibungen zu durchbrechen und neue Resonanzräume zu schaffen. In einer Zeit, in der kulturelle Differenzen oft als Trennlinien diskutiert werden, eröffnet Aladağ so wichtige Räume, in denen Unterschiede als produktive Spannung sichtbar und hörbar werden.
Ausstellung „Nevin Aladağ – Crossing Traces“ im Hans-Thoma-Museum Bernau, Rathausstr. 18, bis 5. Oktober. Mittwoch bis Freitag 10.30 – 12 Uhr und 14– 17 Uhr, Samstag und Sonntag 11.30–17 Uhr.