Wie kein anderer Komponist hat Ludwig van Beethoven die über 120 Jahre alte Geschichte des Kinos beeinflusst. Laut Internet-Datenbank IMDB gibt es allein über hundert Filme, in denen Beethoven eine mehr oder minder große Rolle spielt; der erste („Beethoven“) ist bereits 1909 entstanden. Ungleich eindrucksvoller ist allerdings die Zahl jener 1200 Produktionen, in denen Beethovens Kompositionen verwendet worden sind. Eine aktuelle Aufsatzsammlung („Vom Klang bewegt“, Bertz + Fischer) beschreibt, wie sich Kino und Fernsehen Beethovens Musik zunutze gemacht haben.
Grausame Gehirnwäsche
Der umstrittenste dieser Filme ist „Clockwork Orange“ (1971). Stanley Kubricks Verfilmung des gleichnamigen Science-Fiction-Romans von Anthony Burgess sorgte auch hierzulande für große Empörung, weil Hauptfigur Alex (Malcolm McDowell), sadistischer Anführer einer Jugend-Gang, seine Grausamkeiten bevorzugt zur Musik des von ihm verehrten „guten alten Ludwig van“ begeht. Die zeitgenössische Kritik hat dem Film Glorifizierung von Gewalt und Faschismus vorgehalten. Klassikfreunde waren ohnehin schockiert: Am Ende wird Alex einer Gehirnwäsche unterzogen; fortan wird ihm jedes Mal übel, wenn er eine Komposition Beethovens hört.

Der Komponist und sein Werk spielten auch in der Zeit des „Dritten Reichs“ eine große Rolle. Selbstverständlich haben die Nationalsozialisten versucht, „die musikalische Hochkultur als nationale Kulturleistung zu vereinnahmen“, wie es Emily Dreyfus (Universität Chicago) in ihrem Buchbeitrag über Beethoven im NS-Kino („Widerhall des Unbehagens“) formuliert. Trotzdem hat die vom Propagandaministerium kontrollierte deutsche Produktionsfirma Ufa zwischen 1933 und 1945 keinen einzigen Film über Beethoven drehen lassen.
Der Bonner Komponist, schreibt die Germanistin, erscheine in den Produktionen jener Jahre „gerade nicht als übermenschlicher Titan oder Repräsentant einer monumentalen ‚deutschen Kunst‘, sondern als deutlich komplexere Projektionsfläche.“ Die Musik werde vielmehr auf irritierende Weise ambivalent eingesetzt: Einerseits gelte sie „als Symbol der Hochkultur“, andererseits erscheine sie als Zeichen des Verfalls.

Diese Erkenntnis ist durchaus überraschend, denn der landläufigen Meinung zum Trotz war zumindest laut Dreyfus nicht etwa Richard Wagner, sondern Beethoven der musikalisch meistzitierte Komponist im NS-Kino. Dennoch verweist die Autorin auf gleich mehrere Filme, in denen seine Musik als filmischer Beleg für die Verweichlichung junger Männer herhalten muss: Wer „die Kunst über den Krieg stellt, stößt gerade unter den Vertretern der patriarchalischen Ordnung auf Argwohn und Skepsis“.
Auch das Popcorn-Kino hat sich Beethovens Musik immer wieder gern bedient. Das Spektrum reicht von der Science-Fiction-Klamotte „Bill und Teds verrückte Reise durch die Zeit“ (1989) bis zu Quentin Tarantinos Western „Django Unchained“ (2012). Gerade das melancholische Allegretto aus der 7. Sinfonie wird immer wieder gern genommen, etwa als musikalisches Leitmotiv in John Boormans Fantasy-Film „Zardoz“ mit Sean Connery oder in „X-Men: Apocalypse“ (2016) oder – effektvoll – auch in „The King‘s Speech“: Regisseur Tom Hooper nutzt den Satz zur dramatisierenden Untermalung der titelgebenden Rundfunkansprache Georg VI., mit der der britische König 1939 Deutschland den Krieg erklärt.

Besonders oft erklingt Beethovens Musik naturgemäß in den Filmen über den Komponisten. Das gilt natürlich auch für „Louis van Beethoven“ von Niki Stein, der sich in seinem ausgezeichneten biografischen Drama auf drei Altersphasen konzentriert. Wie in vielen Beethoven-Filmen (etwa „Ludwig van B. – Meine unsterbliche Geliebte“ mit Gary Oldman, 1994, oder „Klang der Stille“ mit Ed Harris, 2006) wird das Leben des Komponisten vom Ende her erzählt. Auch bei Stein bilden die letzten Monate die Rahmenhandlung: Beethoven (Tobias Moretti) ist nach wie vor voller Schaffensdrang, kann seine Meisterwerke aber selbst nicht mehr hören.
Seine Verbitterung resultiert jedoch auch aus dem Unverständnis der Welt: Wie die meisten Genies ist er seiner Zeit weit voraus. Einen besonderen Reiz verdankt der Film der Entscheidung des Regisseurs, die Musik nicht nachträglich dazuzumischen, sondern während der Aufnahmen live durch das Czech Ensemble Baroque auf historischen Instrumenten einspielen zu lassen.
Stephan Ahrens (Hrsg.): „Vom Klang bewegt. Das Kino und Ludwig van Beethoven“. Bertz + Fischer, Berlin. 116 Seiten, 15 Euro.