Um kurz nach eins weht ein Hauch von Anfield durch den Friedengrund. „You‘ll never walk alone“ schallt es aus den Boxen im Stadion des Oberligisten FC 08 Villingen, die Hymne des großen FC Liverpool.

Anders als bei den Heimspielen der Nordwestengländer singt im Schwarzwald kaum jemand inbrünstig mit. Dabei ist es nicht so, dass die deutschen Fans der Reds keine Lust gehabt hätten – sie durften schlicht nicht dabei sein beim 4:4 gegen den Zweitligisten Greuther Fürth.

Video-Player wird geladen.
Aktueller Zeitpunkt 0:00
Dauer 0:00
Geladen: 0%
  • Untertitel aus, ausgewählt
  • Kapitel
  • Untertitel aus, ausgewählt
Die Hymne vom FC Liverpool ertönt an diesem Tag vor überschaubarer Kulisse. Video: Frederick Woehl

Nur einige geladene Gäste und zahlungskräftige Sponsoren haben das Privileg, die Testpartie von der Tribüne aus zu verfolgen, der Rest muss sprichwörtlich draußen im Regen stehen – vor einem hohen schwarzen Sichtschutz. Wie die junge Frau, die extra mit vier fußballverrückten Jungs zum Stadion gefahren ist, um vielleicht doch einen Blick auf die Stars aus der Premier League zu erhaschen.

Das könnte Sie auch interessieren

„Die Kinder reden seit vier Wochen von nichts anderem“, sagt die Mutter, die namentlich nicht zitiert werden will. Ob die Spieler noch Autogramme geben, fragt der Vierjährige. „Das wird wahrscheinlich nix, mein Schatz“, sagt sie und gibt ihm einen Kuss auf die Backe. Trotzdem wollen sie standhaft bleiben. „Vielleicht sind sie um 15 Uhr nach dem Spiel da.“

Großer Aufwand für ein Spiel

Rund um das Stadion ist nicht übermäßig viel los an diesem Montagnachmittag, doch immer, wenn Fans zu nahe zu kommen drohen, sind die ganz in Schwarz gekleideten Ordner mit ihren grellgelben Leibchen da. Die Mannschaftsbusse dürften auch über den Zaun hinweg nicht fotografiert werden.

Kameras mit Zoom seien verboten. Öffentliche Straßen sollten nicht mehr betreten werden – auch außerhalb des Sichtschutzes. Bei der Frage nach dem Grund, heißt es immer: Der FC Liverpool will das so.

Ein Security-Mitarbeiter weist den Weg – und der führt weg vom Geschehen.
Ein Security-Mitarbeiter weist den Weg – und der führt weg vom Geschehen. | Bild: Frederick Woehl

Der FC Liverpool diktiert alles bei seinem Aufenthalt in Süddeutschland. Er mietet Strandbäder, sperrt den Trainingsplatz ab – und gibt vor, wie alles zu sein hat beim Gastspiel hinter den verschlossenen Toren im Villinger Stadion.

Am Tag vor der Partie hat der Greenkeeper stundenlang den Rasen penibel gehätschelt, 300 Kilo Eiswürfel mussten besorgt werden, die Spieler des Oberligisten hatten ihre Spinde in der blitzblank geputzten Kabine für diesen einen Tag zu räumen. Sie selbst sowie viele ehrenamtliche Helfer des organisierenden Vereins dürfen auch nicht dabei sein, als der Liverpool FC ihr sportliches Zuhause für wenige Stunden zu seinem eigenen macht.

Das könnte Sie auch interessieren

Der FC 08 Villingen werde keine solchen Spiele mehr unter Ausschluss der Öffentlichkeit durchführen, erklärt Vereinsvorstandsmitglied Andreas Flöß bei einer Pressekonferenz am Abend. „Das machen wir so nicht mehr mit“, sagt er. Zumindest für Mitglieder und die Spieler und Betreuer müsste es Karten geben.

