Der große rote Stier, er ist verschwunden. Dort, auf dem kleinen Steinvorsprung am Golfplatz, stand er die Tage zuvor, wo groß „Der Öschberghof“ steht. Stattdessen stehen heute hier drei Golfer. Beim Abschlag ertönt das markante Geräusch, wenn der Schläger auf den Golfball trifft. Ob sie die Spanier gesehen haben? „Ja! Die sind um kurz vor neun am Golfplatz vorbeigejoggt“, sagt einer und zeichnet den Weg der Fußballer am Horizont nach. Acht Kilometer habe der Rundweg, den die Iberer eingeschlagen haben. Die machen das wohl öfter, meint ein anderer. Auch Golf sollen sie hin und wieder spielen.
Luxus für die Spanier

Es ist einer dieser durchwachsenen Tage, die so typisch sind für dieses Frühjahr. Bei der Ankunft der Spanier in Donaueschingen regnete es in Strömen. Am 9. Juni, nachts, kam die 100-köpfige Delegation an und ließ die wartenden Fans im Regen stehen. Aber auch bei schlechtem Wetter können es sich die Stars in Donaueschingen gutgehen lassen – mit Golfplatz, Sternerestaurant und großem Wellness-Bereich.
Der Öschberghof soll eines der teuersten Hotels der EM sein. Ein Pluspunkt der Anlage ist der Sportplatz des Bezirksligisten SV Aasen, der nur wenige hundert Meter entfernt liegt. Dort gibt es einen perfekten Rasen. Klar, schließlich sind die Greenkeeper der Golfanlage dafür verantwortlich. Das Programm der Spanier ist fast jeden Tag gleich. Um elf Uhr wird beim SV Aasen trainiert.
Stars kaufen im Supermarkt ein
Zur gleichen Zeit, wenige hundert Meter weiter im Dorfinneren im Donaueschinger Stadtteil Aasen, in einer Bäckerei: Eine Kundin trinkt ihren Kaffee, während die freundliche Frau hinter der Theke Laugengebäck ausgibt. Hier hat noch niemand die spanischen Stars gesehen. Man habe gehört, dass sie wohl hin und wieder mit dem Fahrrad unterwegs seien.
Sogar in einem Supermarkt in Donaueschingen sollen Spieler eingekauft haben. „Aber eigentlich sind die da hinten abgeschottet, von denen bekommt man nichts mit“, sagt die Verkäuferin und lacht. Dabei ist Aasen klein. Weniger als 1500 Einwohner leben hier. Man merkt: Der kleine Ort ist stolz darauf, dass man bei einer Heim-EM einen Titelfavoriten wie Spanien beherbergen darf.
Ein Aasener, der näher dran ist als alle anderen, ist Hans-Peter Rolle. Er ist Ehrenpräsident beim SV Aasen und kümmert sich in Zusammenarbeit mit dem Öschberghof darum, dass auf dem Gelände alles reibungslos abläuft. Er geht durch die Absperrung, durch die sonst nur die Spieler laufen dürfen. Schon Wochen vor dem Turnier begannen die Vorbereitungen in und um den Öschberghof. Das Trainingsgelände wurde mit Sichtschutzzäunen versehen, vor der Anlage und dem Hotel steht ein Dutzend Security Mitarbeiter.
Hier kommt keiner rein, der hier nicht hingehört. Rolle läuft vorbei an 20 Fans, die vor dem Eingang stehen und versuchen, einen Blick auf die Stars zu erhaschen oder im besten Fall sogar ein Autogramm und ein Bild zu bekommen. Und tatsächlich, an diesem Dienstag kommen Mikel Merino von Real Sociedad und Rodri von Manchester City vor den Zaun. Voller Adrenalin flitzt ein kleiner Junge zu seiner Mutter und zeigt ihr das Bild mit dem Star aus England. „An Wochenenden sind es bis zu 200 Fans“, weiß Hans-Peter Rolle.
