Wenn Manfred Volk Gästen zeigen will, wie es um die Wasserkraft in Deutschland bestellt ist, bittet er zum Rapport an seine Weltkarte. Sie hängt in seinem Büro im südbadischen Städtchen Gutach und zeigt die Wasserkraftwerke, die Volks Unternehmen WKV in den letzten Jahrzehnten errichtet hat. E
in Fähnchen auf der Karte ist ein abgeschlossenes Projekt. In Mittelamerika stecken viele davon. In Südostasien, in Indien und in Zentralafrika auch. Auf dem Balkan prangt gar ein ganzer Fähnchenwald. Nur in Deutschland sieht es übersichtlich aus.
Ist die kleine Wasserkraft „bald tot“?
„Mehr als 90 Prozent unserer Wasserkraftturbinen stehen im Ausland“, sagt Volk. „Dabei könnte man direkt vor der Haustür so viel machen.“ Allein im Schwarzwald könnten Hunderte Kleinanlagen errichtet werden und sauberen Strom für die Energiewende liefern, sagt der Unternehmenschef. Die Wahrheit aber sei: „Wenn wir Pech haben, ist die Wasserkraft in Deutschland bald tot.“

Seit 1979 baut WKV Wasserkraftwerke in der ganzen Welt. Volk-Turbinen versorgen Bergbauernhöfe in der Schweiz ebenso wie Dörfer im Kongo. Die Spezialität der 140-Mann-Firma sind Anlagen für kleine und mittlere Stauwerke.
Der kautzige Chef, ein klassischer Schwarzwälder Tüftler, entstammt der Umwelt- und Anti-Atomkraftbewegung. Sein Unternehmen hat er einst gegründet, um der „vergessenen Energieform Wasserkraft“ zum Durchbruch zu verhelfen, wie er sagt.
„Osterpaket“ bringt Branche in Alarmstimmung
Jetzt ist der studierte Physiker und Chemiker 68 Jahre alt und könnte eigentlich noch einmal von vorne anfangen. Denn wie schon in den 1970er Jahren droht die Wasserkraft in Deutschland wieder ins Abseits zu geraten.
Die Störfeuer kommen diesmal aus Berlin. In seinem Anfang April vorgelegten „Osterpaket“ zur Energiewende hat das Bundeswirtschaftsministerium vorgeschlagen, die Förderung kleiner Wasserkraftwerke bis 500 Kilowatt Leistung „aus ökologischen Gründen“ einzustellen.
Bislang werden die Klein-Anlagen, die Strom für etwa 400 Haushalte pro Jahr erzeugen können, genau wie Solarpanele, Windräder oder Biogasmeiler über das Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) bezuschusst.
Damit soll jetzt Schluss sein. Außerdem soll der Neubau von Wasserkraftwerken jedweder Größe künftig nicht im „überragendem öffentlichen Interesse“ sein, obwohl das für alle anderen Erneuerbaren Energien der Fall ist. Genehmigungsverfahren, die sich heute schon über etwa zehn Jahre hinziehen, werden so noch schwerer.
7300 Anlagen entlang deutscher Flüsse betroffen
Volk sitzt in seinem Büro und muss sich das erst einmal auf der Zunge zergehen lassen. Dann sagt er: „Das ist ein absoluter Irrsinn. Wir haben das Wasser, wir haben die Technologien und wir brauchen jede Kilowattstunde grünen Strom.“

