Bundesgesundheitsminister Jens Spahn spricht von Schwierigkeiten, Flüchtlinge für Impfungen zu gewinnen. Aber stimmt das? Flüchtlinge in Erstaufnahmeeinrichtungen und Gemeinschaftsunterkünften zählen zur Impfpriorisierungsgruppe 2. Sie können also schon seit Wochen in Impfzentren oder bei ihrem Hausarzt geimpft werden.

Wie also kommt Spahn zu dieser Einschätzung? Anders als die Landkreise kann das Land selbst nichts dazu sagen: Wie viele der Flüchtlinge im Südwesten bereits geimpft sind, ist dem Sozialministerium nicht bekannt. Geimpfte werden beim Robert-Koch-Institut nur nach Alter und Impfpriorisierung erfasst, nicht nach Herkunft oder Wohneinrichtung.

Ablehnung trotz Informationsgesprächen

In der Region klingt das schon anders. Die Sprecherin des Bodenseekreises, Nadine Larisch, bestätigt den Eindruck: „Die Impfbereitschaft ist nicht sehr hoch“, sagt sie: Obwohl in jeder Unterkunft jeder Bewohner zwei Mal aufgeklärt worden sei, „beträgt die Impfbereitschaft in den Unterkünften aktuell zwischen zehn und 25 Prozent“.

Die Bereitschaft variiert stark

Die geringe Bereitschaft spiegele sich ihrer Kenntnis nach auch in anderen Kreisen wieder. Larisch sagt auch: „Die Bereitschaft zu Impfungen variiert stark zwischen den Nationalitäten.“ Welche Gründe dahinter stecken, kann auch sie nur vermuten: „Teilweise wird die Existenz von Corona bezweifelt, positive Personen hatten keine Symptome, oder es wird es als ‚weiße‘ Krankheit aufgefasst.“

Zusätzlich spiele die Entfernung zum nächsten Impfzentrum eine Rolle, ergänzt Larisch: „Je weiter der Weg impfbereiter Personen zum Ort der Impfung, desto geringer die Bereitschaft den Termin wahrzunehmen.“

In der Flüchtlingsunterkunft in der Stromeyersdorfstraße in Konstanz gab es im Juli 2020 Corona-Fälle.
In der Flüchtlingsunterkunft in der Stromeyersdorfstraße in Konstanz gab es im Juli 2020 Corona-Fälle. | Bild: Wagner, Claudia

Allerdings sind Termine in den Impfzentren nach wie vor knapp, bei den Hausärzten warten noch ältere Menschen auf einen Termin. Die Schlussfolgerung, dass die Flüchtlinge, die bislang noch keinen Impftermin bekommen haben, auch keinen wollen, kann man also nicht automatisch ziehen.

Das Impfteam kommt nur, wenn es genügend Interesse gibt

Impfungen in den Gemeinschaftsunterkünften im Bodenseekreis gab es nach Angaben der Sprecherin noch nicht. In dieser Woche seien aber Besuche mobiler Impfteams in den Unterkünften geplant. Doch auch hier braucht es genügend Impfwillige.

Der Sprecher des Sozialministeriums, Pascal Murmann, erklärt: Die mobilen Impfteams fahren solche Einrichtungen nur anfahren, wenn mindestens 20 Menschen für eine Impfung bereit sind. Zudem müssten erst alle Einrichtungen der ersten Priorität abgedeckt sein. „Daher ist davon auszugehen, dass viele Gemeinschaftsunterkünfte erst in der nächsten Zeit angefahren werden können. Genaue Zahlen dazu liegen uns noch nicht vor. Die Impfzentren koordinieren die Einsätze in eigener Zuständigkeit.“

