Herr Bayaz, erleben wir gerade den Beginn einer neuen Banken- und Finanzkrise?
Das glaube ich nicht. Wir sehen allerdings, dass die Zinswende etwas mit dem Finanzmarkt macht. Der Zins ist der entscheidende Hebel für Kredite, für die Bewertung von Anleihen und Aktien. Und schnell steigende Zinsen gehen nicht einfach spurlos am Finanzsystem vorbei. Und deshalb gibt es große Nervosität an den Märkten. Aber wir sehen auch, dass das beherzte Einschreiten von Notenbanken und Regierungen sowie die gute Eigenkapitalsituation der Banken dazu beiträgt, dass wir heute in einer anderen Situation sind als 2008.
Welche Auswirkungen hat das auf uns?
Menschen, die ihr Geld am Finanzmarkt anlegen, brauchen jetzt erst einmal gute Nerven, da Finanzanlagen unter Druck geraten können. Wer langfristig angelegt hat, der kann so eine Korrektur auch aussitzen. Und was Sparerinnen und Sparer betrifft: Die können erst einmal unbesorgt sein. Wir haben ein stabiles dreigliedriges Finanzsystem mit Sparkassen, Genossenschaftsbanken und privaten Banken. Bis zu 100 000 Euro Einlagen sind gesetzlich garantiert, darüber hinaus gibt es je nach System noch einmal Versicherungsleistungen. Insofern ist das System gut aufgestellt. Die Banken sind gut kapitalisiert.
Sowohl die Silicon Valley Bank als auch die Credit Suisse sind sehr isolierte, sehr spezielle Fälle. Aber ich kann natürlich nicht ausschließen, dass so etwas auch in Europa oder auch in Deutschland passieren könnte. Der Investor Warren Buffet hat mal gesagt: Wer nackt badet, das sieht man erst, wenn die Ebbe da ist. Wichtig ist, dass Regierungen mögliche Ansteckungskette unterbrechen und stark und schnell intervenieren. Das war in den USA und der Schweiz der Fall. Aber ist alles ausgestanden? Nein. Wir werden die Situation weiter sehr genau beobachten.
Und was auch ein gewisses Dilemma offenbart: Es gab ja das Versprechen der Politik, keine Bank mehr mit staatlichem Geld zu retten. Das ist bislang auch nicht passiert wie 2008. Aber es gibt das evidente Problem der so genannten „too big to fail“-Banken, also dass Banken so groß sind, dass sie den Staat erpressen können. Und es ist ja fast schon abenteuerlich, dass in der Schweiz aus zwei systemrelevanten Banken jetzt eine neue Mega-Bank-entsteht, die die Abhängigkeit der Schweiz vergrößert.
Ist das Land Baden-Württemberg finanziell betroffen?
Wir haben als Land kleinere Finanzbeziehungen zur Credit Suisse, da geht es um Zinssicherungsgeschäfte. Aber die Credit Suisse existiert ja unter dem Mantel der UBS weiter. Genau dafür haben Regierung und Notenbank mit Garantien und Liquiditätshilfen gesorgt. Wir erwarten daher erst einmal unmittelbar keine Konsequenzen für uns. Ich bin dazu natürlich auch mit unserer Landesbank in sehr engem Kontakt. Auch die Landesbank unterhält wie nahezu jede große Bank mit der Credit Suisse Finanzbeziehungen. Aber auch da haben wir unmittelbar keine Auswirkungen zu befürchten. Das ist die gute Nachricht – und das hat sich im Vergleich zu 2008 verändert.
Haben wir aus der Finanzkrise nichts gelernt?
Wir haben nach 2008, nach der Lehman-Pleite, die richtigen Konsequenzen gezogen. Es gibt höhere Eigenkapitalanforderungen, es gibt ein klares Abwicklungsregime, wenn eine Bank ins Wackeln kommt. Demnach müssen erst die Aktionäre bluten, dann die Gläubiger, und erst dann ziehen die staatlichen Sicherungsmechanismen. Da gibt es jetzt klare Spielregeln. Und wenn neue Themen wie Kryptowährungen aufkommen, ziehen auch die Regulierer nach.