Mit der Meinung steht der umtriebige Unternehmer, der auf einem energieautarken Bauernhof lebt und einen 15 Jahre alten Audi fährt, nicht alleine da. Seit die Berliner Pläne öffentlich geworden sind, ist die Wasserkraftbranche, aber auch Teile der Politik, in Alarmstimmung. Denn das Förder-Aus beträfe nach Branchenangaben rund 90 Prozent aller heimischen Wasserkraftwerke und damit 7300 Anlagen.
Sie stehen meist entlang kleiner Flüsse und liefern zusammengenommen Strom für rund eine Millionen Haushalte bundesweit. Auch im Südwesten, wo besonders viele der Anlagen stehen, leisteten sie „wichtige Beiträge zur Stromerzeugung“, wie es vom Stuttgarter Umweltministerium heißt.
Eine Stellungnahme von drei Dutzend Verbänden spricht von einer „beispiellosen Diskriminierung der Wasserkraft, die sachlich nicht hinnehmbar und völlig fehlgeleitet „ sei. Gehe das Gesetzesvorhaben durch, werde nicht nur der Neubau, sondern auch die Modernisierung der Anlagen verhindert.
Wasserbau-Professor Haimerl: Wasserkraftwerke drohen zu verfallen
Drastischer noch formulieren Fachleute: Bei dem Berliner Vorstoß handele es sich um den Versuch, kleinen Wasserkrafterzeugern „den Stecker zu ziehen“, sagt Gerhard Haimerl, Professor für Wasserbau und Gewässerökologie an der Hochschule Biberach. Sei er erfolgreich, drohten die Anlagen entlang der Flüsse zu verfallen.
Dabei sind die Wehre und Kraftwerke in Deutschland bislang gut in Schuss. Zwar werfen sie selten ähnlich hohe Gewinne ab wie Wind- oder Solarprojekte. Insbesondere dauert es viel länger, bis sich die Anlagen amortisiert haben. Dann jedoch liefern sie über Jahrzehnte zuverlässig kalkulierbare Erträge.
Treppen für Aal und Lachs
Das Hauskraftwerk, das Unternehmer Volk vor 20 Jahren im Flüsschen Elz, wenige Kilometer vom Firmensitz entfernt, errichtet hat, ist so eine Anlage. Über eine gut fünf Meter breite Fischtreppe können Bachforelle, Aal oder Barbe das Hindernis flussaufwärts passieren. Schwimmen sie flussabwärts, werden sie durch einen Strömungskanal an der Turbine vorbeigelotst. Diese ist zusätzlich mit einem engmaschigen Rechen geschützt.
„Für Fische ist da fast kein Durchkommen“, sagt Volk. Sensoren messen zudem die Durchflussmenge und schalten das Kraftwerk ab, wenn der Wasserstand im Sommer zu stark sinkt.
Eine Voraussetzung, die hohen Anfangsinvestitionen für solche Anlagen zu stemmen und Finanziers bei Laune zuhalten sind die festen Einspeisevergütungen von derzeit 12,15 Cent je Kilowattstunde, die der Staat den meist privaten Betreibern für eine Dauer von 20 Jahren gewährt. Das Geld liefere einen Anreiz, in ökologische Verbesserungen wie Fischtreppen zu investieren, sagt Fachmann Haimerl.
Fielen die Zuschüsse weg, drohe ein Stillstand bei Umwelt-Innovationen, wie Wasserbauer Haimerl es ausdrückt. „Der Schuss könnte nach hinten losgehen. Die Gewässerökologie könnte langfristig leiden“, so der Fachmann.
Umweltverbände in Fundamentalopposition zu Wehren
Insbesondere Umweltverbände sehen das anders. Der WWF etwa erkennt in den Wehren und Staumauern einen maßgeblichen Grund für den Einbruch der Fischbestände in Fließgewässern. Dass Berlin insbesondere der kleinen Wasserkraft den Hahn zudrehen will, begrüßt die Umweltorganisation, ähnlich wie auch der BUND und diverse Landesfischereiverbände.
Viele der Anlagen rotteten vor sich hin, heißt es beim WWF. Und in manchen Turbinentypen würden knapp die Hälfte der vorbeiziehenden Fische geschreddert. Schutzmaßnahmen seien oft wirkungslos.
Welche Rolle trägt die Landwirtschaft?
Volk rollt bei solchen Argumenten mit den Augen. Da würden „Uralt-Kraftwerke“ herangezogen, die längst nicht mehr Standard seien, sagt er. Hochschul-Professor Haimerl will die Auswirkungen der Querbauwerke, insbesondere auf „Zugfische wie den Aal oder Lachs“ nicht klein reden, erkennt in der Landwirtschaft aber den wahren Feind der Fischpopulationen. Deren Dünger- und Pestizideinträge in die Flüsse beeinflussten die Bestände „viel maßgeblicher“, sagt er. An die Landwirtschaft traue sich die Politik aber nicht richtig heran.

Tatsächlich rätselt man in der Branche, wieso Berlin in einer Zeit, in der die Energieversorgung aufgrund eines drohenden Gas-Lieferstopps aus Russland sowieso schon auf tönernen Füßen steht, die Ölpreise explodieren und der Klimawandel massive Investitionen in Öko-Energien nötig macht, einer regenerativen Energiequelle den Garaus machen will, die in weiten Teilen der Bevölkerung unumstritten ist und die deutschen Flusslandschaften teilweise schon seit mehr als Hundert Jahren prägt.
Zumal es bei der Wasserkraft eigentlich weniger um den Neubau, sondern um einen sinnvollen Aus- und Umbau bestehender Kraftwerke geht.
Wurde die kleine Wasserkraft im Ministeriengeschacher geopfert?
Volk ist überzeugt, die Fischerei-Lobby, die gerade in den unteren Kommunalbehörden gut vernetzt ist, hätte sich durchgesetzt. Plausibler erscheint, was bei Verbänden in Berlin zu hören ist. Demnach habe das Bundesumweltministerium bei den Verhandlungen zum Osterpaket eine Gegenleistung für Zugeständnisse beim Vogelschutz verlangt. Harte artenschutzrechtliche Regelungen hatten in der Vergangenheit den Ausbau der Windkraft massiv ausgebremst.

Kleine Wasserkraftanlagen, die den Großteil der Querbauwerke in Flüssen ausmachen, gleichzeitig aber nur überschaubare Strommengen liefern, seien da ein „leichtes Opfer“ gewesen, sagt einer, der die Verhandlungen mitverfolgt hat.
Habecks Wirtschaftsministerium sei eingeknickt, weil sich dort die Einsicht durchgesetzt habe, dass Wind- und Solaranlagen, nicht Wasserkraftwerke, die Schlacht um die Energiewende entscheiden würden. Bestätigen lässt sich das freilich nicht.
Allerdings setzen mittlerweile nicht nur Branchenverbände ein Fragezeichen hinter die Wasserkraft-Pläne des Bundes. Gemeinsam fordern die CDU-Landtagsfraktionen in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz, Wasserkraft weiter über das EEG zu fördern und anzuerkennen, dass ihr Ausbau in „überragendem öffentlichen Interesse“ ist.
Dafür sprach sich vergangene Woche auch der Bundesrat aus, der bei dem anstehenden Gesetzesvorhaben angehört werden muss. Auch in der FDP gibt es ähnliche Stimmen im Land. Möglich, dass jetzt ein breiteres Umdenken stattfindet.
Wasserkraft-Pionier Volk würde das begrüßen. Seit 1979 hat er weltweit Wasserkraftwerke mit einer Gesamtleistung von 1,6 Gigawatt gebaut – das ist so viel wie eineinhalb Kernkraftwerke. „Es wäre schön, wenn ich auch in Deutschland noch etwas tun könnte“, sagt er.