Am Ende ist man einfach nur erschöpft. Dabei sind drei Stunden inklusive Pause für einen Opernabend eigentlich völlig im Rahmen. Aber dieser „Tancredi“ zieht sich, will kein Ende nehmen. Nach den üblichen Missverständnissen zwischen zwei Liebenden, die natürlich nicht per Gespräch aufgeklärt werden, sondern geradewegs in den Tod führen, werden in Gioachino Rossinis Oper das Schicksal beklagt, der Schmerz besungen und schließlich doch noch die wahre, unschuldige Liebe erkannt.
Aber da ist es schon zu spät, die tödliche Verletzung bereits unumkehrbar, was Tancredi natürlich nicht an einem langen Abgesang hindert. Opernverächter dürften sich an diesem Abend bestätigt fühlen.
Aber nein, Musiktheater ist nicht immer so. Und ja, es wird schön gesungen, zumindest in den beiden Hauptrollen mit Mélissa Petit als Amenaide und Anna Goryachova als Tancredi. Darauf sollte es bei einer Belcanto-Oper ja schließlich primär ankommen. Und doch stellt sich nach der Premiere im Bregenzer Festspielhaus die Frage, ob es nicht auch für wenig gespielte Werke ein Recht aufs Vergessenwerden geben sollte, mögen sie zu ihrer Zeit noch so erfolgreich gewesen sein.
Rossinis großer Erfolg
Tatsächlich war „Tancredi“ (1813) Rossinis erster großer Erfolg und seine erste Opera seria, also ernste Oper. Damals war er erst 21 Jahre alt, hatte aber zuvor schon neun Opern komponiert. Eine Wahnsinns-Produktivität. Und gleich im raschen Teil der Ouvertüre zeigt sich auch der charakteristische Rossini-Ton, sein Schwung und seine typische Leichtigkeit.
Schlank und transparent klingen auch die Wiener Philharmoniker mit Yi-Chen Lin am Pult. Anliegen der Dirigentin ist allerdings auch, manche allzu tänzerisch-leichte Nummer auf ihren tragischen Charakter hin zu befragen, weswegen sie das Tempo bremst. Was die Sache wiederum weiter in die Länge zieht. Irgendwann fehlt einfach der Gegenpol zu den getragenen Nummern, mögen sie noch so zärtlich und intim klingen.
Hier regiert der Machismo
Regisseur Jan Philipp Gloger macht sich die Tatsache, dass der männliche Held Tancredi eine Hosenrolle ist, also von einer Frau gesungen wird, zunutze und zeigt das zentrale Paar in einer lesbischen Beziehung. Dadurch soll plausibel werden, warum ihre Liebe geheim gehalten werden muss. Zusätzlich verlegt er die Handlung in das Mafia- und Drogenmileu, wo der Machismo regiert und Homosexualität verpönt ist.

Ein netter Versuch, der das Stück letzten Endes aber auch nicht rettet. Zumal der Ansatz auch neue Probleme mit sich bringt. Etwa den, dass die verkleidete Tancredi von den übrigen Mafiosi partout nicht als Frau erkannt, sondern als ihresgleichen betrachtet wird.
Und dass Tancredi am Schluss, während die Polizei die Mafia-Villa stürmt (Bühne: Ben Baur), nichts Besseres zu tun hat, als sich aktivistinnenmäßig mittels eines Transparentes als lesbisch zu outen, um sich anschließend von einem Polizisten erschießen zu lassen, ist nun auch nicht viel weniger an den Haaren herbeigezogen als die Originalhandlung.
Bleibt, wie gesagt, der Gesang. Und hier sticht vor allem Mélissa Petit mit ihren wunderbaren Belcanto-Girlanden hervor. Doch schon bei Anna Goryachova hat man den Eindruck, dass ihr die Partie des Tancredi eigentlich etwas zu tief liegt und sie ihre Stärken gar nicht voll aussingen kann.
Antonio Siragusa als Mafia-Boss und Amenaides Vater arbeitet in den Tenor-Höhen mit zu viel Kraft und zu wenig Sauberkeit. Und Laura Polverelli als Amenaides Mutter Isaura (im Original ist sie ihre Vertraute) bleibt stimmlich wie auch in der Rolle selbst ohne Durchsetzungskraft. Andreas Wolf komplettiert das Ensemble als zweiter Mafia-Boss, den Amenaide eigentlich heiraten soll und der später im Kampf gegen Tancredi stirbt.

Große Mühe gibt sich die Regie auch mit dem Prager Philharmonischen Chor, unter den sich einige Performer der Stunt Factory mischen, um das nötige Testosteron in die Mafia-Truppe zu bringen. Also wird jede Gelegenheit genutzt, um zu raufen, zu kämpfen und zu stechen (Kampfchoreografie: Ran Arthur Braun). Spannender wird es dadurch auch nicht. Freundlicher Applaus vom Festspielpublikum.
Eine weitere Aufführung gibt es am 29. Juli um 19.30 Uhr. Informationen dazu finden Sie hier.