Frau Ottinger, herzlichen Glückwunsch zum Hans-Thoma-Preis. Sie stehen jetzt in einer Reihe mit Christa Näher, Platino und Andrea Zaumseil, um nur die letzten drei Preisträger zu nennen. Welche Bedeutung hat der regionale Preis für Sie?
Ich mache keinen Unterschied zwischen regionalen, überregionalen oder internationalen Preisen. Ich finde, man arbeitet, damit das gesehen wird, was man macht. Und wo immer es gesehen und gewürdigt wird, ist das wunderbar. Das ist der Sinn der Arbeit, dass man das Ergebnis teilt und mit den Menschen ins Gespräch kommt, sie anregt oder herausfordert. Aber eigentlich sind alle Reaktionen und Gespräche, die sich daraus entwickeln, wichtig.
Wenn eine Würdigung aus Ihrer Heimat kommt, da muss doch die Freude doppelt so groß sein?
Natürlich freut mich das besonders. Lange Zeit ist ja mein Schaffen nicht gesehen und anerkannt worden Aber vielleicht muss man nur älter werden. Dann wird die Seriosität dessen, was man macht, nicht mehr infrage gestellt. (lacht)
Die bisherigen Preisträger sind Maler und/oder Bildhauer. Sie aber vereinen in Ihrer Person mehrere künstlerische Richtungen: bildendende Kunst, Fotografie und Film. Sie scheiben Drehbücher und sind Schriftstellerin. Am Theater und der Oper haben Sie auch schon Regie geführt … Sie konnten und wollten sich nicht für nur einen Weg entscheiden?
Ich habe von Anfang an in unterschiedlichen Medien gearbeitet und ebenso unterschiedliche Interessen verfolgt. Es gab eine Zeit, in der ich vielleicht zum Theater gegangen wäre. Als junger Mensch habe ich Mini-Rollen am Stadttheater Konstanz angenommen. Die darstellende Kunst hat mich fasziniert.
Danach gab es eine lange Phase, in der ich mich mit Ethnologie beschäftigte. Aber auch die vergleichende Religionswissenschaft faszinierte mich. Anfang der 1960er-Jahre wandte ich mich der Malerei zu. In Paris lernte ich bei Johnny Friedländer verschiedene, auch experimentelle Radiertechniken kennen. Ich war damals von Klee, aber auch von den Surrealisten beeindruckt. In Paris begann ich mich für den Film zu interessieren, der seinerzeit in Frankreich eine Blüte erlebte – im Unterschied zum deutschen Kino.
Bald verstand ich, dass der Film ein Medium ist, mit dem alle Künste und Wissenschaften praktiziert werden können. Nach meiner Rückkehr nach Konstanz Ende der 60er-Jahre wurde die Filmarbeit wichtig, der Weg dorthin verlief über die Malerei. In der Folge habe ich auch für den Film gezeichnet, so etwa Kostüme. Und im Übrigen: Bei meinen Ausstellungen waren neben den Bildern auch Elemente wie Musik oder Bücher dabei. Ich habe immer an das große Ganze gedacht.
Inwiefern hatten die Bodensee-Landschaft, in der Sie aufgewachsen sind, und die Menschen Einfluss auf Ihre Entwicklung? Schon in Paris hatten Sie ein Drehbuch verfasst, das im Titel auf die Mongolei anspielt. Das Projekt wurde nie realisiert. In Allensbach bei Konstanz lebte der Schriftsteller und Maler Fritz Mühlenweg, der in den 20er- und 30er-Jahren mit Sven Hedin Reisen nach Asien unternommen und darüber geschrieben hat …
Bei dem Drehbuch „Die mongolische Doppelschublade“, an das Sie erinnern, spielt die Mongolei nur im Titel eine Rolle. Aber natürlich waren das Land und seine Bevölkerung durch Fritz Mühlenweg, dessen Bücher ich als Jugendliche leidenschaftlich und mit großer Faszination gelesen hatte, eine Inspiration für mich. Ich hatte ihn ja noch persönlich kennen gelernt und mich mit seinen Kindern angefreundet. Er hatte ein enormes Wissen über die Mongolei und er konnte es uns Kindern auf eine unglaublich spannende Art und Weise nahbringen. Am Ende seines Buchs über die Wüste Gobi gibt es ein Glossar über mongolische Wörter, die ich auswendig gelernt habe.
