Berlin, wo alles begann.

Der Berliner Autor Eberhard Seidel hat schon mehrere Bücher über den von ihm hoch verehrten Döner geschrieben. Doch da der Mann aus Unterfranken stammt und mithin gute Bäcker und Metzger kennt, geht er zuweilen ebenso kritisch wie geistreich mit seiner Wahlheimat ins Gericht.

Nur dort, im kulinarischen Notstandsgebiet schlechthin, habe der Döner als frische, aromatische Alternative ab den Siebzigern einen solchen Siegeszug antreten können, glaubt Seidel, der seine eigene Ankunft in Berlin als traumatisierend beschreibt: „‚Schlagt die Hand ab, dem Verbrecher, der dies zu verantworten hat!‘ – das waren meine ersten Gedanken als Neuberliner. Was hier Mitte der Siebzigerjahre in schmuddeligen Bäckereien und abgeranzten Metzgereien als Kreationen des Berliner Handwerks geliefert wurde, war nicht nur ein Generalangriff auf die Geschmacksnerven. Es grenzte an Körperverletzung.“

Und weiter: „In Bayern, Baden-Württemberg oder gar in Österreich hätten aufgebrachte Bürger diese Verhunzer göttlicher Gaben längst der Stadtgrenzen verwiesen.“ Kein Wunder, dass die ersten Döner Kebabs, „(sich) drehendes, gegrilltes Fleisch“, reißenden Absatz fanden.

Der Siegeszug

Wobei: Anfangs fremdelte die an Currywurst und Eisbein gewöhnte Berliner Esserschaft mit dem neuen Stern am trüben Berliner Gastro-Himmel. Zu Beginn der 70er Jahre wurde der Döner vor allem in der migrantischen Community goutiert.

Doch dann startete er seinen Siegeszug. Und das nicht zufällig vom damals noch proletarischen Kreuzberg aus, wo die „für kulinarische Innovationen aufgeschlossene bunte Szene – Studenten, Wehrflüchtige, Klassenkämpfer, Internationalisten und Berufsproleten“ Appetit bekam, wie Seidel schreibt.

Dicke Fleischspieße.
Dicke Fleischspieße. | Bild: Schuler, Andreas

Heute ist der Döner Deutschlands beliebtester Imbiss. Derzeit beläuft sich der Dönerkonsum hierzulande auf etwa 550 Tonnen täglich, also auf rund 200.000 Tonnen im Jahr. Jeder Bundesbürger isst durchschnittlich 2,25 Kilogramm Döner. Etwa die Hälfte davon aus (billigerem) Geflügelfleisch, die andere aus Rind oder Kalb. Allein in Berlin gibt es 1600 Döner-Verkaufsstände, deutschlandweit sind es 18.500.

Damit machen die Dönerimbisse und die türkischen Restaurants etwa genauso viel Umsatz wie die zehn Größten der Systemgastronomie in Deutschland zusammen. Die meisten Imbisse sind noch heute Familienbetriebe. Mit dem „Haus des Döners“ versucht derzeit aber der erste Franchise-Betrieb mit derzeit rund 100 Filialen Fuß zu fassen.

„Istanbul Kässpätzle“

Schwer vorstellbar, dass man bei einem Bummel durch Prag oder Rom auf einen Imbiss stößt, der „Istanbul Kässpätzle“ oder „original türkischen Riesling“ feilbietet. Doch ebendort – und in Paris, London oder Manchester – wird wie selbstverständlich „German“ oder „Original Berlin Döner“ angeboten.

Das wirkt skurril, ist aber nicht so falsch. Was hierzulande als „Döner“ bekannt ist, wird in der Türkei noch heute allenfalls in den Tourismusregionen angeboten, wo Millionen von Deutschen ihren Urlaub verbringen. Geschichtetes, in möglichst dünne Scheiben geschnittenes Fleisch – anfangs noch horizontal, später dann seitlich – zu grillen, ist indes eine lange Tradition in Anatolien.

Das abgeschnittene Fleisch in Brot zu servieren, mit Salat, Rotkohl, Tomaten, Zwiebeln und (zunehmend auch mehreren) Saucen zu servieren, ist in der Türkei indes ebenso unbekannt wie der immer beliebter werdende „Yufka“ oder „Dürüm“, bei dem das Fleisch in einen Teigfladen statt im Brot serviert wird. Diese Variante gibt es erst seit Ende der Neunzigerjahre, ebenso die Dönerbox, in der Döner mit Pommes oder Reis serviert wird. Beide sind Kreationen aus Deutschland.

