Christoph Wagner

Sommer 1970: Westdeutschland befindet sich im Festivalfieber. Der Woodstock-Film ist gerade angelaufen und ein großes Rockfestival jagt das andere. Ob in Hamburg, Berlin, Essen, Köln, München oder Düsseldorf – überall ziehen Zehntausende zu den Open Airs.

Erster Plan: Bodensee-Stadion

Bereits ein Jahr zuvor hatte sich der Pädagogikstudent Horst Werb aus Reutlingen mit dem Festivalvirus infiziert. Derart begeistert war er aus England vom Popfestival auf der Isle of Wight zurückgekehrt, dass er den Betreiber der Reutlinger Diskothek „Black Mustang“, Heinz Bertsch, überreden konnte, in Südwestdeutschland ein ähnliches Festival zu veranstalten. Der Bodenseeraum mit seinen vielen Touristen erschien als idealer Austragungsort, wobei sich das Konstanzer Bodensee-Stadion für das zweitägige Open Air anbot. Als Termin einigte man sich auf den 8. und 9. August 1970.

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Werb, der Erfahrung als Rockkonzertveranstalter hatte, stellte das Programm zusammen, Bertsch sorgte für die nötigen Finanzmittel. Eine zugkräftige Headliner-Band zu finden, hatte oberste Priorität. Eine englische Agentur bot Gitarrenstar Peter Green an, der ein Vierteljahr zuvor bei Fleetwood Mac ausgestiegen war (erst vor wenigen Wochen wurde sein Tod vermeldet). Jetzt wartete die Popwelt auf seine Wiederkehr. Das wäre natürlich der Knüller gewesen: der erste Comeback-Auftritt von Peter Green bei der „Greatest Show at Bodensee“!

Mit diesem Plakat wurde noch fürs Bodensee-Stadion geworben – der Auftrittsort wurde später verlegt.
Mit diesem Plakat wurde noch fürs Bodensee-Stadion geworben – der Auftrittsort wurde später verlegt. | Bild: Haus der Geschichte Baden-Württemberg, Sammlung Rupert Leser

Kaum war man mit der Konstanzer Stadtverwaltung einig geworden, meldeten sich auch schon Gegner zu Wort, die Stimmung gegen „Gammler“ und „Langhaarige“ machten. „Daraufhin hat uns die Stadtverwaltung an den See verbannt. ‚Klein Venedig‚ hieß das Behelfsareal,“ erinnert sich Bertsch. „Das Gelände war schlecht absperrbar, und wir haben viel mehr Ordner gebraucht. Ich habe sehr viel Leute durch den See schwimmen sehen, um sich das Eintrittsgeld zu sparen.“

„Wir waren grüne Jungs“

Die Verbannung nach „Klein Venedig“ blieb nicht der einzige Rückschlag. Bald begannen sich die Schwierigkeiten zu häufen. „Wir waren grüne Jungs und besaßen keinerlei Erfahrungen mit Popfestivals. Die hatte es in Deutschland vorher noch nicht gegeben,“ erzählt Horst Werb. „Wir mussten uns auf die englischen Agenturen verlassen, auch auf die Gefahr hin, über den Tisch gezogen zu werden. Wir hatten feste Zusagen, doch dann kamen die Verträge nicht.“

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Als klar wurde, dass „Top Act“ Peter Green nicht kommen würde, machte sich Untergangsstimmung breit. Doch an Rückzug war nicht mehr zu denken. Die Agentur in London bot die amerikanischen Hardrocker MC5 als Ersatz an, was notgedrungen akzeptiert wurde. „Was sollten wir machen? Wir standen mitten im Taifun,“ erinnert sich Werb.

Die Rockgruppe Swegas bei ihrem Auftritt.
Die Rockgruppe Swegas bei ihrem Auftritt. | Bild: Haus der Geschichte Baden-Württemberg, Sammlung Rupert Leser.

Zu allem Übel nahm jetzt auch noch das Schweizer Boulevardblatt „Der Blick“ das Festival ins Visier. Die Schweizer Popfans wurden eindringlich vor dem Besuch der „Betrugsveranstaltung“ gewarnt, weil etliche der angekündigten Bands nicht auftreten würden. Und dann verschwor sich auch noch der Wettergott gegen die Veranstalter. ‚Es war ein Traumsommer, der schönste Sommer seit langem,“ erinnert sich Heinz Bertsch. „Und genau an diesem Wochenende schüttete es mit Kübeln.“

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Auftritte verspäteten sich, ewiglange Umbaupausen entstanden. Ab und zu fiel wegen Nässe die Verstärkeranlage aus. Musiker mussten ihre Auftritte strecken, weil die nächste Band noch nicht eingetroffen war. Und natürlich war viel weniger Publikum da als erwartet: Gerade mal ein paar Tausend pro Tag.

Aus Plastikplanen und Brettern bauten die Popfans Notunterkünfte, verkrochen sich in Zelte und unter Schirme. „Vom Festivalgeschehen habe ich wenig mitgekriegt, weil es so geregnet hat,“ erzählt Uta Rapp. „Wir sind zwei Tage zu sechst in einem 3-Mann-Zelt gehockt und kaum rausgegangen. Wir haben die Bands vom Zelt aus gehört.“

Es schüttete aus allen Rohren, doch weder Publikum noch Musiker ließen sich davon beirren.
Es schüttete aus allen Rohren, doch weder Publikum noch Musiker ließen sich davon beirren. | Bild: Haus der Geschichte Baden-Württemberg, Sammlung Rupert Leser.Archiv Christoph Wagner

Die Musik entschädigte wenigstens ein bisschen für all die Widrigkeiten. „Der Knüller war Daddy Longlegs aus den USA, die eine Supershow abzogen,“ erinnert sich der Konstanzer Ex-OB Horst Frank, der ebenfalls im Matsch saß. „Und wir kannten natürlich den Bluespianisten Champion Jack Dupree und die Hardrocker MC5. Die Stimmung war trotz des Regens toll!“

Auch der spätere „Schwoißfuaß“-Bandleader Alex Köberlein hatte sich aus seiner Heimatstadt Bad Schussenried nach Konstanz aufgemacht, allerdings fehlte ihm das nötige Geld für die Eintrittskarte: „Ich bin ums Festivalgelände herumgestrichen, und hab‘ so die Musik gehört,“ bezählt er. „Irgendwann hatte ich dann genug und bin wieder heimgefahren.“