Sie heißen Best Agers, Generation Gold oder schlicht die Baby Boomer. Doch seit einigen Monaten hat die Bevölkerungsgruppe über 65 Jahre eine neue Beschreibung dazugewonnen: Risikogruppe.

Neben Menschen mit Vorerkrankungen wie Lungenleiden, Bluthochdruck oder Übergewicht erleben besonders ältere Menschen bei einer Infektion mit Covid 19 einen schweren Verlauf oder sterben sogar daran.

Wissenschaftliche Studie mit Menschen über 65 Jahren

Wie können diese sich vor einer Erkrankung schützen? Und was tun, wenn man sich doch ansteckt? Sport kann das Immunsystem stärken. Diese These überprüft aktuell Michael Despeghel, Sportwissenschaftler und erfolgreicher Buchautor aus Tägerwilen.

Michael Despeghel
Michael Despeghel | Bild: privat

Despeghel ist Lehrbeauftragter für Gesundheitsverhalten am Institut für Sportwissenschaft der Universität Gießen. Seine Bücher handeln von einem gesunden Lebensstil und Ernährung. Er gibt Vorträge und Coaching zur Lebensoptimierung.

60 Probanden nehmen an der Studie Teil

Aktuell läuft seine Studie, die er gemeinsam mit dem Fitness- und Gesundheitszentrum Fitness for You in Radolfzell an 60 Probanden durchführt. Er möchte wissenschaftlich erforschen, ob schon moderate Bewegung bei Menschen über 65 Jahren einen positiven Effekt auf das Immunsystem hat.

Die Teilnehmer der Studie seien zuvor nur wenig oder gar keiner sportlichen Bewegung im Alltag nachgegangen, viele hätten diverse Vorerkrankungen, alle seien älter als 65 Jahre, erklärt Despeghel. „Anfänglich hatten sich nach dem Aufruf im SÜDKURIER 100 potenzielle Probanden gemeldet, doch es blieben nur 60. Viele hatten dann doch Bedenken, regelmäßig ins Fitness-Studio zu gehen“, sagt Despeghel.

Der Lebensstil beeinflusst das Immunsystem

70 Prozent von dem, was ein gutes Immunsystem ausmacht, sei vom Lebensstil abhängig, sagt der Sportwissenschaftler. Für die Risikogruppe ab 65 Jahren sei ein gesunder Lebenswandel immens wichtig. „Es ist nie zu spät anzufangen“, versucht er Mut zu machen. Sport sei ohnehin im Alter noch wichtiger als in jungen Jahren, denn je älter man werde, umso mehr brauche man den positiven Effekt der Bewegung.

„Es ist nie zu spät anzufangen“
Sportwissenschaftler Michael Despeghel

Und der sei nicht nur körperlich, sondern auch psychisch. „Sport beeinflusst das Belohnungszentrum im Gehirn, es macht glücklich. Und eine positive Lebenseinstellung fördert wiederum das Immunsystem, das ist ebenfalls bereits erforscht“, erklärt Michael Despeghel.

Blutuntersuchung bestimmt die Stärke des Immunsystems

Vor dem Start der Studie, die noch bis Ende Oktober laufen wird, wurden die Teilnehmer ordentlich durchgecheckt. Eine aufwändige Blutanalyse sollte die Anzahl der T-Helferzellen im Blut bestimmen.

Diese sind für die Immunantwort des Organismus auf einen Infekt verantwortlich. Eine Vergleichsgruppe wurde ebenfalls dieser Blutuntersuchung unterzogen, jedoch ohne das entsprechende Sportprogramm.

Individuelle Sportprogramm für jeden Teilnehmer

Nach dem Bluttest hat jeder Proband ein Sportprogramm bekommen. Das beinhaltet zwei Mal die Woche ein Zirkeltraining im Fitness-Studio sowie einige stabilisierende Übungen für Zuhause.

Eine Mischung aus Kraft- und Ausdauertraining, angepasst auf den jeweiligen Fitness-Stand, sollen die Teilnehmer acht Wochen lang regelmäßig betreiben. Nach acht Wochen wird erneut der Immunsystem-Check durchgeführt.

Das sagen die Studienteilnehmer

Einer der Teilnehmer ist Peter Kesenheimer. Er ist 65 Jahre alt, wohnt auf der Reichenau und er fährt viel mit dem Fahrrad, leidet aber unter Arthrose an Schulter und im Kniegelenk. Von der Studie hat er durch den SÜDKURIER erfahren. „Ich wollte sehen, was ich mir sportlich noch zumuten kann und meine Muskulatur verbessern“, sagt er.

Das nervigste am Training? „Die Fahrt von der Reichenau in das Fitnessstudio in Radolfzell„, sagt Kesenheimer lachend. Sein Training besteht aus einem Zirkeltraining aus verschiedenen Kraftübungen, die knapp 40 Minuten dauern. Im Anschluss folgt eine kurze Einheit Ausdauertraining. „Ich bin zwei Mal in der Woche für etwa eine Stunde und 15 Minuten im Studio“, fasst Kesenheimer seinen Trainingsplan zusammen.

Das Ehepaar Christl und Reimund Land haben ebenfalls aus dem SÜDKURIER von der Studie erfahren. Christl war sofort interessiert, denn ihr erster Gedanke: „Nötig hätte ich es schon.“ Sie erhofft sich danach gesünder und fitter zu sein. Und hat ihren Mann Reimund gleich mit überzeugt. Dieser habe jahrzehntelang keinen Sport gemacht, möchte aber mit dem Training jetzt rechtzeitig vorbeugen. „Wir hoffen nach der Studie weiter zu machen“, sagt Reimund.

Corona wird im Alltag oft verdrängt

Das Thema Corona habe den Studienteilnehmer Peter Kesenheimer schon beschäftigt, doch im Alltag neige man dazu, es zu verdrängen, sagt der 65-Jährige. Dass die Studie einen positiven Effekt auf sein Immunsystem nachweisen werde, das kann er sich gut vorstellen. An seinem übrigen Lebensstil habe er nichts geändert, denn er lebe bereits vegetarisch, trinke keinen Alkohol und sei Nichtraucher.

Die Studienteilnehmer haben keine Vorgaben zu ihrer Ernährung bekommen. „Wir wollen das Ergebnis nicht verfälschen, wir möchten sehen, wie Sport alleine wirkt“, erklärt Michael Despeghel.

Moderne Geräten unterstützten das Training

Peter Kesenheimer selbst hat schon nach vier Wochen eine Veränderung festgestellt. „Meine Beinmuskulatur hat sich verbessert“, sagt er. Die Trainingsgeräte im Studio Fitness for you sind auf jeden Nutzer individuell eingestellt, erklärt Studioleiter Kai Zacharias.

Bevor man anfange zu trainieren, werde ein Krafttest durchgeführt. Anhand dessen würde das Gerät die Gewichte und die Geschwindigkeit des Kraftstrainings bemessen. „So hat jeder seinen eigenen Personal-Trainer bei sich“, sagt Zacharias.

Der Anfang ist immer eine Überwindung

Michael Despeghel hofft, dass die Teilnehmer nach dem Ende der Studie weitermachen. „Aktuell sind sie motiviert durch die wissenschaftliche Untersuchung, aber ein Anfang ist gemacht“, sagt er. Gerade der Anfang sei schwer. Doch müsse nicht gleich jeder zur Sportskanone werden. „Schon jeden Tag eine halbe Stunde normale Aktivität hilft“, sagt der Sportwissenschaftler.

Über den Ausgang der Studie wird der SÜDKURIER wieder berichten