Aber wir stecken nun eben mitten in der Zinswende, die ist ja noch nicht durch. Die EZB ist da in keiner einfachen Situation. Der Kampf gegen die Inflation, die weiterhin hoch ist, spricht auch weiterhin für höhere Zinsen. Aber das eben auch etwas mit dem Finanzmarkt, wie wir gerade beobachten können. Deshalb ist es die Verantwortung der Regulierer und in den Vorstandsetagen der Banken, jetzt noch einmal interne Stresstests zu fahren und sich zu fragen, was die Zinswende für die eigene Bilanz bedeutet. Keine Panik, kein Schnellschuss, kein Aktionismus – aber das Thema ernst zu nehmen, ist das richtige, angemessene Vorgehen.
Bundesfinanzminister Lindner muss einen Haushalt aufstellen, der durch die Forderungen der Ressorts um ein Vielfaches überzeichnet ist. Aber es gilt die Schuldenbremse. Wie geht das aus?
Die Zinswende, über die wir gerade gesprochen haben, hängt ja auch mit der Zeitenwende zusammen. Die Zeitenwende kommt jetzt in der Finanzpolitik an. Wir hatten das ja letztes Jahr in Baden-Württemberg genauso. Wir hatten als Ausgangslage für unsere Haushaltsverhandlungen eine neunfache Überzeichnung und einen engen Korridor.
Als ich gesagt habe, dass wir nicht alles im Koalitionsvertrag umsetzen können, haben ein paar Kollegen erst einmal ordentlich geschluckt, aber am Ende wurde es akzeptiert und wir haben das relativ geräuschlos hinbekommen. Insofern bin ich stolz darauf, dass wir es in einer schwierigen Situation mit unserem Doppelhaushalt hinbekommen, zu konsolidieren, zu investieren und Bürger und Unternehmen von der Inflation zu entlasten. Das war die Quadratur des Kreises.
Mich wundert es daher schon, wie das gerade bei der Ampel abläuft. Da erhebt morgens ein Bundesminister im Morgenmagazin seine Forderung für ein wichtiges Vorhaben und abends kontert der Bundesfinanzminister dann in der Tagesschau. Für das Image ist das nicht gut. Ich finde, die Ampel macht einen guten Job. Aber die Menschen wollen nicht, dass sich eine Regierung so offen streitet. Sie erwarten zurecht Lösungen.
Können Sie die finanzielle Vollbremsung im Bund nachvollziehen?
Hinterher ist man ja immer schlauer. Aber die Ampel hat vergangenes Jahr schlichtweg zu viel Geld mit der Gießkanne ausgegeben. Beim Tankrabatt, bei der 300-Euro-Energiepauschale, die auch Finanzminister und CEOs bekommen haben, bei der Mehrwertsteuererleichterung beim Gas, da wurde diese „you‘ll never walk alone“-Mentalität kultiviert. Die kennen wir schon aus der Pandemie, vieles davon waren auch wichtige Instrumente, aber nicht alles. Es gab viele Hilfsleistungen, an die sich die Menschen heute gar nicht mehr erinnern.
Und ich glaube, wenn die Bundesregierung zielgerichteter mit dem Geld umgegangen wären, hätte sie heute auch mehr Spielräume. Da hätte vielleicht auch mehr Widerspruch aus den Ländern gut getan. Jetzt kommt der Sparzwang mit Ansage. Der Hebel wird da schon extrem hart umgelegt: vom Füllhorn mit Sondervermögen und Doppelwumms wieder zurück zur Schuldenbremse. Das muss ein Finanzminister auch erst einmal managen.
Aber ich glaube: Das kann auch eine Chance werden, nach einer längeren Zeit, in der die Steuereinnahmen sprudelten und jeder Konflikt mit Geld gelöst wurde, wieder zu eindeutigen Prioritäten zu kommen. Das zu verinnerlichen, ist für alle Ebenen wichtig, die kommunale, die Landes- und die Bundesebene. Da müssen alle ihren Beitrag leisten.
Wir haben leider in der Gesellschaft auch eine gewisse Erwartungs- und Anspruchshaltung kultiviert, die wir nicht auf Dauer erfüllen können: Nämlich, dass jeder externe Schock wie Inflation, Energiepreisschock oder eine Pandemie vom Staat voll kompensiert wird. Das können wir nicht mehr leisten. Aber die Bürger haben einen legitimen Anspruch darauf, dass der Staat funktioniert. Und das gilt für alle Bereiche, für Bildung, für öffentliche Infrastruktur, für die Verwaltung. Hier müssen wir liefern.
Gutes Stichwort. Lassen Sie uns über die Grundsteuer reden. Zeigt sich an dem Verfahren nicht das völlige Versagen des Staates?
