Michelle, bei Ihnen ist gut was los. Erst die Teilnahme an „Let‘s Dance“, dann haben Sie als Präsidentin der deutschen ESC-Jury Punkte vergeben, Konzerte spielen Sie auch wieder, und nun kommt auch noch Ihr neues Album. Sind Sie froh, dass wieder so viel Action ist?

Natürlich. Ich genieße es, Vollgas geben und die Menschen mit meiner Musik erfreuen zu können. Aber ich mochte auch die Zeit, in der es ruhiger war. Ich bin kein Mensch, der frustriert zu Hause sitzt und „Ach, Menno, doofe Pandemie“ stöhnt. Ich habe mich eben so lange mit anderen Dingen beschäftigt.

Mit welchen zum Beispiel?

Ich habe mich noch mehr als sonst um meine drei Töchter gekümmert, und ich habe meinen Hunden viel Neues beigebracht. Ich fand die Zeit wertvoll und bereichernd. Wir haben etwas Schönes daraus gemacht. Außerdem habe ich online eine Fortbildung zur Ayurveda-Heilerin gemacht.

Worum geht es bei dieser Ausbildung?

Um den Einklang zwischen guter Ernährung, Bewegung und mentalem Wohlbefinden. Ich schätzte die ayurvedische Küche sehr, und ganz grundsätzlich finde ich es sehr wichtig, dass ich den Körper, der mich seit 50 Jahren durch die Welt trägt, pflege und auch mal dafür belohne, was er alles leistet.

Die Zwischenbilanz kann sich in der Tat sehen lassen. Auf Ihrem Album haben Sie 30 Songs aus 30 Jahren Michelle versammelt, darunter sind zwölf neue Stücke. Wie fühlt es sich an, die Karriere so an sich vorbeiziehen zu sehen?

Ungefähr so, als würde ich mir alte Fotos angucken. Da denkst du ja manchmal: „Mensch, wie habe ich denn da ausgesehen?“ So geht mir das auch bei meiner musikalischen Entwicklung. Meine Stimme hat sich verändert, die Sounds, die ich benutzte, klingen anders als früher, und überhaupt bin ich reifer geworden und kann meine Lieder heute mit viel mehr Lebenserfahrung ausfüllen als damals.

Auch deshalb hat es mir unfassbar viel Spaß gemacht, die alten Stücke zusammen mit dem Produzenten Tim Peters neu und in einer sehr zeitgemäßen Form aufzunehmen. Die Songs sind in den neuen Versionen lebendiger und einfach noch stärker. „Wer Liebe lebt“ zum Beispiel strahlt jetzt viel heller als im Original. Die neue Aufnahme ist ein richtiges Zauberwerk.

Das Album „30 Jahre Michelle. Das war‘s … noch nicht!“ ist bei Universal Music erschienen.
Das Album „30 Jahre Michelle. Das war‘s … noch nicht!“ ist bei Universal Music erschienen. | Bild: Universal Music

Sind Sie heute eine bessere Künstlerin und Sängerin als vor 20, 30 Jahren?

Ein „Besser“ oder „Schlechter“ gibt es für mich nicht. Damals war damals, und heute ist heute.

„Wer Liebe lebt“ ist Ihr bekanntestes Lied. 2001 wurden Sie damit beim ESC Achte. Wie hat sich Ihr Blick auf den Song über die Jahre verändert?

„Wer Liebe lebt“ trägt für mich die vielleicht wichtigste Botschaft überhaupt in sich. Wir brauchen diese Botschaft jetzt gerade mehr denn je, denn die Welt befindet sich in einem großen Umbruch. Viele Menschen sind momentan nicht so richtig bei sich, sie haben vielleicht Ängste, sind frustriert, erschöpft, fühlen sich alleine.

Und ja, gerade sind die Zeiten tatsächlich für viele besonders schwer – in Europa herrscht Krieg, alles wird teurer, die Leute fühlen sich bedroht und von allen Seiten in die Zange genommen. Doch das Licht, das es trotz allem gibt und dass die Menschen in sich selber finden müssen, um es weitergeben zu können, das ist nicht erloschen. „Wer Liebe lebt“ soll den Menschen helfen, dieses Licht zu finden.

Michelle beim Eurovision Song Contest 2001 in Kopenhagen – sie wurde Achte.
Michelle beim Eurovision Song Contest 2001 in Kopenhagen – sie wurde Achte. | Bild: Ulrich Perrey/dpa

Sind Sie generell als Künstlerin eine Lichtverteilerin?

Ja. Ich sehe mich als Botschafterin der Zuversicht. Meine Lebensaufgabe ist es, die Menschen glücklich zu machen und aus dem Trübsal zu holen – und sei es auch nur für die Dauer eines Konzerts. Liebe und Energie zu geben, sind Dinge, die mich auch ganz persönlich glücklich machen.

