„Es muss manchmal knallen, das liegt im Blut. Wenn das Auto nicht knallt, dann ist es kein Auto“, sagt der junge Mann in die Kamera und grinst. Der 19-Jährige sitzt hinter dem Steuer seines Porsches Panamera GTS, ein Geburtstagsgeschenk seiner Eltern, unter dessen Kühlerhaube rund 500 PS schlummern.
Der Ostschweizer Regionalfernsehsender TVO hat den jungen Mann, der im Beitrag nur als „P.“ bezeichnet wird, und weitere sogenannte Autoposer kürzlich bei ihren Ausfahrten in der Stadt Rorschach am Bodensee begleitet.

Kaum ein anderes Thema hat in unserem Nachbarland in letzter Zeit für so viele Schlagzeilen gesorgt wie dieses: „Autoposer im Visier: Boliden stillgelegt“, titelte die Boulevardzeitung Blick Anfang Juni und das St. Galler Tagblatt berichtete wenige Tage später unter der Überschrift „Zu schnell, zu laut“ über Kontrollen der Kantonspolizei Thurgau, die seit Anfang April rund hundert Autoposer mit „manipulierten Fahrzeugen“ aufgegriffen hat.
In der ganzen Schweiz finden Razzien gegen Autoposer statt
Die Thurgauer Polizisten sind nicht die einzigen, die vermehrt mit Kontrollen gegen Autoposer vorgehen. Beinahe täglich berichteten Schweizer Medien in den vergangenen Wochen über Anzeigen, Beanstandungen oder die Stilllegung hochgetunter Autos.
Allein im Kanton St. Gallen, zu dem die Stadt Rorschach gehört, hat die Kantonspolizei im Mai nach drei Schwerpunkteinsätzen rund 50 Autoposer bei der kantonalen Staatsanwaltschaft angezeigt und elf Autos unter anderem wegen „unerlaubter technischer Abänderungen“ stillgelegt, wie aus Pressemitteilungen der Polizei hervorgeht.

Weitere Poser-Hotspots sind Schweizer Medienberichten zufolge die Kantone Aargau und Zürich. In vielen Aargauer Gemeinden wehrten sich Bürger mit Petitionen gegen den durch Autoposer verursachten Lärm. Allein am Pfingstwochenende gingen der Kantonspolizei Aargau mehrere Autofahrer ins Netz, wie auch der SÜDKURIER berichtete.
Die Kantonspolizei Zürich wiederum hat laut der schweizerischen Nachrichtenagentur SDA seit Anfang des Jahres rund 250 Rapporte im Bereich Tuning an die Untersuchungsbehörden weitergeleitet. In der Stadt Winterthur habe es beispielsweise seit Januar bereits hundert Anzeigen wegen Lärms und unerlaubter technischer Änderungen an Autos gegeben. Im gesamten Jahr 2019 sei es nur zu 30 solcher Anzeigen gekommen.

Was bedeutet „Autoposer“ überhaupt und warum geht die Schweizer Polizei gegen sie vor? Wir haben die Antworten.
Warum hat die Schweiz ein so großes Problem mit Autoposern?
Unsere Suche nach dem Grund für diese Häufung an Autoposer-Fällen in der Schweiz führt uns nach St. Gallen. Dass es eine Poser-Szene gebe, sei ihnen bereits länger bekannt, sagt Hanspeter Krüsi, Leiter Kommunikation bei der Kantonspolizei St. Gallen. Infolge der Corona-Krise habe sich die Situation aber verschärft: „Wir hatten seit Ausbruch der Krise sehr viele Beschwerden von Anwohnern vor allem städtischer Straßen sowie aus Dörfern, die Ausflugsmagnete sind.“
Zum einen hielten sich viele Schweizer wegen Corona vermehrt zuhause auf oder gingen häufiger spazieren, erklärt Krüsi: „Dadurch sind Autoposer vermehrt aufgefallen.“ Zum anderen hätten Städte und Gemeinden ab März über längere Zeit hinweg Plätze gesperrt, beispielsweise in Bodenseenähe, die bei Autoposern beliebt seien. „Da es nur noch wenige Plätze gab, wo sie sich aufhalten konnten, haben sich Autoposer dort konzentriert und sind Anwohnern sowie der Polizei stärker aufgefallen.“

