Die Pflegekräfte stehen unter Beschuss. Vor einigen Tagen hat sich eine Pflegerin stellvertretend in den Medien geäußert. Ein Appell in Reaktion auf eine neue Hasskultur, die sich gegen die noch vor Monaten mit Applaus bedachten Berufe im Gesundheitssystem richtet – nicht nur im Netz, sondern auch in Politik und Medien. Weil einige von ihnen Vorbehalte gegen die Impfung haben.
„Eben waren wir noch systemrelevante Retter in der Not und Helden, denen von Rednerpulten und Balkonen Beifall gespendet wurde – nun sind wir unvernünftige Bösewichte und gefährliche „Querdenker in Weiß“, für die es statt Dank und Applaus Schelte und Zwang geben soll. Das ist unerhört“, schreibt Pflegerin Nina Böhmer beim Nachrichtensender ntv.
Philipp Huser kann das verstehen. Forderungen nach einer Impfpflicht bezeichnet er als „absoluten Blödsinn“. Der 35 Jahre alte Pfleger aus dem Landkreis Lörrach hat selbst Kollegen, die Vorbehalte haben. Er selbst hat bereits die erste Injektion erhalten, in seiner Einrichtung wurde die erste Dosis Bewohnern und Pflegekräften injiziert. „Die Entscheidung war alles andere als einfach, aber ich habe es gemacht, was ich als meine Pflicht sah“, sagt er im Gespräch mit dem SÜDKURIER.
Angst vor den Risiken
„Ich habe mich informiert. Ich habe mit unterschiedlichen Ärzten gesprochen. Und ja: Die Langzeitfolgen sind nicht bekannt. Aber wer kann mir zum aktuellen Zeitpunkt die Langzeitschäden von Corona nennen?“
„Ich habe also die Wahl, mich zu schützen vor einem schweren Krankheitsverlauf oder ich laufe Gefahr, an Covid-19 zu erkranken und im schlimmsten Fall mein Leben zu verlieren.“ Entweder oder. Diese beiden Optionen wog Huser für sich ab. „Wir stehen an der Front, wir sind jederzeit damit konfrontiert“, ergänzt er.

So sieht es auch eine Facebook-Nutzerin, die auf einen Aufruf des SÜDKURIER reagiert. Eine Pflegekraft, die im Kreis Konstanz arbeitet, weist ausdrücklich auf ihre Impfbereitschaft hin und dass die meisten ihrer Kollegen ebenfalls eine Impfung wollten. Wer auf den Intensivstationen arbeite, sei einem großen Risiko ausgesetzt. Doch bislang fehle es an Impfstoff. Immer mehr Kollegen infizierten sich bei der Arbeit, die Bereitschaft, sich weiter der Gefahr einer Infektion auszusetzen, sinke. Aus Sorge vor negativen Konsequenzen wollte die betroffene Person ihren Namen nicht nennen.
Caritas verteidigt Mitarbeiter
Doch auch offizielle Quellen bestätigen den Eindruck. Die Bereitschaft ist bei vielen Mitarbeitern in der Pflege da. Ilona Krammer von der Caritas in Freiburg sagt dem SÜDKURIER, dass die Impfrate in den Einrichtungen, wo schon geimpft wurde, teils bei 80 bis 90 Prozent liege. Manchmal aber auch nur bei 40 Prozent.
Ob eine Einrichtung vom Virus betroffen war oder nicht, spiele möglicherweise eine Rolle, ergänzt Krammer. „Wenn man selbst schon Bewohner verloren hat, ist die Betroffenheit natürlich größer“, sagt die Referentin. „Die Impfbereitschaft in unseren Einrichtungen ist ein Spiegelbild der Gesellschaft“, sagt die Referentin für stationäre Altenhilfe. „Die Stigmatisierung, dass das Pflegepersonal sich nicht impfen lasse, ist völlig verkehrt“, betont sie. Gerade zum jetzigen Zeitpunkt, wenn noch nicht genügend Impfstoff verfügbar ist.
So gebe es auch Mitarbeiter, die zugunsten der über 80-jährigen Bewohner vorerst verzichten. Andere sehen die Notwendigkeit nicht: „Sie haben das Gefühl, dass es auch mit den Hygienemaßnahmen geht“, sagt Krammer.
Zudem werden Bewohner und Mitarbeiter, die bereits infiziert waren, nach der derzeitigen Impfstrategie gar nicht geimpft. Sie können also gar nicht selbst entscheiden, ob sie die Impfung wollen. Ginge man nach den reinen Zahlen der Impfbeteiligung, könnte man zu einem falschen Schluss kommen.
Diakonie sieht Nachholbedarf bei der Aufklärung
Bei den Einrichtungen der Diakonie Baden scheint die Bereitschaft, sich impfen zu lassen, groß. Sprecher Christian Könemann sagt dem SÜDKURIER, dass beispielsweise im Diakoniekrankenhaus 90 Prozent der Belegschaft zu einer Impfung bereit wären.
Auch in den Pflegeeinrichtungen „kann man sagen, dass keine Signale kommen, die auf mangelnde Bereitschaft schließen lassen, was eine Impfung gegen Covid 19 angeht“.