Aber auch Sie laufen ja nicht ständig mit einem Lächeln auf den Lippen durch die Gegend, oder?

(lacht) Lustigerweise versuche ich das tatsächlich. Man kann im Kleinen so viel verändern. Oft reicht es doch schon, die Menschen auf der Straße einfach anzulächeln, und sie freuen sich und lächeln zurück. Die allermeisten zumindest. Es gibt ja wirklich sogar Leute, die sich noch von einem Lächeln angegriffen fühlen. Denen kann auch ich dann nicht helfen. (lacht)

Ihr eigenes Leben war eine Achterbahnfahrt. Ist es da nicht manchmal schwierig, sich das Lächeln zu bewahren?

Nein. Egal, wie mir das Leben mitspielte: Auf der Bühne ist mein Licht nie erloschen. Das ist die Gabe, die ich habe.

Hat Ihre Musik Ihnen in schwierigen Zeiten Halt gegeben?

Mein Anker waren immer meine Kinder. Mein Fundament sind meine drei Töchter, die mich bei jedem Sturm festhalten und tragen. Und umgekehrt natürlich auch.

Michelle (links) und ihre 22 Jahre alte Tochter Marie sind beide in der Schlager-Branche unterwegs.
Michelle (links) und ihre 22 Jahre alte Tochter Marie sind beide in der Schlager-Branche unterwegs. | Bild: Britta Pedersen/dpa

Ihre Tochter Marie ist jetzt 22 und eine aufstrebende Kollegin von Ihnen. Sind Sie stolz auf sie oder sehen Sie ihre Schlagerkarriere mit Sorge?

Ich bin wahnsinnig stolz auf Marie, ich bin überhaupt sehr stolz auf alle meine Kinder. Ich denke, jeder Mensch sollte im Leben das tun, was ihn glücklich macht. Ich habe als Mutter die Aufgabe, meine Kinder in ihrem Plänen zu unterstützten und zu bestärken. Damit die Kinder ihren Lebensweg finden können, muss man ihnen ihre Träume auch ermöglichen. Und Marie macht das großartig. Sie wollte singen, seit sie drei ist. Ich sehe sie nirgendwo anders als auf der Bühne.

Mit „Vier Hände zwei Herzen“ haben Sie beide ein Duett aufgenommen. Ein Lied über die Liebe von Mutter und Tochter?

Hundertprozentig. Den Song hat Marie geschrieben. Wir wollten keine Ballade nach dem Motto „Mein Kind kriegt Flügel und fliegt davon“ machen, sondern eine richtig kraftvolle Mutter-Tochter-Nummer mit einer schönen Geschichte.

Michelle und Matthias Reim waren von 1999 bis 2001 liiert und verstehen sich immer noch gut.
Michelle und Matthias Reim waren von 1999 bis 2001 liiert und verstehen sich immer noch gut. | Bild: Oliver Killig/dpa

Auch mit Maries Vater Matthias Reim singen Sie. Wie heißt Ihr Lied noch mal?

(lacht) „Idiot“. Ach, Matthias. Wir haben eine enge Verbindung, die habe ich übrigens zu allen Vätern meiner Töchter. Wir sind eine Riesen-Patchwork-Familie. Matthias ist ja gerade nochmal Vater geworden, ich wünsche ihm wirklich nur das Beste. Matthias ist halt, wie er ist, und das ist auch gut so.

Jeder Mensch hat seine Ecken und Kanten, und man lernt im Leben unweigerlich voneinander. Wir haben ein Kind, und Marie wird ein Leben lang unser Bindeglied sein. Ich weiß ja auch aus eigener Erfahrung, wie es ist, wenn Eltern sich nicht gut verstehen: Das Kind fühlt sich immer verantwortlich. Daher ist meine Überzeugung: Erwachsene Menschen müssen Trennungen auch wie Erwachsene vernünftig regeln können.

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„Ich liebe dich, weil du ein Scheißkerl bist“, singen Sie in „Scheißkerl“, einem weiteren Michelle-Klassiker.

Tja, warum nur fühlt man sich immer wieder zu dieser Sorte Mann hingezogen? (lacht)

Ja, warum?

Da kommt dann eben nicht die spirituell erleuchtete, weise Michelle zum Vorschein. Sondern der Mensch Tanja, der eben auf Scheißkerle steht, scheinbar auch aus Erfahrungen nur sehr bedingt klug wird und immer wieder auf diese Typen reinfällt.

Problem erkannt, Problem gebannt?

Erkannt ja, aber meine Lektion fürs Leben habe ich immer noch nicht gelernt. Ich fühle mich nach wie vor von dieser Art Mensch angezogen.

Wie erkennt man einen Scheißkerl denn rechtzeitig?

