Wolfgang Ertel ist Professor, Philanthrop und Rammbock für den Klimaschutz. Er kletterte auf eine Trauerweide, um der Welt zu zeigen, dass sie ihre Basis zerstört. Diese Haltung sollte Ertel aber am Ende bezahlen: 4000 Euro waren es, die die Staatsanwaltschaft in einem Strafbefehl gefordert hatte, weil er eine nicht angemeldete Versammlung geleitet haben soll. Das fand der Professor ungerecht – so zog er vor Gericht.
Professor bestieg auf Campus eine Trauerweide
An diesem Dienstag nach Ostern scheint Saal 8 des Ravensburger Amtsgerichts zu eng für das Medieninteresse am Prozess. Der Protagonist, 63, dunkle Jeans, rotes Halstuch, gibt sich zufrieden, er hatte eingeladen.
Wolfgang Ertel sucht die Bühne – der Richter gibt sie ihm. „Mir geht es um die Sache, nicht um die Rebellion per se“, erklärt er sich auf der Anklagebank. Konkret geht es um den 11. Mai 2021. Damals, so referiert es die Staatsanwaltschaft, soll er gemeinsam mit zwei Klimaaktivisten der Bewegung „Fridays For Future“ auf einen Baum auf dem Campus der Hochschule Ravensburg-Weingarten gestiegen sein, wo er „medienwirksam auf dem Seil herumturnte und posierte“, mit Bannern und Botschaften.

Dem widerspricht Ertel nicht. Ein Anstecker dekoriert seine Brust: „Scientists for Future“, Wissenschaftler für die Zukunft. Mit so viel Idealismus am Herzen erzählt der 63-Jährige, was ihn dazu bewegt hat. Er sagt, dass sich die Menschheit in einer Lage befindet, die existenzbedrohlich sei. Dass sie nur noch 300 Gigatonnen CO2 in die Atmosphäre ausstoßen darf, damit die Folgen des Klimawandels nicht ganz so heftig würden. Und dass technische Innovationen nicht helfen, die sich zuspitzende Lage abzumildern.
Auf die Trauerweide gebracht aber hat ihn auch ein anderes, ein banaleres Problem. Durch Zufall habe er vor vielen Jahren feststellen müssen, dass die Heizkörper seiner Hochschule immer in Betrieb seien, sogar in den Winterferien. „Meine Mutter hat mir beigebracht zu sparen, das ist in mir drin.“ Ertel wollte das Problem also angehen, lief jedoch jahrelang gegen die Wände eines starren Systems, wie er schildert.
Dozent aus Ravensburg kämpfte gegen Bürokratie
Er sprach mit dem technischen Betriebsleiter der Hochschule, fragte dort, ob die Hausmeister die Heizkörper vor Ferienbeginn ausschalten könnten. Weil das Personal aber angeblich überlastet gewesen sei, habe er selbst, teils mit Kollegen, Heiligabend-Vormittage damit verbracht, durch die Säle zu ziehen, um die Heizungen abzudrehen. Jahr für Jahr.
Dann wollte Ertel eine Software implementieren, die Heizkörperthermostate in den Hörsälen vollautomatisch ein- und ausschaltet. Eine Idee, die er als Nachhaltigkeitsbeauftragter der Hochschule vorantrieb. Er startete ein Pilotprojekt, sprach mit Ämtern, zwei Hochschulen, drei Ministerien. Vergeblich. Die Heizungen blieben warm, Wolfgang Ertel frustriert. „Das ist Energie, die ich sinnvoller einsetzen kann.“
So kam es, dass Ertel an jenem 11. Mai – es waren die Nachhaltigkeitswochen an den Hochschulen des Landes – auf die Trauerweide gleich neben seinem damaligen Büro stieg. Mit Plakaten über Heizpolitik und Sicherheitsgurten um die Hüften. Ein eher kurzfristiges Vorhaben, das er nur Tage zuvor mit zwei Klimaaktivisten geplant hatte und spontan sogar abändern musste. „Wir haben niemanden gestört, niemanden behindert.“
Wolfgang Ertel muss 4000 Euro zahlen
Ein Aspekt, den der Richter auch positiv wertet. Doch hätte Ertel sein Ziel auch erreichen können, indem er die Versammlung angemeldet hätte. Als Hochschulprofessor habe er Vorbildfunktion, sein Handeln könnte einen Nachahmereffekt auf seine Studierenden haben.
Er verurteilt den Wissenschaftler zu einer Geldstrafe. Wieder 40 Tagessätze, wieder 4000 Euro. Damit allerdings bleibt der Richter noch unter den Forderungen der Staatsanwaltschaft, die sich für 50 Tagessätze aussprach. Beide Seiten, Staatsanwaltschaft und Verteidigung, haben Rechtsmittel angekündigt.

Und Wolfgang Ertel? Der ist enttäuscht. Vor allem weil er findet, alles richtig gemacht zu haben. Er hätte ja den Beweis, erklärt er noch vor Gericht. Seine Hochschule hätte inzwischen die Stelle eines Klimaschutzmanagers ausgeschrieben, eine zweite soll folgen. Außerdem hat sie bereits eine intelligente Heizungssteuerung in einem Gebäude eingebaut.
Dazu kommt, dass Ertel die Unterstützung von Wissenschaftsministerin Theresia Bauer habe, die ihm in einem Schreiben, das im Saal 8 vorgelesen wird, Lob ausspricht. Die Baumaktion, sagt er, hätte in kurzer Zeit mehr bewirkt als zehn Jahre Dienstweg. Sein Fazit: „Manchmal muss man als Professor eben auf einen Baum klettern.“