„Jung und männlich“: Die Schweizer Autoposer-Szene
Die Autoposer-Szene im Kanton St. Gallen setze sich aus Gruppen, die zu viert oder fünft auftreten, und Einzelpersonen zusammen, erklärt Polizeisprecher Krüsi: „Meistens kennen sie sich untereinander, sind gut vernetzt. Sie verabreden sich auf einem Parkplatz und fahren dann zusammen durch die Straßen.“
Einzelne Autoposer verfolgten zumeist das Ziel, auf sich aufmerksam zu machen. „Es sind ausschließlich Männer, die vor allem beim weiblichen Geschlecht durch das Posieren mit dem Auto gewisse Aufmerksamkeit erlangen möchten.“
Der typische Autoposer sei männlich und zwischen 18 und 30 Jahren jung, sagt Krüsi: „Vom Bildungsniveau, Einkommen und Beruf her ist alles dabei, was man sich vorstellen kann: Vom Lernenden bis zum Treuhandangestellten haben wir schon alles gesehen.“
Sind das dieselben Personen, die als Raser auch auf deutschen Autobahnen auffallen?
„Autoposer sind potentiell gefährdet zum Rasen, weil sie alle sehr leistungsstarke Autos fahren“, sagt Krüsi. Sobald die Grenzen wieder offen seien, würden sie auch sicher wieder nach Deutschland oder Österreich fahren. „Der Grund ist relativ einfach: In Deutschland sind auf Autobahnen höhere Geschwindigkeiten erlaubt als in der Schweiz, wo sie mit einem 500 PS starken Auto nur 120 Kilometer pro Stunde fahren dürfen.“
Der umgekehrte Fall, dass deutsche Autoposer in die Schweiz fahren, komme kaum vor, ist Krüsi überzeugt: „Die drohenden Bußen sind bei uns viel höher als in Deutschland und dessen sind sich diese Personen sicher bewusst.“
Posen kann Bußgelder von mehreren hundert Franken zur Folge haben
Dass Krüsi mit seiner Einschätzung wahrscheinlich richtig liegt, wird bei einem Blick in den Katalog „Strafmaßrichtlinien für Straßenverkehrsdelikte“ der Staatsanwaltschaft des Kantons St. Gallen deutlich.
Wer sich des „Unnötigen Herumfahrens in Ortschaften“ schuldig macht, muss mit einem Bußgeld von 100 Schweizer Franken rechnen und für das „Verursachen von vermeidbarem Lärm durch Hochdrehen des Motors sowie rasante Beschleunigung beim Anfahren“ sind Bußen ab 300 Schweizer Franken vorgesehen.
Doch das kann echte Autoposer wie P., den jungen Mann im Fernsehbeitrag des Ostschweizer Regionalsenders, offensichtlich nicht abschrecken. „Wir haben keine Angst vor der Polizei. Egal was passiert, wir kommen immer wieder hier hin. Wenn es eine Buße gibt, bezahlt man die halt“, sagt der 19-jährige Azubi.
Und was ist mit Anwohnern, die nicht so viel Freude am dröhnenden Motor seines Porsches haben wie er selbst? „Einige beschweren sich, andere finden es geil. Es gibt halt verschiedene Menschen.“ Auf seine lautstarken Fahrten durch die Stadt wolle er jedenfalls nicht verzichten, betont P.: „Hier sehen uns mehr Leute und denen können wir zeigen, was das Auto kann.“ Sagt es, grinst und lässt den Motor aufheulen.