Taylor Swift ist eine Schöpferin. Sie hat keinen Planeten hervorgebracht – um sie dreht sich gleich ein ganzes Universum: das Taylorverse. Das Sonnensystem mit ihr im Zentrum erreicht beinahe biblische Ausmaße. Was sie sagt, ist Gesetz. Als sie Amerika zum Wählen aufruft, folgen zehntausende Registrierungen.

Wenn sie singt: Mache Freundschaftsarmbänder, nutze den Moment und koste ihn aus, verstehen es ihre Jünger als Aufforderung. Sie knüpfen, flechten und tauschen bunte Armbänder, die wie Erkennungszeichen am Handgelenk baumeln. Im Zeichen dieser Perlenketten versammeln sich Swifties nun bei den Konzerten wie zu Glaubenskongregationen und feiern ihr Evangelium.

Social-Media-Meisterin

Der Kulturwissenschaftler Jörn Glasenapp ist einer dieser Swifties und Wissenschaftler in Personalunion. Der Professor für Literatur und Medien an der Universität Bamberg hat jüngst eine Monografie über Swift veröffentlicht – und war bereits auf drei Konzerten der laufenden Eras-Tour. Für ihn ist Swift eine Meisterin im Umgang mit Instagram und Co. Soziale Medien stärken die Verbindung zwischen Fans und Star ebenso wie der Fans untereinander, sagt Glasenapp.

Jörn Glasenapp ist Swiftie und Wissenschaftler in Personalunion. An der Universität Bamberg gab er im Wintersemester 23/24 ein Seminar ...
Jörn Glasenapp ist Swiftie und Wissenschaftler in Personalunion. An der Universität Bamberg gab er im Wintersemester 23/24 ein Seminar zu Taylor Swift. | Bild: Claudia Lillge

Auf diesem Weg weiß Swift als Unternehmerin, die sie ist, was ihre Kunden wollen. Und das ist lange gediehen. Seit Beginn ihrer Karriere 2006 nutze die Sängerin die sozialen Medien, erzählt der Wissenschaftler. Im Country-Bereich, wo sie musikalisch wurzelt, sei diese Art der direkten Kommunikation damals neu gewesen. Seit sie diesen Grundstein gelegt hat, binde sie weiter Fans an sich. Und ihre Anhängerschaft wächst unaufhörlich. Aber warum?

Ein Universum für alle

Die Bindung von Fan und Star fällt zwischen Swifties und Swift ungewöhnlich interaktiv aus. Was Fans posten, kann plötzlich Teil eines Songs oder der Bühnenshow werden. Beispielhaft dafür steht der kollektive Ausruf ‚1,2,3, let‘s go bitch‘: Swift fordert ihn vom Publikum regelmäßig ein, zählt jedes mal mit, als handele es sich um eine eigens erschaffene Choreografie.

Dabei geht die Erfindung auf eine Konzertbesucherin vor einigen Jahren zurück. Nur hat sich dieser damals scheinbar zusammenhanglose Zuruf zur kollektiven Aneignung des angespannten Verhältnisses von Swift und Rapper Kanye West verselbstständigt. West hatte die Sängerin unter anderem als ‚Bitch‘ beschimpft. Aus Momenten wie diesem ist Swifts Universum übervoll.

Es wimmelt vor Anspielungen, Parodien, Symbolen. So sehr, dass sogar in Anlehnung an Marvels unübersichtliche Superheldengeschichten, dem MCU, vom TCU gesprochen wird, von Taylors Cinematic Universe.

Swift ist wie eine große Schwester

Das kommt nicht von ungefähr, denn Swift will eine Erzählerin sein. Früh erkennt sie, jedes Album soll eine eigene Ära prägen. So schildert sie es in einem Promo-Film für die seit 2023 laufende Eras-Tour. Wo Erzählung ist, ist auch Fiktion. Und so entwirft jedes Album eine andere Taylor Swift, mal anrüchig, mal rachsüchtig – mal bunt, mal monochrom. Und mit den Alben wandelt sich auch die Musik. Stilistisch ist sie so ungreifbar wie die dauerironisierten Kommentare im Internet. Jeder kann sich die Taylor greifen, die er braucht – musikalisch wie charakterlich.

