Von peniblen Vorschriften zum Energiesparen hält der baden-württembergische Regierungschef trotz der von ihm skizzierten „sehr ernsten Lage“ derzeit rein gar nichts. „Wir können ja nicht 1000 Einzelvorschriften machen und vorschreiben, man darf statt elf Minuten nur zwei Minuten duschen. Wer soll das denn kontrollieren?“ sagte Winfried Kretschmann im Anschluss an den „Krisengipfel Gas“ der Landesregierung mit den Spitzen von Wirtschaft, Kommunen, Verbänden und Versorgern in Stuttgart.
Statt kleinlicher Regeln setzt der Grünen-Politiker auf Appelle, breite gesellschaftliche Solidarität, Selbstverantwortung und eine sogenannte Peanut-Strategie zum Energie- und Wärmesparen: „Viele Peanuts ergeben auch eine große Nuss“, so Kretschmann. „Wir können das nur alle gemeinsam meistern.“
Viele Erwartungen, wenige Ergebnisse
Am Ende des Gipfels standen wenige Ergebnisse, trotz der im Vorfeld geäußerten großen Erwartungen und Forderungen. Dafür aber gab es einen erklärten Schulterschluss der Beteiligten, die Kretschmann im Anschluss ebenso lobte wie die konzentrierte und konstruktive Atmosphäre des Arbeitstreffens – „der Wille war spürbar“.

Fußend auf den Prognosen des per Video zugeschalteten Chefs der Bundesnetzagentur (BNA), Klaus Müller, verbreitete Kretschmann dann sogar noch eine gute Nachricht: „20 Prozent des Energie- und Gasverbrauchs müssen wir insgesamt einsparen, bei der öffentlichen Verwaltung genauso wie in der Wirtschaft und in privaten Haushalten.
Dann werden wir in diesem Winter in keine Gasmangellage kommen, wenn nicht noch völlig unvorhergesehene Dinge passieren. Wir haben es selbst in der Hand“, so Kretschmann.
Er sagte jedoch auch: „Wir müssen mit dem Schlimmsten rechnen. Ich bin aber zuversichtlich, dass ein starkes Baden-Württemberg durch zweierlei verhindern kann, dass eine Gasmangellage eintritt: Speicher füllen und Verbrauchsplateau senken.“
Aber auch das ist ein Ergebnis des Gipfels: Es muss jetzt nicht nur für den kommenden Herbst und Winter geplant werden, sondern bereits für den Herbst und Winter 2023/24. BNA-Chef Müller hatte den Krisengipfel-Teilnehmern zuvor mehrere Szenarien dargelegt – von einer durchgängigen weiteren Gaslieferung der derzeitigen 40 Prozent über Nord Stream 1 bis zu einem kompletten Stopp.

In allen Fällen reicht laut Müller das Gas bei den derzeitigen Füllständen von etwa 65 Prozent über diesen Winter, eine Einsparung von 20 Prozent vorausgesetzt – allerdings unterschiedlich weit. Das Problem dürfte daher nicht der Winter 2022/23, sondern den Winter 2023/24 werden – weshalb alle Szenarien jetzt auf zwei Jahre angelegt werden. Aber schon jetzt, vermeldete Müller, sei der Energie- und Gasverbrauch in Deutschland um 14 Prozent gesunken.
„Das reicht aber nicht, das müssen wir forcieren“, verlangt Kretschmann. Die Landesregierung will dabei vorangehen: Ihren Behörden verordnet sie ein Fünf-Punkte-Programm zur Vorsorge, zum Wärme- und Energiesparen – all das soll nach den Sommerferien landesweit in einer gemeinsamen Kampagne „CleverLänd“ auch beworben werden.

19 Grad Celsius Raumtemperatur sind dann für Arbeitsplätze vorgegeben, beim Bund will das Land sogar auf eine gesetzliche Absenkung auf 18 Grad drängen.
Bei Handwerk, Handel und Wirtschaft ist indes weiter die Sorge groß, dass der Südwesten aufgrund seiner geografischen Lage am Ende der Gasleitungen im Fall einer Mangellage in die leere Röhre schauen könnte. Die Befürchtungen eines dramatischen Nord-Süd-Gefälles dämmten sowohl BNA-Chef Müller als auch Baden-Württembergs Umwelt- und Energieministerin Thekla Walker (Grüne) ein.
Müller hatte versichert, dass die BNA verpflichtet sei, das Gas gleichermaßen auf die Länder zu verteilen, und der wirtschaftsstarke Südwesten stehe dabei besonders im Blick. Derzeit werden für den Südwesten zudem neue Zuleitungen aus Frankreich über das Saarland geschaffen. „Das war eine beruhigende Information“, sagte Walker.
Welches Unternehmen, welcher Betrieb im Fall eines Mangels dann letztlich wieviel Gas bekommt, dabei hat das Land allerdings nichts mitzureden – das entscheidet allein die Bundesnetzagentur als Lastverteiler, stellte Walker erneut klar.
Als Basis erhebt diese derzeit über eine neu geschaffene digitale Plattform die Verbrauchsdaten aller großen Unternehmen. Im Oktober soll dies abgeschlossen sein. An der Priorisierung und an der Definition von geschützten Betrieben ändere sich nichts, so Walker, und verwies auf das zugrunde liegende EU-Recht.

Der scheidende EnBW-Chef Frank Mastiaux lobte, dass der Gipfel eine gemeinsame Faktenbasis geschaffen und Wichtiges von Unwichtigem getrennt habe. „Sparen und speichern“ sei die kurzfristige Devise für die kommenden beiden Winter, umriss Mastiaux die Handlungs-Agenda, mittelfristig die Umstellung der Versorgungsbasis samt Infrastruktur, langfristig das Aufsetzen einer nachhaltigen, erneuerbaren Energielandschaft – und all dies mit Nachdruck.
„Wir müssen hier mit Sieben-Meilen-Stiefeln unterwegs sein, nicht mit Trippelschritten in Ballettschuhen“, sagte Mastiaux. „Das muss schnell passieren, solidarisch und konsequent.“ Er sprach auch das Thema Kohle an. „Um der Versorgungssicherheit willen werden wir vielleicht einen Zielkonflikt haben mit Nachhaltigkeitszielen. Das werden wir aushalten müssen“, sagte Mastiaux. Über die Laufzeitverlängerung von Atomkraftwerken wurde beim Stuttgarter Gasgipfel nicht gesprochen.