Nicht weniger als 60 Musiker gehören zum Ensemble der Südwestdeutschen Philharmonie. Zusammen auftreten können sie zurzeit aber nicht. In der Coronapandemie machen die Hygienevorschriften mit den gebotenen Sicherheitsabständen nämlich auch vor Konzertbühnen nicht halt.
Im Rückwärtsgang zum Barock
In den Eröffnungskonzerten zur neuen Saison waren dennoch alle zu hören: zunächst die Bläser mit Harfe, Klavier und Schlagzeug, später die Streicher mit der „Großen Fuge“ von Beethoven und zusammen mit der Geigerin Sueye Park in den „Vier Jahreszeiten“ von Antonio Vivaldi – ein Konzert in verschiedenen Besetzungen und im Rückwärtsgang von der Moderne über die Klassik zum Barock.
Der Norweger Aulis Sallinen schreibt auch 1976 noch tonale Musik, und man erkennt sofort einen Meister der Instrumentation. Das Bläserensemble unter Ari Rasileinen lotete seine „Palace Rhapsodie“ gekonnt aus und präsentierte eine vergnügliche Eröffnungsmusik, zum Beispiel Sallinens Vorliebe für tiefe Register mit dem gelungenen Zusammenklang von Klavier und Bassklarinette oder seine interessanten Klangideen beim Duett von Kontrafagott und Woodblocks.

Die späten Streichquartette Beethovens werden oft als sperrig, unzugänglich oder allzu abstrakt empfunden, auch noch 250 Jahre nach seiner Geburt. Die „Große Fuge“, das erste Finale seines B-Dur-Streichquartetts, op. 130, hat das Fassungsvermögen der Zeitgenossen von 1826 besonders überfordert. Auf Bitten seines Verlegers komponierte Beethoven für das Streichquartett schließlich ein neues Finale und ließ die Fuge später als separates Werk herausgeben. Bis heute sind die Anforderungen des Satzes an die Ausführenden und die Hörer immens.
Die Aufführung durch die Streicher der Philharmonie war aber eine Delikatesse. Rasilainen schien das Streichquartett als Vorbild zu nehmen und verlieh schon am Beginn dem mit scharfen Sekunden und Septimen ausgestatteten Thema eine leichte Unbekümmertheit – im Gegensatz zu der schroffen, manchmal sogar martialischen Wucht, wie sie in der Orchesterfassung oft zu hören ist. Er gab den dissonanten Partien die notwendige Vehemenz, fand aber auch die gelöste Ruhe im Meno-mosso-Abschnitt und gönnte den Musikern die Unbeschwertheit des abschließenden Allegros.
So lernte man Beethoven von einer ganz anderen Seite kennen. Seine kompositorische Meisterschaft äußert sich hier nicht in plakativer Dramatik oder großen Steigerungen, sondern vielmehr im vergeistigten Spiel der Emotionen.

Auch die Koordination schien kein Problem zu sein, trotz der großen Abstände zwischen den an Einzelpulten spielenden Musikern. Ohne den Bläser- und Schlagzeugdruck von hinten zeigte sich, dass die Philharmonie ein großartiges Streicherensemble sein kann.
Antonio Vivaldi hatte 1725 seine Kunstfertigkeit in den Dienst einer programmatischen Idee gestellt und mit den Violinkonzerten op. 8 die Jahreszeiten in hübschen Szenen porträtiert: So hört man das Tanzen der Nymphen im Frühling, das Seufzen und Schmachten der Menschen in der Sommerhitze, wildes Jagdgetöse und gesellige Erntedankfreude im Herbst und die Erstarrung der Natur im Winter. Vivaldi erzählt vom Kreislauf der Natur, die zu seiner Zeit noch keine Schlagzeilen machte und keine Diskussionen auslöste, als noch nicht von Erderwärmung, Treibhausgasen und Waldbränden die Rede war, sondern nur vom Einklang der Natur mit den Menschen – für uns heute pure Idylle.
Die „Jahreszeiten“ hört man selten in großer Besetzung und meist ist auch ein Dirigent nicht nötig. Aber auch die größere Besetzung hat ihre Reize, wie die Philharmonie unter Ari Rasileinen zeigen konnte. Piano-Forte-Wechsel auf engstem Raum kommen plastischer, die „Gewitterszene“ hat mehr Kraft und das konzertante Miteinander wird farbiger. Viele Momente der Aufführung bleiben in Erinnerung: Im Frühlingskonzert der leise knurrende Schäferhund (Bratsche) im sanften Rauschen der Blätter oder der von der Solovioline entfachte Wintersturm, der nach und nach alles erfasst.
Sueye Park mit feinem Gespür
Der jungen Sueye Park war der anspruchsvolle Solopart der vier Konzerte anvertraut. Sie nahm die Aufgabe beherzt an, mehr Solistin als „pima inter pares“, stark im Ton und technisch souverän, im Tempo bisweilen etwas voraus, aber mit feinem Gespür im Duett mit der ebenbürtigen Konzert-meisterin Kyoko Tanino. Klanglich konnte sie besonders überzeugen, wenn bei leisen Passagen der Bogendruck etwas gelockert wurde und so die überragende Qualität ihres Instruments zum Vorschein kam.
Sueye Park krönte ihren Auftritt mit einem Komponisten, der von Vivaldi viel gelernt hat, ihn aber um Weiten übertreffen sollte. Die Luft im Konzilssaal war noch frisch, als der letzte Ton der mehrstimmigen Bach-Zugabe verklang und die Verzauberung im Publikum hielt noch einige Augenblicke an. Solistin und Dirigent hatten die Bühne bereits verlassen, doch als die Orchestermusiker sich ebenfalls zum Aufbruch erhoben, gab es erneut Starkapplaus – ein schönes Zeichen der Wertschätzung des Publikums für ihre Philharmonie.