Die Netflix-Dokumentation „Miss Americana“ präsentiert Swift als Sängerin der Krisen. Alle werden gebeutelt, nur sie bleibt stehts aufrecht. Gestützt durch die Liebe ihrer Fans, weil sie ihnen wie Sankt Martin ein Stück ihres Mantels schenkt. Denn unter der mystischen Aura ihrer interpretationsschwangeren Erscheinung schlägt ein ganz gewöhnliches Herz. Bei all den übermenschlichen Rekordmarken, die sie regelmäßig knackt, hat sie doch etwas ganz Irdisches. Glasenapp vergleicht die Beziehung der Fans zu Swift mit dem Verhältnis zu einer großen Schwester.

Musik für alle

Ihre Texte erzählen von ihren Beziehungen, schildern ihr Seelenleben. Sie eröffnet uns ihr Innerstes, und wir können Parallelen zu uns selbst finden. Pfarrer Vincenzo Petracca stellte Swift Mitte Mai in der Heiliggeistkirche in Heidelberg sogar ins Zentrum zweier Gottesdienste. Die Frage warum, beantwortet er dem SÜDKURIER damit, weil sie den Menschen Halt gebe, weil sie ihnen vermittelt, dass sie ähnliche Situation durchgemacht hat. Weiter schreibt er: „Sie verwendet bildmächtige Methapern, die sehr offen sind und es ermöglichen, sich selbst und seine Lebenssituation in die Leerstelle einzufügen“.

Dadurch suggerieren die Texte laut Jörn Glasenapp Nähe. Swifts Zeilen sind aufgrund ihrer Offenheit und Mehrdeutigkeit in viele Richtungen anschlussfähig und lassen queere, politische, autobiographische oder persönliche Lesarten zu. Überhaupt geht es in ihren Texten viel um das Selbst: Selbstermächtigung, Selbstfindung, Selbstvergessenheit. Sie wirkt so nahbar und bleibt doch so fern. So umgibt sie neben all den konkreten Größen etwas Rätselhaftes, die Anziehungskraft des Ungewissen.

Ein Swiftie muss im Irrgarten der Symbole und Hinweise des Taylorverse erstmal die Orientierung behalten. Hier, beim Konzert in ...
Ein Swiftie muss im Irrgarten der Symbole und Hinweise des Taylorverse erstmal die Orientierung behalten. Hier, beim Konzert in Edinburgh etwa, mit Freundschaftsarmbändern und der Taylor Swifts Glückszahl 13 auf der Hand.07.06.2024, Großbritannien, Edinburgh: Fans verfolgen den Auftritt von Taylor Swift auf der Bühne ihrer Eras Tour im Murrayfield Stadium in Edinburgh. Foto: Jane Barlow/PA Wire/dpa – ACHTUNG: Nur zur redaktionellen Verwendung und nur mit vollständiger Nennung des vorstehenden Credits +++ dpa-Bildfunk +++ | Bild: Jane Barlow/PA Wire/dpa

Musik von einem anderen Stern?

Pop-Theoretiker Diedrich Diedrichsen definiert Popmusik als den „Zusammenhang aus Bildern, Performances, meist populärer Musik, Texten und an reale Personen geknüpfte Erzählungen“. Taylor Swift ist demnach personifizierter Pop. Die Narrative kreisen um sie wie Sterne. Zusammen ergeben sie die Konstellation Taylor Swift.

Da blinkt die Erzählung von der Frau, die all die Männer besiegt hat, die sich an ihr bereichern und sie klein halten wollten. Es leuchten aber auch die rechten Verschwörungsmythen über Swift als Erfüllungsgehilfin der Demokraten. Gleichzeitig strahlt das Identifikationspotenzial ihrer Texte. Ihre Geschichte, ihre Texte, ihre Auftritte verselbstständigen sich in den Vorstellungswelten der Menschen. In diesem Sinne ist sie ein wahrer Popstar, denn sie gehört uns allen.

Monarchin der Musik

In dieser erhabenen Position wirkt sie wie eine Mutterfigur, wie eine Kümmerin für die weniger Einflussreichen. Im Namen der Frauen führte sie einen Prozess wegen sexueller Belästigung eines ehemaligen Produzenten – und gewann. Im Namen unbekannter Künstler und Debütanten zog sie gegen Apple zu Felde – und gewann. Als Goliath zieht sie gegen andere Goliaths zu Felde, um ihn für David entschieden zu schwächen.

