Noch ist sich die Bundesregierung uneins darüber, wie einer Energiekrise verhindert werden kann. Und Energieminister Robert Habeck (Grüne) verweist immer wieder darauf, dass diese Krise vor allen Dingen beim Gas, weniger beim Strom drohe. Doch die Verlängerung der drei noch verbleibenden Atomkraftwerke in Deutschland, darunter Neckarwestheim, steht längst im Raum.
Während die FDP dafür ist, geht die SPD davon aus, dass es noch Alternativen geben könnte. Spiegelt sich das auch in der Region wieder? Und wie steht die Opposition dazu? Wir haben mit den Abgeordneten der Region darüber gesprochen.
Andreas Jung, CDU
Der stellvertretende CDU-Bundesvorsitzende spricht er sich klar für eine verlängerte Laufzeit der Atomkraftwerke über den Winter aus: „Aus gutem Grund steigen wir aus Kernkraft und Kohle aus. Wir sollten sichere Kernkraftwerke aber nicht gerade mitten in dem Winter abstellen, in dem ein Energienotstand droht und stattdessen einseitig auf klimaschädliche Kohle setzen“, mahnt er. Zudem könnten die AKW seiner Ansicht nach „über den ganzen Winter ohne neue Brennstäbe“ auskommen „und damit ohne mehr Müll.“
Ann-Veruschka Jurisch, FDP
Die liberale Konstanzerin geht davon aus, dass die Menschen bei Gasknappheit mehr Strom verbrauchen. „Deswegen müssen die vorhandenen Kernkraftwerke länger laufen“, fordert sie: „Lieber wären mir natürlich erneuerbare Energien, aber die Energiewende von 2011 ist leider nicht gut geplant und umgesetzt worden“, ergänzt Jurisch. Auch sie sagt: „Im Hinblick auf den Klimaschutz ist die Laufzeitverlängerung besser als die Verstromung von Kohle.“
Lina Seitzl, SPD
Anders sieht es die Sozialdemokratin Seitzl: „Eine Laufzeitverlängerung lehne ich ab. Atomkraft ist weder nachhaltig noch wirtschaftlich“, sagt sie dem SÜDKURIER. Alle bisherigen Erkenntnisse zeigten, „dass eine Laufzeitverlängerung die Gaslücke nicht schließen kann“. Mit dem produzierten Atommüll „gefährden wir kommende Generationen über tausende von Jahren“, fügt Seitzl hinzu: „Statt mit einer Laufzeitverlängerung zu liebäugeln, sollten wir unsere Kraft für den Ausbau und Innovation bei den Erneuerbaren einsetzen.“
Volker Mayer-Lay, CDU
Der CDU-Bundestagsabgeordnete aus dem Bodenseekreis spricht sich klar für die Laufzeitverlängerung aus: „Mindestens die drei jetzt noch am Netz befindlichen AKWs sollten zur Überbrückung weiterlaufen.“ Zudem sei die Reaktivierung der Ende 2021 abgeschalteten AKW sinnvoll, „wohl aber schwierig praktisch umsetzbar“. AKW seien zudem grundlastfähig und stießen kein CO2 aus.
Alice Weidel, AfD
Die AfD-Bundesprecherin sagt dem SÜDKURIER auf Anfrage: „Die Laufzeitverlängerung der letzten drei Atomkraftwerke muss zwingend erfolgen“, fordert sie: „Sollte der Atomstrom zum Jahresende wegfallen, müssten die Energieträger Kohle, Gas oder erneuerbare Energien mehr Strom produzieren. Das kann nicht gelingen“, glaubt Weidel.
So müsse Erdgas „wegen des Mangels und steigenden Preises aus der Verstromung genommen“ werden. Deshalb müsse Deutschland auf einen Energiemix aus verschiedenen Energieträgern setzen.
Derya Türk-Nachbaur, SPD
Die Sozialdemokratin aus dem Schwarzwald-Baar-Kreis hält von der Laufzeitverlängerung von AKW „nicht allzu viel“. Selbst wenn die Kraftwerke länger liefen, sei der Ertrag „eher bescheiden“, erläutert sie ihren Standpunkt. So decke die Kernenergie etwa sieben Prozent des Strombedarfs in Deutschland ab, beim Gesamtenergiebedarf etwa zwei Prozent.
Zudem müsse bei Atomkraftwerken immer mit sicherheitsbedingten Ausfällen gerechnet werden. Die Verlängerung der Laufzeiten sei zudem kostspielig, ergänzt Türk-Nachbaur: „Neue Brennstäbe müssten beschafft werden, das Personal müsste reaktiviert werden, Sicherheitsüberprüfungen müssten durchgeführt werden.“ Hinzu komme die Frage nach der Endlagerung des Atommülls.
Thorsten Frei, CDU
Der parlamentarische Geschäftsführer der CDU hält die Verlängerung für notwendig: „Da Gas noch immer zu etwa 15 Prozent zur Stromerzeugung verwendet wird und die drei verbliebenen Atomkraftwerke etwa 10 Millionen Menschen mit Elektrizität versorgen können, würde ihre Abschaltung am 31. Dezember einer künstlichen Verschärfung der Energiekrise und damit einer weiteren Verteuerung der Verbraucherpreise gleichkommen“, befürchtet er.
Robin Mesarosch, SPD
Der Sozialdemokrat aus dem Wahlkreis Zollernalb-Sigmaringen sieht die Verlängerung kritisch: „Ein Blick nach Frankreich hilft: Unsere Nachbarn haben viele Atomkraftwerke gebaut – und jetzt steht die meisten davon still“, gibt er zu bedenken.
Die drei verbleibenden deutschen Atomkraftwerke länger im Betrieb zu lassen, „wäre hochgradig teuer, schwer umzusetzen, mit Risiken verbunden und würde uns nur wenig Strom liefern“, ergänzt Mesarosch: Weil Gas nicht mehr verstromt werden darf, müsse im Fall von Knappheit stattdessen Strom aus Kohle und Öl erzeugt werden. „Schlecht fürs Klima, aber eine Lösung, die in dieser Krise wirklich hilft“, glaubt der Sozialdemokrat.
Rita Schwarzelühr-Sutter, SPD
Die parlamentarische Staatssekretärin im Innenministerium aus dem Kreis Waldshut sieht die Laufzeitverlängerung ebenso kritisch: „Bisher deutet alles darauf hin, dass die Verlängerung sehr kostenintensiv, risikoreich und nur ganz begrenzt zur Kompensation von Gas geeignet wäre.“ Sie fordert deshalb, wo immer möglich Energie zu sparen und den schnellen Ausbau der Erneuerbaren Energien.
Felix Schreiner, CDU
Der stellvertretende CDU-Landesgruppenchef hält den dauerhaften Ausstieg aus der Atomkraft zwar für richtig: „Aber wir müssen mit den Realitäten umgehen und alles Notwendige tun, um über die nächsten Monate zu kommen.“ Mit den drei verbleibenden AKW könnten zehn Millionen Haushalte in Deutschland versorgt werden. Damit bliebe mehr Gas für Wärme und die Industrie, ergänzte er.
Mit Kritik an der Bundesregierung hält der Oppositionspolitiker nicht hinterm Berg: „Erst sollten die Kraftwerke aus Sicherheits-, dann aus Zeitgründen und nun wegen des angeblichen gesellschaftlichen Konsenses nicht verlängert werden. Es ist erschreckend, dass die Bundesregierung keine Strategie hat, wie sie die Energieversorgung sicherstellen wird.“