Herr Ladwig, tagtäglich sterben Tausende Schweine und Rinder in deutschen Schlachtbetrieben. Aber niemand würde darauf kommen, unbekümmert seinen Golden Retriever zu essen. Warum?
Das Golden-Retriever-Beispiel stammt von der Psychologin Melanie Joy, anhand dessen sie zeigen wollte, wie willkürlich diese Einteilung ist: in Haustiere, die dazu da seien, uns als Gefährten Freude zu spenden. Und in Nutztiere, um von uns konsumiert zu werden. Das ist eine kulturell erklärbare Unterscheidung, die aber auch in Zeit und Raum variiert – angeführt wird ja immer wieder das Beispiel China und die dortige Sitte, Hunde zu essen.
Welche Tiere wir essen und welche nicht, ist also davon abhängig, wo wir leben?
Ja, genau, solche Entscheidungen sind kulturell erklärbar, aber damit noch lange nicht moralisch gerechtfertigt.
Allerdings sind wir sehr wohl dazu verpflichtet, moralisch verantwortlich mit Tieren umzugehen…
Ja, das stimmt, aber nur nach Maßgabe dessen, was wir moralisch einsehen. Niemand nimmt uns die moralische Verantwortung dafür ab, was den Tieren zusteht und was nicht. Die Tiere selbst können das ja nicht tun. Es ist wichtig, dass wir uns wohlwollend in die Tiere hineinversetzen. Ihre Perspektive verstehen – um beurteilen zu können, was für sie zuträglich ist und was nicht.
Die bildhafteste Form, Tiere dem menschlichen Willen zu unterwerfen, ist es, einen Zoo anzulegen. Sollten Zoos also abgeschafft werden?
Das wäre nicht meine allererste Priorität. Sondern eher, zunächst all die Tiere möglichst nicht mehr für die Zoohaltung zu züchten, die in Zoos kein gutes Leben haben. Das sind dummerweise genau solche, die Zoos für viele Besucher interessant machen – Eisbären, Tiger, Elefanten. Also große, lauffreudige Tiere. Selbst wenn man weiterhin Wildkaninchen oder Faultiere in Zoos halten könnte, weil sie auch dort ein gutes Leben haben, wäre das sicherlich nichts, was Zoos attraktiv und rentabel hält.
Selbst Wildparks, in denen Tiere bessere Möglichkeiten haben, sich zu entfalten, sollten überhaupt nur noch zugelassen werden, solange sie gut überwacht sind, von Fachleuten betrieben werden und nur solche Tiere einschließen, die wirklich dadurch ein besseres Leben haben können als alternativ in freier Wildbahn.
Und wie sollten wir künftig mit Haustieren umgehen?
Ich würde nur solche Tiere als Haustiere zulassen, die durch die Haustierhaltung ein für sie erfreuliches Leben haben können. Die es zum Beispiel genießen, mit Menschen zusammen zu sein. Es gibt zu diesen und ähnlichen Zwecken gezähmte und gezüchtete Tiere, Hunde sind hier das einfachste Beispiel.
Sie sind bis in ihre genetische Grundausstattung hinein darauf optimiert, mit Menschen zu agieren. Hunde können zum Beispiel menschliche Gesten besser deuten, als Schimpansen. Das ist ein Hinweis darauf, dass es für solche Tiere große Vorteile bringen kann, wenn sie mit verantwortungsbewussten Menschen zusammenleben.
Und um was geht es Ihnen genau?
Die Grundidee ist zunächst: Tiere gehören sich selbst. Sie sind in der Welt, um gut gedeihen zu können. Nun versuche ich zu zeigen, dass das nicht für alle Tiere kategorisch ausschließt, dass sie weiterhin mit Menschen zusammenleben. Ich plädiere also nicht für die Abschaffung jeder institutionalisierten Tierhaltung. Weil es Möglichkeiten gibt, diese gerechter auszugestalten.
Damit wende ich mich gegen Autoren, die der Auffassung sind, dass jedwede Haltung von Tieren durch Menschen im Grunde genommen schon als solche ein Unrecht ist. Das scheint mir die schlechtere moralische Alternative. Ich versuche eine Theorie der politischen, der gerechten Einbeziehung von Tieren zu entwickeln, die aber eine Vermenschlichung vermeidet.