Impfaktionen in der Region geplant

In den meisten Kreisen in der Region stehen Impfaktionen in den Gemeinschaftsunterkünften deshalb noch bevor – und hier wird teilweise auch großes Interesse signalisiert. Die Sprecherin des Kreises Waldshut, Susanna Heim, sagt dem SÜDKURIER: „Unser Plan ist, dass wir Mitte Mai mit unseren Mobilen Impfteams die Gemeinschaftsunterkünfte anfahren. Wir stehen in engem Kontakt mit unseren Ansprechpartnern vor Ort.“ Heim gibt sich zuversichtlich, dass das Angebot gut angenommen wird: „Die Impfbereitschaft – wie es uns weitergegeben wird – bewegt sich auf hohem Niveau. Es sind bereits viele Impfungen angemeldet.“

Eine Gemeinschaftsunterkunft für Flüchtlinge in Stockach. Impfaktionen sollen bald beginnen, heißt es seitens des Kreises Konstanz.
Eine Gemeinschaftsunterkunft für Flüchtlinge in Stockach. Impfaktionen sollen bald beginnen, heißt es seitens des Kreises Konstanz. | Bild: Freißmann, Stephan

Im Kreis Konstanz fährt Landrat Zeno Danner eine andere Strategie. „Aus anderen Landkreisen hat uns die Information erreicht, dass Impfungen ohne Aufklärung nicht gut angenommen wurden“, sagt Sprecherin Marlene Pellhammer auf Anfrage: „Daher schalten wir ein Aufklärungsprojekt vor, um möglichst viele Flüchtlinge zu motivieren sich impfen zu lassen.“ Umgesetzt werde dies „mit Gesundheitspaten als Motivatoren aus dem gleichen Kulturkreis“. Ende Mai seien die ersten Impfungen in den Gemeinschaftsunterkünften geplant.

Impfbereitschaft schwer einzuschätzen

Im Kreis Sigmaringen hält sich Sprecher Tobias Kolbeck mit einer Einschätzung zurück: „Bislang sind ja nur Geflüchtete, die in Gemeinschaftsunterkünften untergebracht sind, impfberechtigt.“ Im Kreis gibt es nur eine solche Unterkunft. Dort haben sich bislang seinen Angaben zufolge aber „über die Hälfte der Impfberechtigten impfen lassen“. Dadurch, dass immer mehr über das Thema gesprochen werde, steige die Bereitschaft, sich impfen zu lassen. Kolbeck geht davon aus, dass sich deshalb „weitere Bewohner impfen lassen werden“.

Die Radolfzeller Flüchtlingsunterkunft in der Kasernenstraße. Ein Teil des Gebäudes wurde inzwischen abgerissen, nebenan entstand dafür ...
Die Radolfzeller Flüchtlingsunterkunft in der Kasernenstraße. Ein Teil des Gebäudes wurde inzwischen abgerissen, nebenan entstand dafür ein neues Gebäude. | Bild: Jarausch, Gerald

Wie hoch die Impfbereitschaft im Kreis generell ist, lasse sich aber nicht beziffern. Es habe keine Umfragen oder ähnliches gegeben. Nach wie vor seien im Impfzentrum aber alle Termine rasch vergeben. „Da aber bei Weitem nicht genug Impfstoff für alle Impfwilligen zur Verfügung steht, ist es schwer, die Impfbereitschaft abzuschätzen“, macht Kolbeck klar.

Nur 0,5 Prozent der Infektionen gehen auf Flüchtlingsunterkünfte zurück

Seit Beginn der Pandemie gab es bislang 177 Ausbrüche mit 1904 Infektionen in Flüchtlingsunterkünften in Baden-Württemberg, wie das Sozialministerium auf Anfrage mitteilt. 55 Personen mussten im Krankenhaus behandelt werden. Ein Flüchtling starb an den Folgen der Infektion.

Zum Vergleich: Seit Pandemiebeginn wurden insgesamt 450.646 Corona-Fälle in Baden-Württemberg übermittelt (Stand 2. Mai). Der Anteil der bei Ausbrüchen in Flüchtlingsunterkünften Infizierten liegt entsprechend nur bei rund 0,5 Prozent. Der Großteil der Infektionen findet anderswo statt.