Herr Frei, wie ernst ist die Lage an der türkisch-griechischen Grenze?

Die Lage muss man als sehr ernst einschätzen, die Nachrichten, die uns von dort erreichen, sind alarmierend. Insbesondere, wenn man berücksichtigt, dass es sich in der ganz großen Mehrheit um Migranten handelt.

Thorsten Frei, CDU-Bundestagsabgeordneter und stellvertretender Fraktionsvorsitzender im Bundestag
Thorsten Frei, CDU-Bundestagsabgeordneter und stellvertretender Fraktionsvorsitzender im Bundestag | Bild: Büro Thorsten Frei

Wie meinen Sie das? Was sind das für Menschen, die sich derzeit vor der griechischen Grenze drängen?

Es handelt sind nicht um syrische Bürgerkriegsflüchtlinge, sondern um Menschen, die in der Türkei zum Teil schon seit Jahren leben: Pakistani, Menschen aus Bangladesch, Nordafrikaner, Somalier und zu über 60 Prozent Afghanen. Also mitnichten Kriegsflüchtlinge.

Erdogan hat Menschen an die Grenze bringen lassen. Wie ordnen Sie das Vorgehen der türkischen Regierung ein?

Der türkische Innenminister spricht davon, dass bis zum Wochenende bis zu 140.000 an die Grenze gekommen sind. Das ist ganz offensichtlich falsch. Agenturmeldungen vom Wochenende war zu entnehmen, dass gepanzerte Fahrzeuge versuchen, die Grenze zu schleifen. Die Türkei versucht auf perfide Weise, Flüchtlinge und Migranten für ihre eigenen Zwecke zu instrumentalisieren: zum einen, um innenpolitische Ziele zu erreichen, zum anderen, um die EU zu spalten.

Die EU ist doch längst gespalten über den Umgang mit der Flüchtlingskrise. Wie kann sich das ändern?

Auf europäischer Ebene sind wir in den letzten Jahren nicht vorangekommen. Meiner Meinung nach bedarf es dreier Dinge: eines effektiven Außengrenzschutzes, einer Antwort auf die Frage, wie man mit Flüchtlingen und Migranten umgeht und wie sie weiterverteilt werden.

Genau da hakt es ja. Wie kann eine Lösung konkret aussehen?

Deutschland hat einen Vorschlag gemacht, wie man das europäische Asylsystem weiterentwickeln kann. Ein effektiver Grenzschutz ist die Voraussetzung. Die Registrierungen und Sicherheitsprüfungen an den Grenzen müssen weiter greifen: Schon dort muss entschieden werden, ob es für die Antragstellereine Bleibeperspektive gibt oder nicht. Wer keine Bleibeperspektive hat, wird direkt von den Aufnahmezentren an der Grenze in sein Heimatland zurückgeführt.

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Sie sprechen von effektivem Grenzschutz. Wie muss der denn aussehen?

Illegale Grenzübertritte müssen verhindert werden. Es gibt zwei Wege, nach Deutschland und in die EU zu kommen. Die humanitäre Migration schützt diejenigen, die verfolgt sind und vor Bürgerkriegen und Kriegen fliegen: Diese Menschen werden aufgenommen. Der zweite Weg ist die Arbeitsmigration. Seit 1. März gilt in Deutschland das Fachkräfte-Einwanderungsgesetz. Wer weder unter dieses Gesetz fällt, noch verfolgt wird, der wird auch künftig nicht nach Deutschland kommen können.

Die Situation an der griechischen Grenze ist extrem. Kann man da wirklich auf harten Grenzschutz pochen?

Ja, das ist der richtige und auch notwendige Ansatz. Würde man die Grenze nicht schützen, käme das einer ungeregelten Grenzöffnung gleich. Massen von Menschen würden sich auf den Weg machen. Ein geordnetes Verfahren an der Grenze hat nichts mit Pedanterie zu tun, sondern ist die Voraussetzung für Humanität.

Wie weit darf effektiver Grenzschutz gehen, um Ihre Formulierung aufzugreifen? Darf die Grenze auch mit Waffengewalt verteidigt werden?

Niemand darf und will das Feuer auf Migranten eröffnen.

Liegt das Problem nicht eher darin, dass die EU nach wie vor kein einheitliches Asylsystem hat?

Diese Menschen sind da, weil sie nach Europa und vor allem nach Deutschland kommen wollen. Aber wir brauchen sicherlich mehr Gemeinsamkeit, damit wir beim Grenzschutz, der Verteilung in Europa und der Rückführung in die Herkunftsländer effektiver sein können.

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In der aktuellen Lage geht es um schnelle Hilfe, keine Langzeitlösungen. Warum sind Sie gegen Aufnahmekontingente?

In Griechenland gilt es, die humanitäre Krise zu mildern. Dazu braucht es Geld, Material und Personal – auch Bundespolizisten sollten zum Einsatz kommen. Wenn es um eine faire Verteilung von Flüchtlingen in Europa geht, bin ich absolut dafür. Wenn es aber um die Aufnahme von Migranten an der griechisch-türkischen Grenze geht, bin ich dagegen. Weil diese Menschen im Zweifel nicht asylberechtigt sind. Eine Aufnahme würde einen Sog auslösen, den wir nicht wollen können.

Welche Möglichkeiten hat die EU, Ankara dazu zu bringen, das Flüchtlingsabkommen wieder einzuhalten und die türkische Grenze zur EU dicht zu halten?