Für das Gemeinwohl sind allein wir zuständig und verantwortlich. Ich bestreite, dass es Tieren etwas bringt, wenn wir sie als Aktivbürger anerkennen würden. Die Verantwortung für kollektiv verbindliche Entscheidungen und Gesetze bleibt eine menschliche. Wir müssen auch institutionell dafür Sorge tragen, dass die Tiere, mit denen wir ein Gemeinwesen teilen, in dieser Gesetzgebung fair behandelt werden.
Im deutschen Tierschutzgesetz steht: „Niemand darf einem Tier ohne vernünftigen Grund Schmerzen, Leiden oder Schaden zufügen.“ Wir alle kennen aber auch die Umstände sogenannter Intensivtierhaltung und deren Missstände. Verstoßen wir also täglich gegen die Gesetze, weil wir unsere eigenen Interessen über die der Tiere stellen?
Wir verstoßen ständig gegen das Tierschutzgesetz, und zwar nicht nur gegen dessen Geist, sondern auch gegen dessen Wortlaut. Dabei greift das Tierschutzgesetz selbst aus meiner Sicht aber auch viel zu kurz. Weil es schon unter der Voraussetzung steht, dass wir bestimmte Tiere zu wirtschaftlichen Zwecken halten, um sie selbst oder ihre Produkte zu verwerten. Was als vernünftiger Grund gilt, wird denn auch eingeschränkt durch wirtschaftliche Erwägungen.
Ein moralisch-erheblicher Grund, ein tierliches Bedürfnis zu missachten, wäre sicherlich, wenn für Menschen die Gesundheit oder das Weiterleben auf dem Spiel stünde. Relevant ist aber nicht die bloße Präferenz für Fleisch – zu der hätten wir ja Alternativen.
Ist das Tierschutzgesetz aus Ihrer Sicht also eher zugunsten der Menschen als der Tiere gemacht?
Ja, auch weil es akzeptiert, dass gewisse Tiere als sogenannte Nutztiere auf der Welt sind. Sie werden allein zu wirtschaftlichen Zwecken gehalten, um sie selbst oder ihre Produkte zu verwerten. Das Tierschutzgesetz schließt zwar eine ökonomisch nicht notwendige oder sogar kontraproduktive Quälerei als unverhältnismäßig aus. Aber es disqualifiziert nur den Exzess, nicht den Normalfall der Nutzung.
Haben Menschen und Tiere also auch nicht dieselben Grundrechte?
Nein, sicherlich nicht. Erstens gibt es Grundrechte im juristischen Sinn und da würden die meisten Juristen sagen: In diesem Sinn haben nur Menschen Grundrechte, aber Tiere nicht. Aber im moralischen Sinn kann man sagen, dass auch Tiere Rechte haben sollten, das ist auch meine Position. Aber sie sollten sie nach Maßgabe dessen haben, was sie brauchen und wozu sie fähig sind. Und natürlich gibt es da Unterschiede – sowohl zwischen Menschen und Tieren als auch innerhalb der Tierwelt.
Das müssen Sie ein bisschen erklären.
Solche Unterschiede sind nicht willkürlich. Natürlich sind Tiere und Menschen in moralischer Hinsicht verschieden. Wenn ein Tier zum Beispiel nicht gesellig veranlagt ist, hat es nichts von einem Recht auf bestimmte Formen des sozialen Lebens. Wenn es aber ein gesellig veranlagtes Tier ist, dann sollte es auch als ein soziales Wesen Berücksichtigung finden.
In Ihrem Buch heißt es, dass sich unsere Nachfahren einmal für unser Konsumverhalten schämen werden – aber ist Ihr Wunsch nach einer fleischlosen Gesellschaft nicht eine hoffnungslose Utopie?
Ja, vielleicht schon. Aber ich hatte das Gefühl, dass ich als politischer Philosoph noch etwas dazu sagen kann. Aus meiner Sicht geschieht ein großes Unrecht an Tieren in einer Gesellschaft, die sich eigentlich etwas auf Humanität und ihre Achtung von Grundrechten zugutehält.
Was sollten wir aus Ihrer Sicht also tun?
Ich würde sagen, wenn wir können, sollten wir als Verbraucher Produkte, für die Tiere gelitten haben und gestorben sind, vermeiden. Aber wenn jemand nicht gänzlich auf solche Produkte verzichten will oder aus gesundheitlichen Gründen nicht kann, sollte er trotzdem etwas für gerechtere Verhältnisse tun und seine Rolle als Bürger wahrnehmen. Viele Veränderungen sind nur durch eine andere Gesetzgebung zu erreichen. Nicht allein durch eine Veränderung des Verbraucherverhaltens.