Die Grenzen zwischen Samariterin und Geschäftsfrau verlaufen dabei fließend. Das entschiedene Auftreten heute, hängt mit Abhängigkeits-Erfahrung von früher zusammen: Als 14-Jährige unterschrieb sie einen Vertrag mit Big Machine Records für sechs Alben. Die lieferte sie auch. Mit dem 2017 veröffentlichten „Reputation“ war das Abkommen erfüllt. Doch als kurz darauf der Manager Scooter Braun die Mehrheitsrechte am Label und damit auch an Swifts Musik erwarb, ging sie einen bis dato unbekannten Weg. Sie nahm ihre ersten sechs Alben kurzerhand erneut auf und setzte hinter den Albumtitel in Klammern Taylor‘s Version.

Doch anders als im Film, wo der Zusatz eine neue Schnittfassung oder einen Director‘s Cut erwarten ließe, zeigt er hier schlicht ein Besitzverhältnis an. Denn sie wollte die Rechte nicht bei einem Menschen wissen, der sie ihrer Aussage nach, gemobbt hatte. So ist sie zur Monarchin eines Binnenstaates des Musikgeschäfts geworden – und zur ersten Pop-Milliardärin.

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Als diese selbstermächtigte und emanzipierte Frau hat sie es zum Vorbild vieler geschafft. Doch Glasenapp wirft hier ein: „Ihr Feminismus ist weniger stark ausgeprägt als etwa der von Beyoncé. Im Gegensatz zu ihr lässt Swift den Faktor Intersektionalität weitgehend außen vor.“ Das heißt, sie berücksichtigt kaum den Kampf um Gleichstellung, der die zeitgleiche Mehrfachdiskriminierung etwa aufgrund des Geschlechts, der Hautfarbe und der Ethnizität benennt.

Swift bewohnt die privilegierte Welt einer weißen Frau, die aus der oberen Mittelschicht stammt und beste Startbedingungen für ihre Karriere hatte. Sie musste sich nicht zu ihrer Hautfarbe verhalten wie Beyoncé, sie muss sich nicht zu ihrer sexuellen Orientierung äußern wie Billie Eilish. Sie konnte schweigen und ihre Musik produzieren.

Die Politik Taylor Swifts

„Taylor Swift steht für ein inklusives und diverses Amerika. Sie ist das Gegengift zur Politik von Trump, Putin und der AfD“, meint Glasenapp. Inzwischen hat sie sich positioniert, setzt sich für die LGBT-Gemeinschaft ein, richtet sich gegen Gesetze, die Abtreibung ablehnen. Warum sie damit so lange haderte, schildert der Dokumentarfilm „Miss Americana“. Darin sagt Swift, sie habe immer die Haltung verfolgt, „lass die Leute ihr Leben leben“. Sie wolle so sein, dass niemand irgendetwas gegen sie vorbringen könne, sagt sie.

Aus ästhetischen Gesichtspunkten komponiert sie diese Haltung ihrer Musik ein. Swift schafft einen Durchschnitt – nicht nur weil ihre Musik wenig virtuos komponiert oder gar spielerisch wirkt, nein – sondern schlicht weil sie die Charts bestimmt. Als ihr aktuelles Album „The Tortured Poets Department“ erscheint, belegte sie zeitweise 32 Plätze der Billboard-Hot-100-Charts, einschließlich der gesamten Top Ten.

Ihre Songs zu hören, geht mit der Erleichterung einher, nicht aufzufallen. Man verschwindet in der Ruhe der Menge, im Gleichlauf der Gesetzmäßigkeit. Mit ihrer Musik und ihren Texten verwandelt sie Normalität in einen Sehnsuchtsort. Swift bildet einen Ballungsraum des Gemäßigten. Hier geht es um vermeintliche Starbucks-Liebhaber, Champagner-Probleme und das Gefühl, sich wie ein zurückgelassener Cardigan zu fühlen. Sie besingt die Götzenbilder der Mittelklasse – meist der weißen Mittelklasse.

Taylor Swift eröffnet einen Rückzugsort, einen Safespace, für Menschen, die sich gerade mal keine Gedanken über Krieg und Klima machen wollen, die sich gerade nicht mit ihrer privilegierten Stellung als Weiße auseinandersetzen wollen. Gesellschaftliche Brandherde können weitgehend ausgeklammert werden.

Damit eröffnet sie einen Rückzugsort für Menschen, die sich gerade mal keine Gedanken über Krieg und Klima machen wollen, die, ohne es für die ganze Gesellschaft einzufordern, links sein wollen – jeder für sich, als ein kleiner Stern im Universum von Taylor Swift.