Es ist unsäglich, wie sich die Türkei verhält. Trotzdem liegt es in unserem Interesse, das Abkommen mit der Türkei mit neuem Leben zu erfüllen. Ein effektiver Außengrenzenschutz funktioniert nur dann, wenn wir auf der anderen Seite der Grenze einen Partner haben, mit dem wir zusammenarbeiten können.

Die EU hat der Türkei doch schon sechs Milliarden Euro zugesagt, damit sie im Gegenzug ihre Grenzen besser schützt. Was ist daraus geworden?

Die EU hat dieses Abkommen vollständig eingehalten. Die sechs Milliarden Euro sind in zwei Tranchen mit Laufzeiten bis 2021 beziehungsweise 2025 aufgeteilt worden. Davon sind inzwischen 3,2 Milliarden Euro ausbezahlt. In diesem Jahr wird eine weitere Milliarde ausgezahlt. 4,7 Milliarden Euro sind vertraglich gebunden, die sechs Milliarden sind bereits komplett in Programmen vorgesehen.

Was ist mit der Rücknahme illegaler Migranten, dem zweiten Teil des Abkommens?

Der sogenannte Eins-zu-Eins-Mechanismus sieht vor, dass Europa für jeden Migranten, der illegal die griechischen Inseln erreicht und in die Türkei zurückgeführt wird, einen syrischen Bürgerkriegsflüchtling aufnimmt. Seit Beginn des Abkommens 2016 hat Griechenland es leider nicht einmal vermocht, 2000 illegale Migranten von den Inseln in die Türkei zurückzuführen. Im Gegenzug hat die EU aber 23.000 Menschen aufgenommen, davon kamen 8500 nach Deutschland.

Warum dann Erdogans Wut auf Europa?

Erdogan war von Anfang an mit dem Pakt unzufrieden. Er wollte, dass das Geld nicht an Hilfsorganisationen ausgezahlt wird, sondern direkt in seine Staatskassen fließt.

Die Regierungskoalition hat entschieden 1000 bis 1500 Kinder aus den griechischen Lagern aufzunehmen. Ist das nicht eher ein Tropfen auf den heißen Stein?

Der Koalitionsausschuss hat sich darauf verständigt, dass unbegleitete Kinder unter 14 Jahren in einer europäisch abgestimmten Aktion aufgenommen werden sollten. Aber wir müssen auch darauf achten, dass die Praxis, Kinder alleine auf gefährliche Reise zu schicken, um einen späteren Familiennachzug zu ermöglichen, nicht gefördert wird.

Türkei, Edirne: Eine Migrantin trägt ihr Kind in der Nähe der türkisch-griechischen Grenze. Nachdem die Türkei Anfang März ihre Grenzen ...
Türkei, Edirne: Eine Migrantin trägt ihr Kind in der Nähe der türkisch-griechischen Grenze. Nachdem die Türkei Anfang März ihre Grenzen für offen erklärt hat, versuchen Tausende Flüchtlinge und Migranten ins EU-Land Griechenland zu kommen. | Bild: Emrah Gurel

Wie kann diese Praxis konkret verhindert werden?

Es kann sich nur um eine einmalige und europaweite Aktion handeln. Im Grundsatz muss es unser Anliegen sein, für eine Familienzusammenführung im Herkunftsland zu sorgen.

An den Kern des Konflikts, der Lage in Syrien, traut sich die EU bislang nicht. Kann das so bleiben?

Wir müssen gemeinsam mit unseren europäischen Partnern eine stärkere Rolle in Syrien einnehmen. Es kann nicht sein, dass die EU wie das Kaninchen auf die Schlange starrt und alles stoisch erträgt, was das Assad-Regime mit Hilfe Russlands und des Irans verursacht. Wir müssen dringend humanitäre Hilfe für Idlib und Syrien insgesamt leisten. Deutschland hat den Vereinten Nationen kurzfristig 100 Millionen Euro zur Verfügung gestellt. Es gilt, zu verhindern, dass eine weitere Million Menschen aus Syrien zur Flucht getrieben werden.

Hat die Bundesrepublik in den vergangenen fünf Jahren seit der ersten Flüchtlingskrise genug getan, um besser vorbereitet zu sein auf einen neuen Flüchtlingsstrom?

Deutschland ist sicher in der Lage, auch mit großen Herausforderungen zurechtzukommen. Das ist nicht das Problem.

Sondern?

… die Frage, wie groß die Aufnahmefähigkeit einer Gesellschaft ist. Das setzt voraus, dass es eine Bereitschaft zur Integration gibt. Was wir 2015 und 2016 erlebt haben, darf sich nicht mehr wiederholen. Das würde unsere Gesellschaft überfordern.

Wie vorbereitet ist die Region auf neue Flüchtlinge? Welche Kapazitäten gibt es dafür überhaupt?

Die Landesregierung hat in den vergangenen vier Jahren ein System an Erstaufnahmeeinrichtungen aufgebaut, die es in jedem Regierungsbezirk gibt. Aber würde man sich darauf kaprizieren, wäre das zu kurz gegriffen. Langfristige Integration ist viel aufwändiger als kurzfristige Versorgung.

Sie meinen, Integration ist nur bis zu einer bestimmten Zahl möglich?

Es geht um die schieren Zahlen. Seit 2015 sind 1,8 Millionen Menschen gekommen. Deutschland hat in den letzten Jahren mehr Menschen aufgenommen als viele andere Länder, auch wesentlich größere Länder wie etwa die USA. Das alleine veranschaulicht, wie groß die Herausforderung ist. Es geht nicht um Zahlen, es geht um Menschen, dafür muss man auch die Voraussetzungen schaffen.