Die Nachricht vom Tod des Schriftstellers Martin Walser erschüttert die Literaturszene. Gegenüber dem SÜDKURIER haben sich am Wochenende zahlreiche Schriftsteller und Verleger geäußert.

„Wir alle werden lange brauchen, um wirklich zu begreifen, was wir an ihm verloren haben“, erklärte Klaus Isele, der erst vor wenigen Monaten in seinem Verlag Walsers letzten Gedichtband herausgegeben hatte. „Kaum einer konnte so virtuos wie er Wörter in die Welt bringen, atemberaubende Sprachuniversen errichten und ein Leben führen, das aus exzessivem Lesen, Schreiben, Vorlesen und Bücherveröffentlichen bestand. Mehr kann man aus einem einzigen Leben nicht herausschöpfen.“

Die Vorarlberger Bestsellerautorin Monika Helfer teilte uns mit, Martin Walser begleite sie, seit sie mit dem Schreiben begonnen habe: „Und das ist eine lange Zeit. Umso mehr bin ich traurig, dass er nicht mehr in unserer Welt lebt.“

Monika Helfer
Monika Helfer | Bild: Sebastian Gollnow

Ihr Ehemann und Autorenkollege Michael Köhlmeier schreibt in einer „Verneigung vor Martin Walser“: „Wer in fünfzig, hundert Jahren über alle Geschichtsbücher hinaus wissen möchte, wie die Menschen nach dem Zweiten Krieg in Deutschland lebten, dem wird nichts anderes übrig bleiben, als in Chronologie das Werk von Martin Walser zu lesen. Und im Abstand der Jahre werden die Bücher dieses letzten Großmeisters des deutschen Gesellschaftsromans ein über ihre Zeit hinausreichendes Bild der conditio humana zeichnen, wie wir es von den Werken eines Honoré de Balzac kennen.“

Michael Köhlmeier
Michael Köhlmeier | Bild: Jan Woitas

„Die Welt wird ärmer“, kommentierte Gaby Hauptmann: „Martin Walser, ein großer Denker, einer, der für seine Ansichten einstand, ein Kämpfer, der sich mit Unbequemem auseinandersetzt hat, der dabei privat charismatisch und humorvoll geblieben ist, bereichernd für jeden, der mit ihm umging, ein Mann mit Zwang zum Schreiben, weil heraus musste, was er in sich fühlte – er ist gegangen.“ Was bleibe, sei eine große Lücke und Erinnerungen: An viele schöne Stunden mit ihm und seiner Frau Käthe blicke sie voller Dankbarkeit zurück. „So ein Mann ist nicht ersetzbar.“

Bild 3: Von Gaby Hauptmann bis Monika Helfer: Kollegen würdigen Martin Walser
Bild: Gaby hauptmann

Matthias Ackeret, Schweizer Verleger und Publizist, bezeichnete Walser als eine „einzigartige Mischung aus Weltautor und schwäbischem Heimatdichter, wobei zweiteres keineswegs abwertend sein soll“. Walser habe den Bodensee zu seiner literarischen Bühne gemacht. „Man kann nicht an den Bodensee denken, ohne Walser im Hinterkopf zu haben.“

Die Verbindung zwischen dem Autor und seiner Heimat kam auch der Schriftstellerin Zsuzsanna Gahse als erstes in den Sinn. „Die persönlichen Gespräche mit ihm am See bleiben unvergesslich“, schrieb sie uns. „Martin Walser und der Bodensee!“

Zsuzsanna Gahse
Zsuzsanna Gahse | Bild: Yves Noir Photographie

Und die Literaturwissenschaftlerin Susanne Klingenstein erinnerte sich: „Zum Schönsten im Leben gehörte für mich, im Sommer zwischen Martin und Käthe Walser auf ihrer Terrasse in Nußdorf sitzen zu dürfen. Der See glitzernd zu Füßen; eine dampfende Seeforelle vor uns; der Literaturbetrieb weit weg.“ Es habe Pausen in Walsers rastlosem Leben gegeben, in denen er Schönheit tankte. Dabei sei der See für ihn „das Erlebnis der puren Notwendigkeit“ gewesen. „Er lehrte uns das Schauen am See“, sagte Klingenstein.

