Vor der schneeweißen Villa mit drei anthrazit-farbenen Garagen in Bosnien-Herzegowina stehen ein roter Ferrari sowie je ein Lamborghini, Maserati und Bentley ganz in Weiß. Ihre Kennzeichen verraten, dass sie in Zürich und München zugelassen sind. Wie die teuren Boliden dauerhaft nach Osteuropa gekommen sind, ist unklar.
Stolz posiert ein Mann vor den Luxusschlitten: der 39-jährige Nermin C., „Welt-Präsident“ der am Mittwoch vergangener Woche bundesweit verbotenen rockerähnlichen Gruppierung ‚United Tribuns‘ (UT). Er ist der jüngere Bruder des 48-jährigen Armin „Boki“ C., früherer Rotlicht- und Rockerkönig von Villingen-Schwenningern sowie Gründer der UT mit weltweit rund 1700 Mitgliedern, laut der britischen Tageszeitung „The Guardian“.

Seit sich die beiden Brüder vor 13 Jahren im Zuge einer Razzia in der Schwarzwald-Baar-Doppelstadt aus dem Staub gemacht haben, lebten sie lange unbehelligt von allen Strafverfolgungsbehörden in einer bosnischen Kleinstadt.
VS-Kennzeichen in Bosnien
Dort führten sie ein wahres Luxusleben und stellten es auch ungeniert in sozialen Netzwerken zur Schau – bis vor Kurzem. Nermin C. kommentierte ein Foto, das ihn vor einem teuren Sportwagen zeigt: „Der reichste Mann ist immer der, der die mächtigsten Freunde hat.“
Neben den vier erwähnten Boliden stehen im Fuhrpark der Gebrüder C. offenbar noch zwei weiße Hummer (Preis ab 100.000 Euro), je ein weiterer Maserati und Bentley sowie mindestens ein Mercedes und Land Rover. Es seien die Autos von Freunden von Freunden, sagte Dado, Cousin der Brüder und lange rechte Hand von Boki, vor einigen Jahren mit einem Schmunzeln in einer TV-Doku. Sie würden sich so durchschlagen.
Damals fuhren sie noch mit baden-württembergischen VS-Kennzeichen in der bosnischen Provinz herum und erregten schon damals großes Aufsehen.
Geld ist im Überfluss vorhanden
In der örtlichen Diskothek, die der „Familie“ gehöre und die ein Mitglied der United Tribuns pachte, sei „das Teuerste (verbaut, Anm. d. Red.), das man reinmachen könne“, wie es Dado damals ausdrückte. Auch das Badezimmer in der riesigen privaten Villa mit großem Pool sowie die Sauna und Bar muten futuristisch wie ein Raumschiff an.

Fotos von Ausflügen auf Yachten und Jetskis sowie der großzügige Fuhrpark mit Motorrädern, Buggies und Quads lassen erahnen, dass Geld im Überfluss vorhanden sein dürfte. Doch woher stammt das anscheinend grenzenlose Vermögen?
Türsteher-, Rotlicht- und Rockermilieu
Es war Anfang der 1990er-Jahre, als Familie C. vor dem Bürgerkrieg in Jugoslawien nach Deutschland floh. Nermin war damals noch ein Kind, sein großer Bruder, der damals wohl noch Almir hieß, seinen Namen später zu Armin änderte und bei den meisten unter den Spitznamen Boki bekannt ist, ein Heranwachsender.
Der Muskelmann beginnt klein als Türsteher im Großraum Villingen-Schwenningen, feiert Erfolge als Boxer und steigt früh in die Zuhälterei ein. Zusammen mit weiteren Personen aus dem Türsteher-, Rocker- und Rotlichtmilieu eröffnet er mehrere Bordelle, die meist auf seine Ehefrau angemeldet sind.

Im Alter von 30 Jahren gründet Boki die „United Tribuns“, die laut Bundesinnenministerium zu einer der mächtigsten und mitgliederstärksten Rockergruppierungen in Deutschland aufsteigen sollte. Boki schart reihenweise junge Männer um sich, die ihm in Sachen Boxen, Bodybuilding und Kampfsport nacheifern wollen und fast ihm fast wie eine Privatarmee loyal ergeben sind.