Das ist ja genau das Problem – gar nicht! Sonst würde man sich ja gar nicht erst verlieben und ließe den Scheißkerl Scheißkerl sein. Wenn du erst mal die rosarote Brille auf hast und verliebt bist, siehst du einfach nicht, wen du vor dir hast. Irgendwann später erst nimmst du die Brille ab und realisierst, dass du besser das Weite suchen solltest.

Gibt es aktuell einen Kerl in Ihrem Leben, welchen Charakters auch immer?

Ich lebe schon seit sehr vielen Jahren allein und bin glücklicher Single. Ich bin nicht auf der Suche nach einem Mann. Aber wenn jemand auftauchen sollte, renne ich auch nicht weg. Ich glaube, aus dieser Mistkerl-Phase bin ich so oder so allmählich rausgewachsen. Ich weiß inzwischen besser, was ich will und was ich nicht will. Und ganz ehrlich: Die meisten Prinzen sind eben doch nur Frösche.

In diesem Jahr war Michelle (mit Christian Polanc) bei „Let‘s Dance“ dabei – sie musste die RTL-Show jedoch aus ...
In diesem Jahr war Michelle (mit Christian Polanc) bei „Let‘s Dance“ dabei – sie musste die RTL-Show jedoch aus gesundheitlichen Gründen vorzeitig verlassen. | Bild: Rolf Vennenbernd/dpa

Stichwort Prinzen: „Romeo und Julian“ ist einer der neuen Songs, er handelt von der Liebe zweier junger Männer. Ist Ihnen das Thema wichtig?

Ich habe viele Fans in der Gay-Community, und ich bin mir sicher, dass viele von ihnen „Romeo und Julian“ lieben werden. Wobei es ja längst sowas von normal und völlig unwichtig ist, wer mit wem in die Kiste steigt. Warum sagen die Leute immer noch „Ich heiße soundso und ich bin schwul“ oder dergleichen? Warum überhaupt muss man immer irgendetwas sein, sich irgendwie definieren? Ich finde das im Jahr 2022 definitiv nicht mehr zeitgemäß.

Bei uns vielleicht nicht, aber in anderen Ländern, auch in Europa, schon.

Richtig, und auch deshalb haben wir diese Nummer gemacht und ein Thema aufgegriffen, dass anderswo totgeschwiegen wird. Ich bin keine Freundin des Um-den-heißen-Brei-herumredens. In dem Song geht es zur Sache, auch musikalisch, denn „Romeo und Julian“ ist eine fetzige Dance-Nummer.

Sie haben vor Kurzem erneut Fotos für den „Playboy“ gemacht. War Ihnen das, 16 Jahre nach Ihrer ersten Fotostrecke in dem Magazin, ein Herzenswunsch?

Ich fand die Fotos seinerzeit richtig schön, mir hatte das Shooting viel Spaß gemacht. Und da ich 50 geworden bin und der Playboy auch 50 wird und immer wieder bei mir angefragt hat, dachte ich: Das ist jetzt der perfekte Zeitpunkt. Wir alle sind schließlich nackt geboren, und ich finde Nacktsein das Normalste der Welt. Wenn man hinter sich steht, darf man sich gerne zeigen und muss sich nicht schämen – egal, wie man aussieht oder wie alt man ist.

Michelle ist nicht nur Schlagerstar, sondern auch Ayurveda-Heilerin.
Michelle ist nicht nur Schlagerstar, sondern auch Ayurveda-Heilerin. | Bild: Anelia Janeva/Universal Music

Wären demnach chirurgische Schönheitsoptimierungen für Sie ein Tabu?

Ich denke schon. Wahre Schönheit kommt von innen, und wir sind alle keine Barbiepuppen. Ich sehe eine sehr große Gefahr speziell für jüngere Menschen, wenn sie im Internet ständig mit Vorbildern wie Kylie Jenner und Co. konfrontiert werden, die vermeintlich perfekt aussehen. Mich schreckt es auch, dass viele Mädchen extreme Filter benutzen, sich nur geschminkt präsentieren oder Nasen und sonstige Körperteile technisch verändern.

Ihre jüngste Tochter ist ein Teenager, die anderen sind in den 20ern. Reden Sie über Instagram, TikTok und so?

Ja, aber bei allen dreien muss ich mir keine Sorgen machen. Das sind starke junge Frauen mit sehr viel gesundem Selbstbewusstsein.

Wie haben Sie eigentlich Ihren 50. Geburtstag im Februar gefeiert?

Mit einer Überraschungsparty. Eigentlich wollte ich nach den Proben zu „Let‘s Dance“ ins Bett, aber mein Management konnte mich überreden, was essen zu gehen. Und da waren sie dann alle: die Familie, die Töchter, die besten Freundinnen und Freunde. Es war ein richtig schöner Geburtstagsabend.

Freuen Sie sich auf weitere 50 Jahre?

Total. Ich freue mich auf alles, was mein Leben noch für mich bereithalten wird.