Wer Hochdeutsch spricht, wird den Johannes Kretschmann niemals finden. „I wohn‘ in Loiz,“ sagt er am Telefon. In Loiz? Kein Navigator der Welt findet das sagenhafte Loiz, weil der Navi nur ein Laiz mit „a“ kennt, das zu Sigmaringen gehört. Eben dort wohnt Kretschmann junior, 41, Sohn des Ministerpräsidenten. Vom Vater hat er nicht nur die Augen, sondern auch die Liebe zum schwäbischen Dialekt geerbt, den er ebenso breit dehnt wie sein Vater.
Vor einigen Tagen machte der Sohn von sich reden: Er will für die Grünen in den Bundestag einziehen. Für die Wahl im Herbst 2021 will sich Johannes Kretschmann aufstellen lassen, kündigte er kürzlich an. Der Weg dahin ist steinig, denn außer ihm hat auch der Grüne Thomas Zawalski aus Balingen Interesse für ein Mandat angemeldet. Zawalski ist Unternehmensberater, ein Pragmatiker, und wirkte bei der Präsentation eher gesetzt, während Kretschmann noch den verwegenen Charme seiner studentischen Jahre umgibt, in denen er sich seltenen Sprachen von Schwäbisch bis Rumänisch widmete – in Berlin.
Ein schwarzer Wahlkreis
Fest steht: Der Wahlkreis, der Teile aus zwei Landkreisen abdeckt (“BL“ und „SIG“) ist tief konservativ. Seit Menschengedenken holen dort CDU-Männer die Fahrkarte nach Berlin. Darunter waren schon Schwergewichte wie Dietmar Schlee. Zurzeit ist Thomas Bareiß gewählt. Ohne einen soliden Platz auf der Landesliste wird es einem Grünen kaum für den Bundestag reichen.

Kretschmann wittert dennoch Chancen. Im Kreistag leitet er die Grünen-Fraktion mit acht Mitgliedern. Dort erwerbe er die nötige politische Erfahrung, sagt er im Gespräch mit dem SÜDKURIER. Er hat dort ein altes Bauernhaus gemietet, schräg gegenüber von der Kirche. Während er die Kaffeebohnen mit der Handmühle mahlt, weist er den Weg in den Garten. Ein Bauerngarten alten Schlages, mit Schopf und frisch gesäten Sonnenblumen. Im Holzklotz steckt noch das Beil; jetzt braucht er es seltener, weil der Holzofen vor allem im Winter anfeuert wird. Unter einem Vordach steht ein altes Sofa. Dort machen wir es uns gemütlich. So geht Chillen auf Schwäbisch.
Für die Schweizer Swisscom (entspricht der deutschen Telekom) arbeitete er als Internet-Redakteur. Den Job gab er auf, er sagt: „In der analogen Welt fühle ich mich wohler.“ Jetzt hat er Zeit für die letzten Seiten seines ersten Romans. Und er hätte Zeit für einen Wahlkampf. Die Bewerbung in der Partei verknüpft er mit hehren politischen Zielen. Er strebe eine Europäische Konföderation an. „Europa benötigt mehr Macht,“ denkt er.

Die Ökologie ist für ihn so selbstverständlich, dass er sie nicht mehr eigens thematisiert. „Ich bin doch ein Feld-, Wald- und Wiesengrüner“, sagt er. Er lebt bescheiden, verfügt über wenig Konsumgüter und fühlt sich pudelwohl in seinem Gäu zwischen Donau und Alb. Mit dem Wort Heimat hat er kein Problem. Vielmehr schmerzt ihn, wie das gewohnte Leben aus einem Dorf wie Laiz immer mehr verschwindet und immer mehr Wiesen verbaut und asphaltiert werden. „Das war früher viel schöner, als wir herzogen.“ Wir, das ist die Familie, die das Elternhaus von Gerlinde Kretschmann übernahm. Die Eltern wohnen drei Minuten entfernt vom Sohn. Gelegentlich geht er zu Mutter Gerlinde hinüber zum Mittagessen.
Ein Vetter in Stuttgart?
Mit dem Ruhm seines Vaters hat er kein Problem. „Eines verbindet mich mit meinem Vater: Ich habe einen eigenen Kopf. Die Kandidatur für Berlin wuchs auf eigenen Miste“, entfährt es ihm. Wie scharf bereits in der Landespolitik geschossen wird, erfuhr JFK, wie er sich abkürzt, als er das Staatsministerium in Dialektfragen beraten hat. Die SPD sprach schnell von Vetterleswirtschaft und vermutete ein dickes Honorar, das dem Filius zukomme. Dieser dementierte, er habe das ehrenamtlich gemacht, was offenbar für viele in Stuttgart unvorstellbar ist.

Johannes Kretschmann ist es ernst mit der Mundart. „Der Dialekt wird in Baden-Württemberg noch immer positiv bewertet“, stellt er fest. Nur werde er immer weniger gesprochen, auch das ist Tatsache. Er fordert, dass Erzieherinnen Schwäbisch oder Badisch mit den Kindern reden, soweit sie das eben können. Sollte es je ein eine „Abteilung zur Förderung der Dialekte„ geben, wäre der Mann aus Loiz oder Laiz die Idealbesetzung.