Natürlich hat die kindliche Faszination dazu geführt, dass ich mich für die Mongolei, für Asien, für das dortige Theater und die dramaturgischen Tanzformen zu interessieren begann und mich später ernsthaft damit beschäftigte.

Sie haben sich mit Ihren avantgardistischen Filmen dem kommerziellen Kino verweigert. Aber wie hätten Sie auf einen Anruf aus Hollywood reagiert?
Ja, hätte ich gesagt, wenn ich hätte machen können, was ich wollte. Und der Anruf kam tatsächlich. Nach dem Fall der Mauer 1989 wurde ich gefragt, ob ich Lust hätte, über das Ende der deutschen Teilung einen Spielfilm zu machen. Meine Antwort war: Eine Dokumentation mache ich sofort, aber einen Spielfilm sehe ich nicht. Sie hätten gerne etwas gehabt mit Herz und Schmerz.
Ich habe mich unabhängig davon immer wieder um Kooperationen bemüht, aber es ist nie etwas daraus geworden. Solche Projekte kosten wahnsinnig viel Geld, dazu kommen Auflagen der Gewerkschaften. Und prominente und professionelle Schauspieler gemeinsam mit Laienschauspielern zu kombinieren, was ich öfter gemacht habe, ist für Hollywood auch eher untypisch.
Welche Auswirkungen, glauben Sie, hat Covid-19 auf den Film, aufs Kino insgesamt?
Das waren schwere anderthalb Jahre für das Kino. Mein neuer Film „Paris Calligrammes“ war genau zwei Wochen im Kino. Der Film erhielt wunderbare Kritiken und lief allein in Berlin in sieben verschiedenen Kinos. Ich bin in zehn Städte gereist, um den Film vorzustellen. Dann kam der Lockdown. Dasselbe ist mir in den USA passiert, wo ich zwei große Retrospektiven hatte. In New York lief die Retrospektive ganze zwei Tage, ebenso in Los Angeles und noch an einigen anderen Orten der Staaten. Dann musste ich 24 Stunden vor dem Flug die Tournee absagen – ich hatte drei Monate Aufenthalt eingeplant.
Die Filme liefen online, wir hatten unzählige Zoom-Konferenzen, aber ich liebe dieses Format nicht. Ich will die Reaktionen der Menschen sehen und spüren. Ich habe kürzlich im Rahmen eines Festivals in Zürich den „Pink Apple“ erhalten, einen Preis für mein Filmschaffen. Das war nach dem Lockdown mein erster Live-Auftritt. Darauf folgte eine Filmreise nach Österreich. Die beiden Ereignisse zeigten mir, dass es einen großen Wunsch der Menschen gibt, nicht nur der Cineasten, ins Kino zu gehen, sich zu sehen, sich auszutauschen. Ich hoffe, dass die Kinos weiter bestehen werden.
Sie haben zuletzt auf die Ausstellung in Bernau im Hans-Thoma-Kunstmuseum hingearbeitet, gibt es auch ein neues Filmprojekt?
Ja, das gibt es, eine Familiengeschichte, die in Indonesien spielt. Ich wollte auf einer kleinen Insel im Pazifik drehen. Aber das Land ist momentan schlimm von Covid-19 betroffen. Nach einigen Zoom-Konferenzen mit der Familie und den Verwandten haben wir entschieden, das Projekt um ein oder zwei Jahre zu verschieben. Ich möchte auch keinen Film machen, solange man Abstand wahren muss, um nicht zu erkranken. Das widerspricht dem, was man im Film tut und überhaupt der Arbeit mit Menschen. Vor Bernau habe ich zwei Ausstellungen in Berlin kuratiert und im Januar 2022 eröffne ich eine neue Ausstellung in der Kunsthalle Baden-Baden.
Sie leben und arbeiten zwar seit Anfang der 70er-Jahre in Berlin, aber Sie haben immer noch einen Koffer am Bodensee …
Ja, das ist wahr. Ich habe mich in den vergangenen Monaten privilegiert gefühlt, dass ich in Hegne der Corona-Pandemie ausweichen konnte. Das ist mir immer wieder bewusst geworden. Ich konnte die Zeit aber auch gut nutzen. Die Konzepte für Bernau und Baden-Baden sind hier entstanden. Ich konnte ein produktives See-Leben führen.