Es gibt sogar kurzzeitig ein Parkplatzproblem beim Spiel ohne Zuschauer. Das Areal vor der Einfahrt wird strikt freigehalten, schließlich muss der Bus mit der wertvollen englischen Sportfracht schnell wieder wegkommen von den Fans, von denen sich der Weltverein fernhält und für die es ein einmaliges Erlebnis gewesen wäre, Trainer Jürgen Klopp, Mohammed Salah & Co einmal live zu sehen.

Anpfiff mit Verspätung

Bei der geplanten Anpfiffzeit um 13 Uhr machen sich die Spieler noch warm, wahrscheinlich wollten sie die trockenen Kabinen nicht in dem Wolkenbruch kurz zuvor verlassen. Gutes Wetter war wohl das Einzige, was nicht vertraglich garantiert werden konnte. Mit zwanzigminütiger Verspätung geht es dann doch los. Nach draußen dringen die Rufe der Kicker wie bei einem Testspiel zwischen Königsfeld und Pfaffenweiler.

Draußen auf der Straße rauscht das Funkgerät der Security. Irgendwo haben sich wohl zwei Jungs im Gebüsch versteckt, die verscheucht werden müssen. Später wird ein Fan mit einer verdächtigen Leiter erspäht. Diese Szenen wären zum Schmunzeln, wenn sie nicht gleichzeitig so traurig wären.

Eine Frau hält mit dem Auto auf der anderen Straßenseite an. Sie kommt mit einem Kind heraus und hebt es hoch für einen Blick auf den Rasen. Dann holt sie ein zweites, ein drittes. Der letzte Junge winkt traurig, dann fahren sie kurz wieder weg. „Das war Van Dijk“, sagt ein vom Regen durchnässter Teenager, der mit dem Handy aus 50 Metern ein Foto des Niederländers gemacht hat und mit großen Augen das Bild des verschwommenen Stars anschaut. Näher kommt er seinem Idol hier nicht.

Dafür sorgt ein übereifriger Mitarbeiter im FC-Liverpool-Dress. Als er eine Handvoll Menschen entdeckt, die zwischen zwei Gebäuden etwa einen Meter des Rasens sehen, ruft er hektisch einen Bus heran, der die Lücke schließen soll.

Video-Player wird geladen.
Aktueller Zeitpunkt 0:00
Dauer 0:00
Geladen: 0%
  • Untertitel aus, ausgewählt
  • Kapitel
  • Untertitel aus, ausgewählt
Ein Bus wird vor den letzten sichtbaren Bereich des Spielfeldes manövriert. Video: Frederick Woehl

Wenig später rollen auf seine Anweisung nochmals zwei Kleinbusse an, die dann auch das letzte Fleckchen Sicht versperren. „Das ist schon heftig“, sagt ein Junge im roten Trainingsanzug. „Warum dürfen denn nicht wenigstens wir Kinder rein?“

Busse sollen Sicht verhindern

Die Sicherheit der Stars ist das eine, auch wenn keine Menschenmassen versuchen, ihnen zu nahe zu kommen – etwa 20 bis 30 Fans rennen kurz nach Abpfiff dem roten Mannschaftsbus hinterher, das war es dann auch schon.

Die andere Frage, die sich stellt, ist aber: Warum wollen die Engländer, dass niemand ins Stadion schauen kann? Schließlich ist es kein geheimes Testspiel, bei dem neue taktische Varianten ausprobiert werden. Die Partie wird sogar live im Internet übertragen.

Das versteht auch die Villinger Mutter mit ihren vier Jungs nicht, die eigentlich doch bis zum Schlusspfiff ausharren wollten. Als der dritte Bus vor ihre Nase gekarrt wird, schüttelt sie entnervt den Kopf, ihre Jungs klatschen wütend. Dann gehen sie. Die letzte Hoffnung auf einen kurzen Augenblick mit den Stars ist verpufft.

Aus dem Stadion ist einen Moment lang leises Klatschen zu hören. Das 3:1 für den FC Liverpool. So nah und doch so weit weg für ganz viele Fans.