Kann es etwas Sinnfälligeres für die Adelsherrschaft geben als die Waldburg? Sie wird als steinernes Juwel Oberschwabens gefeiert. Wer auf ihrer Aussichtsplattform steht, schaut bei guter Sicht über den Bodensee tief in die Appenzeller Alpen, während sich nach Norden hin die grüne Hügellandschaft bis zur Donau öffnet. Beim Blick von unten zeigt sich die Anlage auf den Bergkegel kompakt und gefestigt – halb Zwingburg, halb Touristenmagnet.
Die Besucher erwartet eine „mittelalterliche Erlebniswelt“, die der Pächter Max Haller dort gestaltet hat. Herzhafte Gastronomie, Kinder-Ritter-Turniere mit entschärfter Armbrust, Hochzeitsfeiern hinter meterdecken Mauern und flammendem Walpurgisnacht-Spektakel auf den Zinnen.
Es wird also wieder gearbeitet auf der Waldburg, die im Besitz der Familie von Waldburg-Wolfegg ist. Das war vor 500 Jahren nicht anders. Die Anlage gab der Familie des Georg III. Truchsess von Waldburg-Zeil (1488-1531) ihren Namen, sie gehörte neben den Schlössern Wolfegg und Zeil zu den drei steinernen Säulen des kleinen Fürstentums, das sich im Deutschen Bauernkrieg durch Blut und Eisen zu einer Stütze des Adels aufschwingen konnte.
Zum „Obersten Feldhauptmann“ gegen die Bauern ernannt
Man brauchte jemanden, der den Aufstand des „gemeinen Mannes“ mit Truppen, Reitern und Kanonen brechen wollte und konnte. Dem Truchsess von Waldburg – später als „Bauernjörg“ bekannt und berüchtigt – fiel diese Aufgabe 1524 zu, als ihn der Schwäbische Bund als Netzwerk des württembergischen Adels zu seinem „Obersten Feldhauptmann“ ernannte.
Heute würde man sagen: zum Armeechef oder zum Problemlöser machte. In mehreren Schlachten schlug vor allem seine gepanzerte Reiterei – die Elite-Formation der damaligen Zeit – die Bauernhaufen in die Flucht, tausende kamen dabei ums Leben.

In Oberschwaben und im Allgäu verloren zehntausende von Bauern ihr Leben, und auch wer sein Leben retten konnte, riskierte als „Rädelsführer“ am Galgen zu landen. Was soll man von einem Mann halten, der den Fürstenwillen gegen die sozialen Forderungen der Bauern – denen sich viele Bürger zugesellten – auf so blutige Weise exekutierte?
Der Museumsführer im musealen Gewand
Christoph Wegele will nicht verurteilen, sondern erklären. Schon optisch nimmt der Museumsführer seine Besucher ins frühe 16. Jahrhundert mit: Ein gegürteter knielanger schwarzer Rock, das dreifache Löwenwappen der Staufer (denen die Waldburger eng verbunden waren) nebst Reichsapfel auf der breiten Brust, eine verzierte Kappe auf dem Kopf – man könnte ihn für einen der Burgmannen des Truchsessen halten, wenn er die Rüstungen der Panzerreiter vorstellt, ihre Spieße, Hellebarden und schweren Degen.

Wer diese Waffen betrachtet, verbunden mit dem professionellen Kriegshandwerk der dem Adel treuen Truppen, könnte versucht sein, die Bauern von Anfang an auf der Verliererseite zu sehen. Ein Trugschluss. „Auch die Bauern haben Landsknechte angeworben“, sagt Christoph Wegele. Das Problem war: Es waren kaum Soldaten im Land, weil die meisten in Norditalien gegen Frankreich kämpften.
Diese Ereignisse im Bauernkrieg stechen hervor
Genau das gleiche Personalproblem hatte Anfangs auch Georg Truchsess, der zwar kriegserprobt aber von der Truppenstärke her eher schwach ausgestattet war. Im Februar 1525, zu Beginn der militärischen Auseinandersetzung, operierte er im Hegau zwischen Mühlhausen, Engen und Stockach mit nur etwa 300 Landsknechten – viel zu wenige, um ein Risiko einzugehen. Die Nähe der militärfreudigen Schweizer Eidgenossenschaft verbot hier zudem ein Auftrumpfen. Man fürchtete ein Eingreifen von jenseits des Rheins.
Regelmäßige Waffenübungen
Die Bauern, die im Juni 1524 bei Stühlingen erstmals ihre Forderungen schriftlich an den Adel richten, darf man sich nicht als einen Haufen militärischer Laien vorstellen, die nur mit Heugabeln und Dreschflegeln ausgestattet waren. Das ist ein Bild des 19. Jahrhunderts. So waren die Bauern in die „Landesdefension“ eingebunden, wie man man die kollektive Verpflichtung der Untertanen zur Verteidigung nannte.