Der Döner auf Abwegen

Der begnadete österreichische Schriftsteller Wolf Haas hat seitenlange philosophische Betrachtungen über das Phänomen angestellt, dass in seiner Heimat aus Wurstabfällen Leberkäse und aus Leberkäseresten Wurst gemacht werde – und man bei beidem nicht wisse, was ursprünglich mal reingekommen sei.

Im Vergleich dazu ist der Döner ein transparentes, streng definiertes Lebensmittel. Mariniert werden darf er nur mit Salz, Gewürzen, Eiern, Milch, Joghurt, Zwiebeln und Öl, auch das Fladenbrot birgt keine abgründigen Geheimnisse.

Kulinarisch abwärts ging es mit dem Döner dennoch in den letzten Jahren. Wer anno 2025 durch Berlin läuft, findet fast nur noch „Kalb“-Spieße, die zu 100 Prozent aus Hackfleisch zu bestehen scheinen.

Das könnte Sie auch interessieren

Das ist billig und hat den Vorteil, dass man es mit Paniermehl oder Kekskrümeln strecken und somit haltbar machen kann. „Döner Kebab“ darf ein solcher Spieß dann nicht mehr heißen, da ist bei 60 Prozent Hack Schluss. In den goldenen ersten Jahren des Döners war die Yaprak-Variante handelsüblich, aus geschichteten, schieren Fleischscheiben. Und ohne Hack.

Das setzte sich erst in den vergangenen Jahren allerdings zunehmend durch, nebst anderen kulinarischen Grausamkeiten wie „Cacik“ auf Mayonnaisebasis, Cocktailsauce oder „Hawaii-Döner“, mit Dosen-Ananas.

Sensible Preise

Früher waren die Preise für Milch, Butter oder Kaffee maßgeblich dafür, ob die Menschen sich über steigende Preise beschwerten oder nicht. In den heutigen Zeiten, in denen es in dieser Frage keine zwei Meinungen mehr gibt, sorgt die Nachricht, dass der Döner „kurzfristig die Zehn-Euro-Grenze erreichen“ werde, für Aufruhr in den Netzwerken.

Quelle der Hiobsbotschaft ist Erdogan Koc vom Verband der Dönerproduzenten (VDD), der als Grund den gestiegenen Preis für Jungbullenfleisch angibt. 6 Euro 20 beträgt der derzeit, ein Viertel mehr als vor einem Jahr. Ach so. Aber ob das als Grund für eine solch brachiale Preiserhöhung so überzeugend ist?

Großzügig gerechnet stecken in einem Döner ja allerhöchstens 200 Gramm Fleisch, möchte man meinen. Und da haben wir nicht mal eingerechnet, dass bis zu 60 Prozent billiges Hackfleisch enthalten sein dürfen. Kurzum: Die klugen Kollegen haben errechnet, dass heutzutage Fleisch im Wert von 1,24 Euro statt für 1,14 Euro wie beim Sechs-Euro-Döner 2022 enthalten ist. Aber die guten alten Mitnahmeeffekte kennen halt nicht nur die Schlawiner vom VDD.

Döner und Politik

Wenig überraschend, dass es früher auch die Brot-und Butterpreise waren, die über die Stimmung im Volk Aufschluss gaben. Waren sie niedrig, war die Laune gut. Waren die Preise hoch, hatte die Opposition deutlich bessere Chancen. Heutzutage ist es der Döner-Preis, der mit Argusaugen beobachtet wird. Von jungen Menschen. Und von Politikern, die im jungen Menschen nicht zuletzt auch den Jungwähler sehen.

Also versprach die SPD vor der Europawahl die Deckelung des Döner-Preises auf drei Euro, die Linke forderte gar eine „Preisbremse“. Mehr als 4 Euro 90 (Schüler 2 Euro 50) solle niemand zahlen müssen, den Aufpreis möge der Staat subventionieren.

In Frankenthal (Rheinland-Pfalz) haben sie derweil einen Oberbürgermeister, der nicht nur fordert, sondern auch handelt. Nachdem eine Elterninitiative besseres und gesünderes Schulessen gefordert hatte, wird das Kantinenessen gerade umgestellt.

Bis es so weit ist, dürfen Schüler mittwochs für drei Euro Döner essen. Die Differenz trägt der jeweilige Dönerladen. Gesund ist das zwar nicht, aber dafür hat Oberbürgermeister Nicolas Meyer von den Freien Wählern („Bürgermeister im Schweinwerferlicht“) jetzt jede Menge Medientermine.