Zwei Tötungsdelikte an zwei Frauen in kurzer Zeit, in Markdorf und in Stockach. Viele Menschen und auch Medien nennen solche Taten „Eifersuchtsdrama“. Der Tübinger Professor Jörg Kinzig forscht seit zu solchen Taten, die auch Femizid genannt werden: Die Tötung von Frauen, weil sie Frauen sind. Der Begriff steht für mehr als nur ein „Eifersuchtsdrama“.

Was ist ein Femizid? Was wird darunter verstanden?

Der Begriff ist in erster Linie ein politischer Begriff und stammt aus dem Jahr 1976 von der Soziologin und Feministin Diane E.H. Russell. Sie hat definiert, dass es sich dabei um die Tötung von Frauen handelt, weil es Frauen sind.

Man muss aber ergänzen, dass es eine gesetzliche Definition des Femizids bisher nicht gibt. Im Strafgesetzbuch findet sich kein Tatbestand Femizid, sondern nur Kategorien wie Mord und Totschlag. Theoretisch kann man überlegen, ob ein Femizid eine besondere Form des Totschlags ist, die ihn zu einem Mord qualifiziert.

Prof. Dr. Jörg Kinzig forscht an der Universität Tübingen zu Femiziden.
Prof. Dr. Jörg Kinzig forscht an der Universität Tübingen zu Femiziden. | Bild: Patrick Gerstorfer

Kann man die Täter, die einen Femizid begehen, kategorisieren?

Da sind wir erst am Anfang unserer Untersuchung. Diese Definitionsfrage ist schon schwierig. Denn es existiert keine Statistik, in der alle Femizid-Täter erfasst sind. Wir müssen also generell Tötungsdelikte an Frauen ansehen. Warum sind die Täter verurteilt worden? Wie war die Motivationslage? Zum Beispiel wird bei einer Tötung aus Eifersucht immer strafrechtlich zu prüfen sein, inwieweit Eifersucht ein sogenannter niedriger Beweggrund darstellt.

Liegt ein solcher vor, wird aus einem Totschlag ein Mord. Nun steht man aber zusätzlich vor dem Problem, dass in der Regel nicht nur aus einem einzigen Grund gemordet wird, sondern eine derart schwere Tat häufig ein ganzes Motivbündel zugrunde liegt. Das macht die Schwierigkeit der Einordnung eines Tötungsdelikts als Femizid aus.

Warum ist es wichtig, solche Taten in der Wortwahl nicht nur auf „Eifersuchtsdramen“ zu reduzieren?

Hinter der bloßen Bezeichnung „Eifersuchtsdrama“ kann ein großes Spektrum ganz unterschiedlicher Verhaltensweisen stecken. Es kann auch in beide Geschlechterrichtungen gedacht werden. Mann verlässt Frau, Frau verlässt Mann und einer von beiden leidet darunter ganz stark, ohne dass das in Gewalt mündet. Wenn dann am Ende eine Tötung steht – zum Glück ist das nur ganz selten der Fall – dann würde ein solch schreckliches Geschehen mit der Bezeichnung als „Eifersuchtsdrama“ bagatellisiert.

Zudem besteht die Gefahr, dass die Wortwahl Drama das Tatgeschehen als zwangsläufig darstellt, was es nicht ist. Das lenkt dann den Blick schon auf die Frage der Prävention: Wie kann man es erreichen, dass etwa eine Trennung nur zu einer seelischen Erschütterung führt, die dann aber nicht in irgendwelche gewalttätigen Delikte mündet. Aber darauf kann ich noch keine Antwort geben.

Derzeit kommt schnell das Gefühl auf, dass es immer häufiger vorkommt, dass Frauen von ihren (Ex-)Partnern umgebracht werden. Wo muss die Gesellschaft ansetzen, damit sich da etwas ändert?

Grundsätzlich finde ich es wichtig, dass wir eine rationale Diskussion führen. Klar, jede schwerwiegende Straftat wird in den Medien sehr stark thematisiert und ist ganz furchtbar. Wenn wir aber insgesamt auf die Kriminalitätsentwicklung der letzten Jahre, sogar Jahrzehnte, schauen, dann ist die zum Glück rückläufig. Das wird nicht immer hinreichend beachtet.

Ansonsten ist sicherlich ein wichtiger Punkt, aber dafür glaube ich, besteht auch schon ein Bewusstsein, dass die Polizei, dass Strafverfolgungsorgane, für Frauen drohende Gefahren sensibilisiert sind und sich genau überlegen, wie präventiv geholfen werden kann.

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Wie kann man denn den Täter zum Umdenken bewegen, bevor er ein Täter wird?

Solche Schlüsse können erst ganz am Ende unserer Forschung stehen, von daher kann ich noch nicht viel dazu sagen. Aber es gibt bereits seit einiger Zeit Instrumentarien wie das Gewaltschutzgesetz, wo beispielsweise ein Näherungsverbot verhängt werden kann.

Oder die Gefährderansprachen, bei denen die Polizei deutlich macht, dass sie die Person auf dem Schirm hat. Das sind viele kleine Bausteine. Aber ein Patentrezept kann ich da nicht anbieten.

Sind wir in Deutschland eine „Macho-Gesellschaft“, weil sich die Frau schützen und rechtfertigen muss im Zweifel?

Ich weiß nicht, ob wir eine „Macho-Gesellschaft“ sind. Aber ich finde nach wie vor die Geschlechterverteilung bei Straftaten generell, in einem ganz neutralen Sinne, beeindruckend. Dass trotz aller Emanzipation die Männer nach wie vor den großen Teil der Straftaten verüben.

So werden nach der Polizeilichen Kriminalstatistik Straftaten zu 75 Prozent von Männern begangen. Wenn man in den Strafvollzug schaut, ist das Verhältnis zwischen Mann und Frau noch krasser: Nur rund fünf Prozent der Strafgefangenen sind Frauen. Man kann also sagen, je schwerer die Straftaten sind, desto eher sind die Täter männlich.

Was ist das Ziel Ihrer Forschung?

Wir nehmen wahr, dass das Thema Femizid die Gesellschaft in einem hohen Maß bewegt. Wir haben uns vorab gefragt, was ist Ein Femizid überhaupt und was wissen wir darüber? Wie bildet sich das im Strafrecht ab? Ist das ein Thema für die Strafverfolgungsbehörden? Da sind wir bei der Grundlagenforschung.

In einem zweiten Schritt könnte dann gefragt werden, ob unsere Erkenntnisse auch zu präventiven Handlungsempfehlungen führen können. Zudem interessiert uns auch, ob es Veränderungen am geltenden Recht, am Strafrecht, braucht. Fehlt da etwas? Und: Haben diejenigen, die mit den Strafgesetzen arbeiten, ein hinreichendes Verständnis für dieses Phänomen?

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