Die Unionsparteien beabsichtigt Zurückweisungen an den deutschen Grenzen im Zweifel auch gegen die Nachbarländer. Dieser Plan kristallisiert sich nach verschiedenen öffentlichen Äußerungen der Verhandler zunehmend heraus.
Zwar wolle man sich mit den EU-Partnern abstimmen, sagten sowohl Friedrich Merz als auch Thorsten Frei zuletzt. Deutsche Alleingänge schlossen aber beide nicht aus. „Die Sicherheit unseres Landes steht für uns an erster Stelle. Sie zu garantieren, ist oberste Pflicht des Staates“, sagte Frei.
Alleingang könnte Probleme bringen
Ein möglicher Alleingang der Deutschen könnte allerdings zu Problemen mit den Nachbarländern führen. Die beobachten die Situation genau. Die Schweiz geht davon aus, dass die gültigen Rechtsnormen von Deutschland eingehalten werden, schreibt das Eidgenössisches Justiz- und Polizeidepartement auf Anfrage des SÜDKURIER.
Die Schweiz erwarte, dass deutsche Maßnahmen an den Grenzen, wie angekündigt, weiterhin nur in Abstimmung mit der Schweiz und unter Einhaltung des europäischen Rechts erfolgen. „Zum geltenden Rechtsrahmen gehören insbesondere das bilaterale Rückübernahmeabkommen zwischen Deutschland und der Schweiz, das Dublin-Recht sowie die Genfer Flüchtlingskonvention“, schreibt ein Sprecher. „Die Schweiz behält sich entsprechende Reaktionen vor, sollten die Zurückweisungen gegen das geltende Recht verstoßen.“
Der Bundesrat beobachte die weiteren Entwicklungen und mögliche Auswirkungen genau. Die Schweiz erwarte von Deutschland, dass der allgemeine Personen- und Warenverkehr weiterhin möglichst unbeeinträchtigt bleibt, so der Sprecher weiter.
Druck auf die Außengrenzstaaten
Konkret könnte der Plan der Union so aussehen: Noch vor der Kanzlerwahl soll mit den Nachbarländern gesprochen werden – mit dem Ziel, dass diese an ihren Grenzen auch zurückweisen, um mit einem Domino-Effekt die Außengrenzstaaten wie Italien zur Registrierung und Erstversorgung ankommender Asylsuchender zu zwingen.
So berichtet es die „Bild“-Zeitung unter Berufung auf Unions-Insider. Gelänge eine solche Abstimmung nicht, käme Plan B zum Zuge – Zurückweisungen nur an den deutschen Grenzen. CDU-Vize Jens Spahn bestätigte das indirekt: „Wir machen uns nicht abhängig von der Zustimmung der anderen Länder.“
Eine derartige Situation gab es wohl noch nicht
Würden die Nachbarländer dem Plan von CDU und CSU zustimmen, müssten sie also entweder gemeinsam EU-Recht brechen oder gleichzeitig eine solche Notlage erklären. Das wäre wohl juristisches Neuland.
Der Artikel 72 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) habe strenge Anforderungen, die wohl kaum gegeben sein dürften, erklärt dazu der österreichische Europarechtler Stefan Salomon: „Sollten sich mehrere Staaten zugleich auf Artikel 72 AEUV berufen: Meines Wissens gab es eine derartige Situation noch nicht.“
Grenzen werden schon lange kontrolliert
Ohnehin sieht er den Plan eher als ein hypothetisches Szenario. „Praktisch würde dies bedeuten, dass die Staaten an den Außengrenzen die Asylverfahren durchführen müssten; eine Zustimmung werden diese Staaten dafür wohl kaum geben“, so Salomon. Die noch geltende Dublin-III-Verordnung sage außerdem klar, dass ein Mitgliedsstaat jeden Asylantrag zumindest auf seine Zuständigkeit prüfen muss.
Darauf pocht auch Österreich. Personen dürften an keiner Grenze formlos zurückgewiesen werden, hatte es aus Österreich bereits vor einigen Wochen geheißen. Das Kanzleramt des frisch ernannten Christian Stocker (ÖVP) kündigte nun Maßnahmen an, falls deutsche Zurückweisungen den Migrationsdruck auf Österreich erhöhen würden.
Sollten die zuletzt sinkenden Asylzahlen wieder steigen, werde Österreich die EU-Notfallklausel auslösen und gar keine neuen Anträge mehr annehmen, hieß es.
Streit vor den Koalitionsverhandlungen
In der SPD sorgt die Auslegung der Union der im Sondierungspapier beschriebenen Migrationspläne für Aufregung. Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius übte scharfe Kritik an den Unions-Verhandlern. Thorsten Frei und CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt bezeichnete er laut „Stern“ in einer Fraktionssitzung als „unangenehme“ Gesprächspartner. „Sie haben kein Gewissen.“
Frei reagierte darauf „verwundert“: Er habe die Verhandlungen mit Pistorius „sehr positiv in Erinnerung“, sagte er.