Beim Digitalisierungsgrad in der Verwaltung geht eindeutig mehr. Aber die Steuer- und Finanzverwaltung ist im Vergleich dabei wahrscheinlich schon am weitesten. Immerhin haben auch 92 Prozent der Menschen im Land ihre Grundsteuererklärung digital abgegeben. Dennoch: Da, wo Unternehmen und Bürger auf den Staat treffen, dort wo die Schnittstelle ist, da muss sich ein Kulturwandel durchsetzen.
Mein Ziel ist eine Verwaltung, die mit dem Bürger in verständlicher Sprache auf Augenhöhe kommuniziert und mit digitalen Prozessen und Eingabemasken, die sie oder er intuitiv versteht. Das ist auch in unserem originären Interesse. Nur so stärken wir öffentliche Institutionen und die Akzeptanz für die Demokratie. Eine funktionierende, agile, bürgerfreundliche digitale Verwaltung ist am Ende auch eine Investition in die Demokratie.
Da wurde ja die Chance so richtig verpasst bei der Grundsteuererhebung…
Wir machen das ja nicht zum Zeitvertreib, sondern weil das Bundesverfassungsgericht es eingefordert hat, nach 50 Jahren, in denen die Bürger mehr oder weniger mit dem Thema in Ruhe gelassen wurden. Was die Grundsteuer betrifft, haben wir unter den Bundesländern das einfachste Modell in Baden-Württemberg. Ich halte den Bodenrichtwert für fair und transparent. Was es aber sicher nie geben wird, ist eine Einzelfallgerechtigkeit.
Jetzt gibt es Kritik, die da lautet: Dem Staat liegen doch die Daten vor. Warum muss der Bürger sie zusammensuchen? Es ist so, dass uns eben nicht alle Daten in der aktuellen Form vorliegen. Das ist misslich, ist aber leider so. Aber eines ist versprochen: Jetzt haben wir die Daten einmal erhoben und auf den aktuellen Stand gebracht, so dass die Bürger, wenn die Erhebung das nächste Mal durchgeführt wird, mit ein paar Klicks durch sind.
Was es aber für unsere Finanzämter, die wegen Corona, Energiepreispauschalen und der Grundsteuer ohnehin schon am Anschlag arbeiten, auch nicht einfacher macht, ist jetzt der Papierkrieg mit den Einspruchsverfahren. Es steht jedem frei, im Rechtsstaat Einspruch zu erheben. Aber mit der Begründung, unser Modell sei nicht verfassungskonform, kann man sich den eigentlich sparen. Denn wenn das Modell am Ende nicht verfassungskonform wäre, würde es für alle geändert, nicht nur für diejenigen, die Einspruch erhoben haben.
Aber unabhängig davon ist sicher richtig, dass der Staat insgesamt beim digitalen Auftritt gegenüber dem Bürger Handlungsbedarf hat. Das betrifft alle Bereiche, Schulen, Polizei, Justiz, Finanz- und Bürgerämter, die öffentliche Infrastruktur.
Daran wird sich auch die Frage entscheiden, ob Deutschland ein innovativer Wirtschaftsstandort bleiben wird. Wir können doch nicht von unseren Unternehmen verlangen, die Mega-Themen wie künstliche Intelligenz oder Quantentechnologie anzugehen und beim Staat bleibt alles beim alten.
Was würden Sie als Unternehmensberater empfehlen?
Zwei Dinge: Jeden Tag kleine Schritte in die richtige Richtung zu machen, statt immer nur die großen Zukunftsvisionen an die Wand zu malen. Es geht um Umsetzung, die Ziele kennen wir alle. Und als zweites eine positive Führungs- und Fehlerkultur. Was mich im politischen Betrieb nervt, ist die negative Fehlerkultur, also die Frage: Wer hat‘s verbockt?
Die positive Fehlerkultur stellt die Frage: Was ist passiert, wo ist die Kette gerissen und wie können wir es morgen besser machen? Wenn man in der öffentlichen Verwaltung, aber auch im Unternehmen, keine Angst mehr haben muss, morgen eins auf den Deckel zu bekommen, wenn ein Fehler passiert ist, kann man die Menschen auch motivieren, jeden Tag etwas besser zu werden und ihnen die notwendigen Freiräume zu geben, auch Neues auszuprobieren. Business as usual haben wir nämlich genug.