Nico Williams und Lamine Yamal bringen Hoffnung
Die meisten hoffen auf ein Treffen mit dem 21-jährigen Nico Williams. Er ist derzeit einer der Spieler, über die am meisten gesprochen wird. Er und der erst 16-jährige Lamine Yamal bilden die Flügelzange der Spanier. Vergleichbar mit Jamal Musiala und Florian Wirtz bei der deutschen Nationalmannschaft. Mit Siegen gegen Kroatien, Italien und Albanien sind die Iberer durch die Gruppenphase marschiert. Im Achtelfinale folgte ein deutlicher 4:1-Sieg gegen die Überraschungs-Mannschaft aus Georgien. Jetzt warten die Deutschen und damit der Gastgeber.
Wer vor diesem Duell am Freitag in Stuttgart, 18 Uhr, Aufregung im spanischen Lager sucht, sucht vergeblich. Es scheint, als hätte sich die Furia Roja, wie die Spanier genannt werden, der idyllischen Landschaft angepasst. Felder, kein Lärm, nur eine Landstraße, die neben dem Platz vorbeiführt. Leise ist es auch hinter den Kulissen. Es gibt keine Debatten rund um das Team, keine Diskussionen, wer spielen sollte, kein Journalist, der die Entscheidungen des Trainers Luis de la Fuente infrage stellt.
Quartiere mitten im Nirgendwo
Statt Tapas und Paella wird Kartoffelsalat und Fleischkäse im Medienzentrum serviert. Das lokale Essen scheint zu schmecken. „Wir sind hier alle im Zen“, sagt die spanische Journalistin Helena Condis vom Radiosender Cadena Cope und lacht. Damit meint sie sowohl die Journalisten als auch das spanische Team. Erst am Wochenende war sie mit Kollegen am Donauursprung, auch wenn sonst nicht viel Zeit bleibt, neben der Arbeit die Region zu erkunden. Es ist schön und ruhig, sagt sie. Ruhe suchen die Spanier bei jedem Turnier.
Die Quartiere bei Welt- und Europameisterschaften in den vergangenen Jahren lagen immer im Nirgendwo, sagt ein anderer Journalist, der schon öfter dabei war. Es ist aber nicht nur die Donaueschinger Idylle, die für Entspanntheit sorgt. Auch Trainer de la Fuente scheint einer der Faktoren zu sein, warum es um die Spanier so ruhig ist. Im Gegensatz zu den Spielern fährt er jeden Tag mit dem Fahrrad zum Aasener Sportgelände, nimmt sich Zeit für Fans, spricht mit Mitarbeitern. Bodenständig, würde man sagen.
Fürstenberg-Pils für den Trainer
„Das ist ein brutal netter Mensch ohne irgendwelche Starallüren“, schwärmt Rolle vom SV Aasen. Vor knapp zwei Wochen hatte der Trainer Geburtstag, von Rolle bekam er eine „Männerhandtasche“. Einen Träger mit sechs Bier von der Brauerei Fürstenberg – natürlich. Ob er den regionalen Gerstensaft schon getrunken hat oder ob er doch eher Rioja bevorzugt, das weiß er allerdings nicht. Aber für Rolle ist klar: „Mit dieser Lockerheit kommen sie weit.“ Auch wenn das bedeuten könnte, dass die Spanier gegen die deutsche Mannschaft gewinnen könnten.
Aber auch für die Spanier könnte das Turnier am Freitag zu Ende gehen. Dann kämen sie nur noch nach Donaueschingen, um ihre Sachen zu packen und sich zu verabschieden. Übermütig scheinen sie nicht zu sein. In Donaueschingen spürt man auch Demut vor dem Duell gegen die deutsche Mannschaft. „Die haben hier sehr viel Respekt. Sie sind auch gegen Georgien mit der nötigen Ernsthaftigkeit in das Spiel“, schildert Rolle seinen Eindruck.
Noch kein Sieg gegen einen Gastgeber
Und ein Thema in Aasen ist besonders eine Statistik: Spanien hat bei einem Turnier noch nie gegen einen Gastgeber gewonnen. Mehr als einmal hört man diesen Fakt im Medienzelt rumgeistern. Klar ist auch hier: Es wird eng. Die meisten tippen auf eine Verlängerung oder sogar auf ein Elfmeterschießen.
Der Stier am Öschberghof ist übrigens gar nicht verschwunden. Er steht jetzt im Inneren des Hotels, mit Unterschriften der Spieler, wie Ben Hortig, Pressesprecher des Öschberghofs verrät. Nach dem Turnier soll das Andenken an den spanischen Besuch für den guten Zweck versteigert werden.