Außerdem gründet Boki zahlreiche lokale Untergruppen, genannt Chapter, in ganz Deutschland, Österreich und der Schweiz, später auch am Balkan. Mitglieder dieser Chapter übernehmen in zahlreichen Städten Bordelle, darunter in Konstanz, Offenburg, Pforzheim oder Pirmasens. Will ein Rotlicht-Unternehmer nicht kooperieren oder sein Etablissement abtreten, wird mit Gewalt nachgeholfen, auch gegen Frauen.
„Ich wusste, dass die mich ausbeuten“
Durchtrainierte Rocker schwindeln Dutzenden Frauen die große Liebe vor und werben besonders erfolgsversprechende Prostituierte von anderen Bordellen ab, so wie Ina. Sie hat viereinhalb Jahre für einen Boki-Vertrauten in Villingen-Schwenningen gearbeitet und in dieser Zeit mit ihrem Körper mehrere 100.000 Euro erwirtschaftet. „Ich wusste sowieso, dass sie mich ausbeuten. (…) Mir wurden vielleicht 20 Euro mal dagelassen“, erzählt die Frau in einer SWR-Doku.
Auch eine andere Prostituierte namens Cindy war lange in den Fängen um Bokis Männer. Sie hat ihren Tagesumsatz genau protokolliert und ist in eineinhalb Jahren auf einen Verdienst von knapp 200.000 Euro gekommen. „Mir blieb ein kleines Taschengeld, ungefähr 500 Euro pro Monat. Damit habe ich Sachen für die Arbeit, Schuhe, Kondome oder Unterwäsche gekauft“, so Cindy.
Ferrari in bar bezahlt
Aus dem anfänglichen „Verliebtsein“ der Zuhälter und ihrem Gerede von gemeinsamer Zukunft mit Familie wird rasch ein völliges Klima der Angst, strenger Überwachung und totaler Ausbeutung. Widerstand wird mit roher Gewalt erwidert. „Du stehst unter dauernder Beobachtung, es gab gar keine Chance abzuhauen“, schildert Ina sklavenähnliche Zustände.
Das so erwirtschaftete Geld geben Boki und seine Leute mit vollen Händen aus und führen sich dabei wie die Könige von Villingen-Schwenningen auf. Ihre Luxusschlitten sollen sie damals gerne in der Fußgängerzone der Doppelstadt geparkt haben. Als Schutzpolizisten sie darauf ansprechen, sollen Boki und seine Kollegen ihnen die Autoschlüssel mit den Worten „Ihr seid sicher noch nie Hummer oder Ferrari gefahren“ hingeworfen haben, heißt es aus Polizeikreisen.

Trotz allem konnte ihnen die Kripo lange nichts nachweisen, bis Boki sich einen Ferrari 360 Spyder kauft und die Summe von 112.000 Euro in bar auf den Tisch legt. „Da wurden wir stutzig“, sagt ein Kripobeamter von damals.
Unternehmer und Großgrundbesitzer
Wegen des Verdachts der Zwangsprostitution, des Menschenhandels und der Steuerhinterziehung kommt es 2009 schließlich zur Razzia gegen Boki und sein Netzwerk in Villingen-Schwenningen. Doch ein den „United Tribuns“ damals nahestehender und hinterher suspendierter Polizist gibt dem Rotlichtkönig einen Wink und dieser kann nach Bosnien entkommen.
In ihrer alten Heimat bauen sich die Brüder mit ihrem – laut Zeugenaussagen – in der Schweiz in Sicherheit gebrachten illegalen Vermögen ein wahres Imperium auf. Sie kaufen zahlreiche Ländereien, werden zu Großgrundbesitzern, Inhabern eines Sägewerks und mehrerer Immobilien. Für sich selbst und ihre Familie lassen sie eine großzügige Villa errichten.