Jene schnell zusammengerufenen Truppen schützten Grafschaften und Städte, „regelmäßig fanden Waffenübungen statt“, wie der bekannte Berner Bauernkriegs-Historiker Peter Blickle schreibt. Während die Landwirte heute ihre Traktoren als politische Waffe einsetzen und Straßen blockieren können, verfügte damals jeder Hof über ein Sortiment von soliden Hieb- und Stichwaffen.
Bauern waren im Waffentragen geübt
„Man kann von einer teils geübten, teils ordentlich bewaffneten ländlichen Gesellschaft 1525 ausgehen“, urteilt Peter Blickle. Selbst dutzende Kanonen aus städtischen Arsenalen standen den Bauernhaufen zur Verfügung als es zu den Schlachten gegen die Truppen des Truchsess kam.
Der hatte gegen die Bauern aus dem Hegau und dem Südschwarzwald kaum vorgehen können, als sie unter ihrem Anführer Hans Müller von Bulgenbach Klöster niederbrannten, Freiburg belagerten und zur Übergabe zwangen. Eine klare Front gab es nie, man musste auf Überraschungen im eigenen Hinterland gefasst sein.

Georg Truchsess von Waldburg war da keine Ausnahme. Auch seine eigenen Bauern, denen er laut Christoph Wegele zuvor „als zwar konservativer aber verlässlicher Partner“ begegnet war, erhoben sich gegen ihren Herrn und verlangten die Umsetzung ihrer Forderungen. In der Schlacht am Leprosenberg bei Wurzach im April 1525 flüchteten viele Männer ins Wurzacher Ried und wurden von Georgs Reiterei ohne Gnade niedergemacht.

Über diese in Eisen gepackten Kämpfer verfügten die Bauern nicht. Dafür konnten sie tausende von Fußsoldaten ins Feld schicken. In der Schlacht von Leipheim an der Donau Anfang April 1525 sollen sie es auf etwa 5000 Mann gebracht haben, Chronisten berichten von 1000 bis 3000 Toten, die den Reitern und Landsknechen des Truchsess zum Opfer fielen. Die Qualität ihrer – teils auch zerstrittenen – militärischen Führung blieb bei allem Mut zum Widerstand hinter der eines Georg Truchsess zurück.
Die eigenen Leute töten?
Nach Leipheim soll es im Heer des Schwäbischen Bundes zu Massendesertationen gekommen sein. Von 1500 Landsknechten ist die Rede. Sie sahen nicht ein, warum sie gegen ihre eigenen Leute kämpfen sollten. Peter Blickle spricht nicht ohne Grund von einem Bürgerkrieg – zumal auch Stadtbewohner, eher an Freiheit gewohnt, an den Kämpfen beteiligt waren.
In der Ahnengalerie auf der Waldburg hängt Georg Truchsess in Öl, in geschupptes Eisen gekleidet mit einem Marschallstab bewaffnet. So verehrte ihn der Adel als „Retter des Reiches“ vor einem angeblich geplanten aber so nie gewollten totalen Umsturz durch Bauern und Bürger. Christoph Wegele hingegen weist deutlich nüchternder auf Georgs Verdienste beim Wiederaufbau hin, den er von Stuttgart aus organisierte.
Der Truchsess ist mit 43 Jahren körperlich ausgezehrt
Viel Zeit, sein hohes Ansehen zu genießen, blieb dem Truchsess nicht. Er starb, körperlich ausgezehrt, schon mit 43 Jahren und wurde in der Stiftskirche St. Peter in Bad Waldsee beigesetzt. Hätte ihn Kaiser Karl V. im fernen Madrid zum „Herzog von Oberschwaben“ ernannt, wovon der Truchsess als Lohn für seine treuen Dienste träumte, wäre sein Grabmahl vermutlich weniger bescheiden und weniger abseits gelegen als es heute ist.