Susanne Klingenstein
Susanne Klingenstein | Bild: Kopitzki, Siegmund

Die Konstanzer Literatur- und Kulturwissenschaftlerin Aleida Assmann erinnerte an Walsers umstrittene Rede in der Frankfurter Paulskirche 1998, die vor dem Hintergrund heutiger Erfahrung mit Populisten als ein Spiel mit dem Feuer des Ressentiments erscheinen könnte. „Das war es aber nicht, denn Walser war ein Stimmensammler, der dem kollektiven Unbewussten in seinem Inneren Raum bot. Gefühle waren für ihn eine kostbare Währung, sie waren verbindlich gerade in ihrem Widerstreit. Walser war kein Populist, der vom Hass gesteuert ist, sondern ein Seismograph mit einem großen Herzen, der fast ein Jahrhundert deutscher Geschichte in sich trug.“

Aleida Assmann
Aleida Assmann | Bild: Uni KN

Manfred Bosch, von Walser selbst einmal als „literarischer Sekretär der Region“ bezeichnet, war dem Dichter bereits im Jahr 1966 erstmals begegnet. Er besuchte ihn damals für die Schülerzeitung des Radolfzeller Gymnasiums. Seine Werke, erzählte er nun, habe er schon in dieser Zeit gelesen: „Nächst Hans Magnus Enzensberger wurde kein Autor wichtiger für mich.“ 14 Jahre später habe er wegen der Gründung einer literarischen Zeitschrift erneut Kontakt zu Walser gesucht. „Er zeigte spontan Interesse, wurde einer ihrer Herausgeber und fand auch den Titel ‚Allmende‘. Damals lernte ich ihn näher kennen und erlebte ihn als wunderbaren Kollegen, in dessen Haus man nicht nur gern gesehener Gast war; er interessierte sich auch für meine Arbeit und förderte sie nach Kräften.“

Manfred Bosch
Manfred Bosch | Bild: Kopitzki, Siegmund

Den Schweizer Schriftsteller Thomas Hürlimann hat imponiert, dass Walser stets unbeirrt sagte und schrieb, was er empfand und dachte. „Nie ging er Arm in Arm mit dem Zeitgeist“, schreibt er in seiner Mail an den SÜDKURIER. „Die, die ihn anpissten, überragte er wie ein Riese. Er war ein Dichter. In seinem Sound bin ich als Leser zu Hause. Das ist meine Heimat. Und die wird mit den Jahren gültiger, wahrer, schöner.“ Walser habe seine Figuren geliebt und verstanden. Und zwar selbst dann, wenn sie, wie die Mutter des Protagonisten im Roman „Ein springender Brunnen“ (1998), der Partei beitreten, um die Gastwirtschaft durch die braunen Jahre zu bringen: „Das hat Walsers Landsleute oft verstört.“

Thomas Hürlimann
Thomas Hürlimann | Bild: Urs Flueeler

Martin Walser wurde 96 Jahre alt, er hinterlässt seine Frau und fünf Kinder. Zu ihnen zählt neben den vier Töchtern Franziska (Schauspielerin), Johanna (Schriftstellerin und Übersetzerin), Alissa (Schriftstellerin und Malerin) sowie Theresia Walser (Dramatikerin) auch der Publizist Jakob Augstein. „Ein Trost in trauriger Stunde: Nie hat ein Dichter eine liebere Frau gehabt“, schreibt Hürlimann: „Käthe und Marin Walser waren ein Traumpaar. Ich bin dankbar, dass ich ihr Gast sein durfte.“

Stimmen aus der Politik

Auch in der Politik erfuhr die Nachricht vom Tod Martin Walsers große Resonanz. Nachfolgend eine Auswahl der wichtigsten Wortmeldungen.

  • Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier: „Wenn man in der deutschen Nachkriegsliteratur ein Beispiel nennen sollte für historisch bewusste, engagierte Dichtung, wer anders würde einem zuerst einfallen als Martin Walser?“
  • Bundeskanzler Olaf Scholz: „Martin Walser hat die Literatur der Bundesrepublik über Jahrzehnte geprägt. Seine Bücher haben Generationen gelesen, seine Freude am Argument hat uns viele lebhafte Debatten beschert.“
  • Claudia Roth, Kulturstaatsministerin: „In seinen literarischen Werken hat er die bürgerlichen Fassaden des Nachkriegsdeutschland als hohlen Schein entlarvt und ist dem Seelenleben der Deutschen auf den Grund gegangen.“
  • Winfried Kretschmann, Ministerpräsident von Baden-Württemberg: „Als scharfer, tiefgründiger, immer wieder auch streitbarer Beobachter und Kommentator hat Walser der bundesrepublikanischen Geschichte der Nachkriegszeit seinen Stempel aufgedrückt. Seine Romane sind Spiegel und Reflexionsort der deutschen Zeitgeschichte und zugleich empathische und detailgenaue Studien der menschlichen Gattung.“