Von Balkonen aus wurde ihnen für ihren Einsatz in der Coronakrise applaudiert, in den Medien wurden sie als Helden und Heldinnen gefeiert. Der zuständige Minister Jens Spahn wollte nicht zurückstehen und versprach den Pflegekräften bundesweit und ohne Ausnahme einen Bonus von 1500 Euro.

Die Krankenkassen zuckten hörbar zusammen bei dieser vollmundigen Ansage. 1500 Euro zusätzlich – das ist ein großes Wort im Gesundheitswesen, in dem um jeden Cent gerungen wird. Das war im Mai 2020. Was ist aus dem großen Versprechen des CDU-Politikers geworden?

Die Pflegekräfte im Krankenhaus gehen leer aus

Die Realität sieht nicht rosig aus. Denn die zugesagte Sonderzahlung wurde nur einem Teil überwiesen. Nur die Mitarbeiter in Altenheimen und Altenpflege erhielten die Zulage Anfang Juli. 1500 Euro für jede und jeden in diesem definierten Bereich – vom Altenpfleger bis zur Sekretärin. Ebenso die Mitarbeiter in den ambulanten Pflegediensten.

Nur die Krankenhäuser gingen leer aus. Intensivpflegende, OP-Assistenten, Köche und Fahrer in den Spitälern erhielten null Euro. Dabei haben sie ein Gutteil der Arbeit getragen.

Von Kopf bis Fuß in Schutzkleidung – in voller Montur arbeitet auch diese Pflegekraft im Klinikum Konstanz. Die Augenpartie wurde ...
Von Kopf bis Fuß in Schutzkleidung – in voller Montur arbeitet auch diese Pflegekraft im Klinikum Konstanz. Die Augenpartie wurde nachträglich geschwärzt. | Bild: privat

Das macht ein Gespräch mit drei Mitarbeitern des Konstanzer Klinikums deutlich. Sie wollen ihrem Ärger Luft machen, weil ein Versprechen gebrochen wurde – ein Versprechen, das zu den zahlreichen Aktionen gehört, mit denen sich Jens Spahn als einer der wichtigsten Manager in der Krise einen Namen machte.

Die drei Mitarbeiter wollen nicht mit Namen genannt werden, da sie persönliche Nachteile fürchten. Sie sind im besten Alter, haben bereits viel Erfahrung gesammelt und sie hängen an ihrem Beruf. Das Trio, das der Reporter in einer Privatwohnung trifft, ist hoch motiviert. Noch.

Sie stehen an vorderster Front und sind selbst gefährdet

„Wir fühlen uns verraten“, sagt einer von ihnen. Erst verspreche die Politik etwas, dann halte sie es nicht. Er sieht eine extreme Ungerechtigkeit: Während die Sekretärin eines Altenheimes den Bonus einstreichen darf, geht die Krankenschwester im Spital leer aus – und das, obwohl sie an vorderster Front steht und selbst hochgradig gefährdet war. 14.000 Mitarbeiter im Gesundheitswesen sind in den vergangenen Wochen und Monaten selbst angesteckt worden.

Das Konstanzer Klinikum. In der Bildmitte der Landeplatz für Hubschrauber, über den Patienten aus Frankreich eingeliefert wurden.
Das Konstanzer Klinikum. In der Bildmitte der Landeplatz für Hubschrauber, über den Patienten aus Frankreich eingeliefert wurden. | Bild: Lukas Ondreka

Die drei erfahrenen Mitarbeiter lieben ihren Beruf. Eine Herzenssache. Doch was sie seit Anfang März erleben, ging und geht an die Grenze ihrer Kräfte. Im Intensivbereich arbeiten sie den ganzen Tag in Schutzkleidung – Kopfhaube, Schutzbrille, Mund-Nasen-Schutz, Anzug. Sie konnten stundenlang das Behandlungszimmer nicht verlassen, müssen eigene dringende Bedürfnisse unterdrücken. Manche standen abends heulend vor ihrem Spind, berichten sie.

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Schlechte Noten für Minister Spahn

„Es wurde uns viel versprochen, aber wenig gehalten“, sagt eine Fachpflegerin, die auch am Tisch sitzt. Jens Spahn habe auf dem Höhepunkt der Krise signalisiert, dass ein Ruck durch das Gesundheitswesen gehen werde. Corona als großer Schub für die Krankenhäuser. Davon ist mindestens in Konstanz nichts angekommen. „Die Situation in der Pflege ist schrecklich“, sagt der Kollege.

Bis heute nicht ausreichend ausgestattet

Er zählt auf, wo es an Material fehlt. Der Mangel an Schutzmasken, die dem hohen Standard genügen, ist bis heute nicht behoben. Wohl tragen sie Masken, aber deren Qualität liegt unter der Norm.

„Wie kann man Gesundheitsminister werden, wenn man nie in einem Krankenhaus gearbeitet hat?“, fragen sich drei Pflegekräfte ...
„Wie kann man Gesundheitsminister werden, wenn man nie in einem Krankenhaus gearbeitet hat?“, fragen sich drei Pflegekräfte am Konstanzer Klinikum. | Bild: Michael Kappeler/dpa

Alle drei machen deutlich: Sie lieben den Beruf, aber dessen Ausübung wird immer schwerer. Als im Elsass die Betten knapp wurden, landete der Hubschrauber mit französischen Patienten auch am Konstanz Klinikum. Auch diese wurden versorgt und gerettet. Die Pflegekräfte waren wichtig, das wissen sie. Systemrelevant, wie damals das Schlagwort hieß. Aber 1500 Euro ist die Systemrelevanz offenbar nicht wert, und das können sie nicht akzeptieren.

Vom Minister sind sie enttäuscht

„Wir wollen nicht klagen“, sagen die drei. Sie sehen nur eine Gerechtigkeitslücke, auf die sie aufmerksam machen. Ein blinder Fleck in einem System, das von allen in den höchsten Tönen gelobt wurde – aber bitte nichts kosten soll.

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Über Jens Spahn schütteln sie nur den Kopf. „Wie kann man Gesundheitsminister werden, wenn man nie in einem Krankenhaus gearbeitet hat?“ Das verstehen sie nicht. Das Berliner Ministerium selbst reagiert kühl und bringt ein neues Argument: Der einseitige Bonus sei gerecht, weil „die Entlohnung in der Altenpflege aktuell noch nicht so hoch ist wie die Entlohnung von Pflegekräften in Krankenhäusern,“ heißt es auf der Homepage. Eine Sprecherin zitiert Spahn so: „Ich habe die klare Erwartung an die Arbeitgeber in den Krankenhäusern, dass sie für ihre Pflegekräfte Prämien zahlen. Das kann refinanziert werden.“ Damit spielt er den Ball an die Kassen weiter – womit keinem wirklich geholfen ist.

Das Krankenhaus selbst war gut vorbereitet

Ihrem Arbeitgeber machen sie keinen Vorwurf. Der Gesundheitsverbund Landkreis Konstanz, zu dem auch ihr Haus gehört, habe gut reagiert. Als die Reichweite der Pandemie klar wurde, hätten die Verantwortlichen die Häuser rasch die Kapazitäten sortiert, die Intensivabteilungen verstärkt und aufschiebbare Operationen verschoben. „Wir waren auf alles vorbereitet“, sagen sie. Nur auf ein gebrochenes Versprechen nicht.

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