Schulen ohne Internet und faxende Gesundheitsämter: Die Corona-Krise offenbarte, wie es um die Digitalisierung in Deutschland steht. Bei der elektronischen Erfassung der Ausfuhrkassenzettel für Schweizer Kunden zeigt sich das schon seit Jahren. Die Planungen erleben nun einen weiteren Dämpfer, wie aus einer Kleinen Anfrage der FDP-Fraktion im Bundestag hervorgeht.
Das Bundesfinanzministerium antwortet: „Zum Zeitplan und zur letztlichen Ausgestaltung“ können demnach „derzeit keine Aussagen getroffen werden“. Es gebe kein Einvernehmen mit den Kontrollvorgaben des Bundesrechnungshofs. Das aber verlangt der Rechnungsprüfungsausschuss, bevor das Ministerium Mittel für die Digitalisierung der Ausfuhrkassenzettel freigeben kann. Auf 25 bis 32 Millionen Euro sollen sich Planung, Entwicklung und Betrieb summieren.
FDP kritisiert Regierung für verschlepptes Projekt
Florian Toncar, finanzpolitischer Sprecher der FDP im Bundestag, erkennt im Klein-Klein zwischen Rechnungshof und Finanzministerium fehlenden politischen Willen.
„Die Antwort der Bundesregierung zeigt, dass leider auch dieses Digitalisierungsprojekt nicht in die Gänge kommt“, erklärt er gegenüber dem SÜDKURIER. Toncar bemängelt, dass es „nicht mal einen Zeitplan zur Fertigstellung des Systems gibt“. Ursprünglich war von 2020 als möglichem Startpunkt die Rede.
Bis zu 18 Millionen gestempelte grüne Zettel pro Jahr
Bearbeitet werden die grünen Zettel, mit denen sich Schweizer Kunden beim nächsten Einkauf die Mehrwertsteuer zurückerstatten lassen können, seit eh und je händisch durch den Zoll. In Spitzenjahren stempelte dessen Personal in der Grenzregion bis zu 18 Millionen Ausfuhrkassenzettel. Es ist also logisch, dass das Projekt zur Digitalisierung bei der Generalzolldirektion angesiedelt ist.
Dessen Sprecher erklärt auf Anfrage, dass „die aktuellen Abfertigungszahlen keinen Einfluss auf die Priorisierung des Projekts haben“. Diese sanken 2020 auf 6,7 Millionen in der Region vom Hochrhein bis zum Bodensee. Das liegt einerseits an den Reisebeschränkungen und der zeitweise geschlossenen Grenze zur Schweiz.
Es war außerdem das erste Jahr der Bagatellgrenze von 50 Euro.
Hintergründe zur Bagatellgrenze
40 Sekunden pro grünem Zettel – oder 3100 Arbeitstage im Jahr
Trotz des Rückgangs war der Zoll Stunden über Stunden mit Stempeln beschäftigt. 40 Sekunden pro grünem Zettel gibt das Bundesfinanzministerium als Durchschnitt für die Bearbeitung an. Dem SÜDKURIER bestätigt der Sprecher des Hauptzollamts Singen aus der Praxis diese Schätzung. Umgerechnet ergeben sich für das vergangene Jahr für das Zollpersonal entlang der deutsch-schweizerischen Grenze damit 268 Millionen Sekunden – oder 3100 Arbeitstage.
Der bereits seit 2014 vom Bundesfinanzministerium geplante digitale Ausfuhrkassenzettel dient nicht nur der Entlastung von Zöllnerinnen und Zöllnern. Mit ihm sollen Einzelhändler auch keine Papier-Belege mehr erstellen und übermitteln müssen. Nicht zuletzt hätten auch Einheimische und Einkaufstouristen etwas davon: weniger Rückstau an den Grenzübergängen und kürzere Wartezeiten an der Ladenkasse, zum Beispiel.
SPD-Abgeordnete kontert FDP-Kritik: „Verantwortliches Handeln“
Kritik kommt daher nicht nur von der oppositionellen FDP im Bundestag. Auch die drei Bundestagsabgeordneten aus Waldshut und Konstanz – alle Mitglieder der aktuellen Regierungsparteien – sehen die Notwendigkeit des Projekts. Die Waldshuter SPD-Abgeordnete Rita Schwarzelühr-Sutter habe angesichts des bevorstehenden Lockdown-Endes „gerade erst“ beim Finanzministerium nachgehakt.

Das Ressort wird von ihrem Parteigenossen Olaf Scholz geleitet. Die Kritik der Liberalen teilt sie angesichts der Aufgaben durch Corona nicht. Das Großprojekt digitaler Ausfuhrschein sei von Anfang an auf mehrere Jahre Planung ausgelegt gewesen, ergänzt Schwarzelühr-Sutter.
Sie hält es deshalb für „nachvollziehbar“, dass sich das Finanzministerium in der Pandemie vorrangig der sozialen und wirtschaftlichen Sicherheit der Bürger gewidmet habe. „Das versteht, wer verantwortlich handelt. Die Opposition offenbar nicht“, kontert sie der FDP.
CDU-Abgeordnete nehmen Rechnungshof in die Pflicht
Deutlicher werden die beiden CDU-Abgeordneten Andreas Jung (Konstanz) und Felix Schreiner (Waldshut).
Allerdings schieben auch sie im Wahlkampf den Ball nicht ins Feld von SPD-Kanzlerkandidat Scholz. Vielmehr zielt der Unmut Richtung Rechnungshof.
Unisono hört man aus Berlin: Der Zoll soll dem Rechnungshof mehrere Möglichkeiten dargelegt haben, wie die Grenzübergänge auch bei einer elektronischen Erfassung gezielt kontrolliert werden können; gleichzeitig könne das Verfahren beschleunigt, das Personal entlastet und der Verkehr in den Ballungszentren beruhigt werden. Eine „zentrale Erwartung des Bundesrechnungshofs“ wäre damit erfüllt worden, urteilen Jung und Schreiner.
„Völlig unverständlich“ sei daher, dass der Rechnungshof auch eineinhalb Jahre nach Beschluss von Bundestag und -rat mit den Lösungen des Zolls nicht einverstanden ist. „Es darf jetzt nicht noch mehr Zeit verloren gehen“, urteilen Jung und Schreiner. Sie erwarten einen zeitnahen Abschluss der Abstimmung zwischen Ministerium und Rechnungshof und im nächsten Schritt die Umsetzung in die Praxis. Nach sieben Jahren Planung scheint das fast mutig.