Die Diakonie kritisiert ebenfalls die „pauschale Kritik am Imfpverhalten“ von Mitarbeitern, das komme einer Stigmatisierung gleich. Das Problem sieht Könemann anderswo. „Statt über Impfpflicht für Pflegekräfte zu diskutieren, sollte der Fokus mehr auf Aufklärung und Information gelegt werden.“ Grundsätzlich könne Impfbereitschaft nur erzeugt werden, „wenn die Entscheidung für oder gegen die Impfung auf fundiertem Wissen basiert“, fügt er hinzu.
Kein Verweigern, sondern Vorsicht
Die Schilderungen von Pfleger Huser bestätigen die Tendenzen, die die Vertreter von Caritas und Diakonie zeigen. Er sieht das Risiko einer Infektion. In seiner Einrichtung hat es zwar nur wenige Fälle gegeben, im einstelligen Bereich. Sowohl Pfleger als auch Bewohner waren betroffen.
Aber Huser kennt auch andere Schicksale. Er selbst steht als Mittdreißiger mitten im Leben, sagt er. „Aber wenn man mitbekomme, wie ein 40-jähriger Familienvater aus dem Leben gerissen wird – oder ein 25-jähriger Arbeitskollege...“ Er beendet den Satz nicht. Die Pandemie hat Spuren hinterlassen.
Der Mann aus dem Lörracher Raum glaubt nicht, dass viele Kollegen tatsächlich Impfverweigerer sind. Aber einfach Menschen, die noch abwarten wollen. Weil sie unsicher sind.
Neue Impfmethode nicht allen geläufig
„Viele sind der Meinung, wir kriegen den Covid-Erreger injiziert“, bestätigt Huser. Sie wissen nichts von der Bauplanmethode, von dem Oberflächenprotein, das mit Hilfe eines Botenstoffs in den Körper gespritzt wird, wissen nicht, dass der Körper darauf reagiert und Antikörper bildet, ohne dass der Virus im Körper umhergeistert.
„Der Impfstoff ist ein normaler Impfstoff, die beschriebenen Nebenwirkungen sind ganz normal“, sagt Huser. Der Pfleger hat sich mit Mitarbeitern aus seinem Team ausgetauscht. Es gehe allen gut, berichtet er. Die zweite Dosis ist für Anfang Februar geplant – sofern genügend Impfstoff geliefert wird.

Doch es gibt auch andere Vorbehalte, die Huser gut nachvollziehen kann. Er hat selbst Kollegen mit Vorerkrankungen. Sie seien verunsichert, wie sich die Impfung auf die Krankheit auswirke.
Fehlender Aufklärung und Verunsicherung durch Falschinformationen
Es fehlte an Aufklärung über den Impfstoff, moniert Huser. Bei den mobilen Impfteams habe die Aufklärung gefehlt, stattdessen habe sie vorab durch Ärzte stattgefunden. Hinzu komme Verunsicherung durch viele Fakenews bis hin zu Videos, bei denen vermeintlich mit Covid-19 geimpfte Personen kurz nach der Impfung in Ohnmacht fielen.
Hinzu komme, dass in der Altenpflege viele Menschen mit Migrationshintergrund arbeiteten. „Die Aufklärungszettel sind aber so fachspezifisch geschrieben, dass selbst ich als Fachkraft Begriffe nachsehen musste“, sagt Huser. Er arbeitet seit 16 Jahren in der Pflege.
Hasskommentare in Foren wie auf Facebook wie „Augen auf bei der Berufswahl“ gehen an die Substanz. Es fühlt sich nicht wie Dankbarkeit an für die Arbeit der Pflegekräfte. Sondern wie blanker Hohn.
Unwissenheit und Sorge vor Folgen
Ähnliche Eindrücke hat der Leiter des Hüfinger Altenheims, Markus Komp. Nur etwa die Hälfte seiner Mitarbeiter habe sich impfen lassen, sagt Komp dem SÜDKURIER. Er hätte sich gewünscht, dass mehr Mitarbeiter an der Impfung teilnehmen. Verständnis für die Zurückhaltung habe er nicht. Denn gerade, wenn man mit älteren Menschen arbeite, sei der Schutz wichtig.

Eine Impfpflicht hält aber auch er für den falschen Weg. Wie Huser sieht er das Manko bei der Aufklärung der Mitarbeiter. „Es ist Unwissenheit, die Ängste und Unsicherheit schürt“, vermutet er.
Facebook-Aufruf zeigt unterschiedliche Reaktionen
Der Eindruck bestätigt sich bei einem Facebook-Aufruf des SÜDKURIER an Menschen in der Pflege, die Vorbehalte gegen die Impfung haben. Einige Leser reagierten darauf, wollten aber anonym bleiben.
Teilweise wurde die Furcht vor Impfschäden genannt, andere sprachen von Vorerkrankungen und der Sorge, wie sich die Krankheit mit dem Impfstoff möglicherweise verschlimmern könnte. Teils besteht Unsicherheit, weil Impfwillige eine Einverständniserklärung unterzeichnen sollten und weil das Merkblatt zur Impfung zu wenige Informationen enthalte.