Auch ein Kampfsport-Club Namens „UT 2120“ wird in Bosnien gegründet, wobei die beiden Buchstaben für „United Tribuns“ stehen und die Zahlenkombination nicht für ein Zieljahr in der Zukunft, sondern für den 21. und 20. Buchstaben des Alphabets: U und T.
Gespräche mit Generalstaatsanwältin
Der SÜDKURIER ruft dort mehrmals an, um eine Stellungnahme von Boki oder einem seiner Leute einzuholen. Als einmal ein Mann abhebt, legt er nach wenigen Worten der Vorstellung abrupt auf.
Auch die frühere Schwarzwälder Anwältin des 48-Jährigen will sich zu dem Fall nicht mehr äußern. Sie habe nach einer TV-Doku über Boki, in der sie sich ausführlich äußert und diesen in Schutz nimmt, zahlreiche Morddrohungen erhalten, erwähnt aber beiläufig, dass sie nach den Razzien am 13. September einen der elf Tatverdächtigen vertrete.
Zuletzt konnten deutsche Journalisten im Jahr 2014 in Bosnien mit Boki sprechen. Er vermisse seine Kinder und seine Familie in Deutschland, wolle zurück und warte auf ein Angebot der Staatsanwaltschaft Konstanz, sagte er damals. Die Staatsanwaltschaft bemühte sich tatsächlich intensiv um eine Auslieferung des mutmaßlichen Schwerverbrechers. Es kam auch zu Gesprächen mit der bosnischen Generalstaatsanwältin, wie der SÜDKURIER aus gut informierten Kreisen erfahren hat.
Doch die oberste Anklägerin von Bosnien soll sich beharrlich geweigert haben, einen bosnischen Staatsbürger ins Ausland auszuliefern – trotz der Bemühungen ihres Landes, Mitglied der EU zu werden. Hätten die Konstanzer Staatsanwälte den Fall an die bosnischen Behörden abgetreten, wäre der deutsche Strafanspruch erloschen.
Verbrechen längst verjährt?
Andreas Mathy, Sprecher der Staatsanwaltschaft Konstanz, hält sich in dem Fall, wie auch die Polizei, auffallend bedeckt. Er will noch nicht einmal bestätigen, dass gegen Boki weiterhin gefahndet wird. Das würde die Ermittlungen gefährden.
Oder könnten die Straftaten des Rotlicht- und Rockerkönigs aus Villingen-Schwenningen 13 Jahre nach der ersten von zahlreichen Razzien gegen die Rockerbande nicht schon längst verjährt sein? „In diesem Fall müssten es 20 Jahre Verjährungsfrist sein“, sagt Mathy. Es blieben also noch ein paar Jahre Zeit.

Hoffnung macht den Ermittlern die kürzliche Festnahme von Bokis jüngerem Bruder Nermin C. Am 15. und 17. August postet dieser noch Fotos von sich in einem Luxusclub an der kroatischen Küste bei Dubrovnik. Am 18. August erlassen die Schweizer Strafverfolgungsbehörden wegen des Verdachts der internationalen Prostitution und des Menschenhandels einen internationalen Haftbefehl gegen den 39-Jährigen, der inzwischen die internationale Führung der „United Tribuns“ übernommen hat.
Nur eine Woche später, am 24. August, klicken für ihn die Handschellen, als er als Beifahrer eines Land Rovers mit deutschem Kennzeichen vom Norden Bosniens erneut nach Kroatien einreisen will und überrascht feststellen muss, dass ein Haftbefehl gegen ihn vorliegt.
Als er in Handschellen einem kroatischen Haftrichter vorgeführt wird, der Untersuchungshaft verhängt, soll es zu einer „Besetzung“ des kroatischen Bezirksgerichts durch „United Tribuns“-Mitglieder gekommen sein, wie bosnische und kroatische Medien berichten. Gegen seine Auslieferung in die Schweiz hat der 39-Jährige Einspruch eingelegt. Es gilt für alle Genannten die Unschuldsvermutung.