Mehr als 24 Stunden nach dem gewaltsamen Tod einer 49-jährigen Frau auf der Insel Reichenau hatte der anhaltende Regen noch immer nicht alle Blutspuren von der Straße weggewaschen. In der Gasse unmittelbar vor jenem Mehrparteienhaus, in dem das Opfer mit ihrem 15-jährigen Sohn und ihrer Schwester gelebt hat, haben Spurensicherer sechs durchnummerierte Quadrate, einen Kreis und die Umrisse einen Körpers am Asphalt aufgemalt, wo die schwer verletzte oder bereits tote Frau gelegen haben dürfte.
Was genau am Mittwoch in den frühen Morgenstunden auf offener Straße geschehen ist, ist noch unklar, auch das Warum. Offenbar ist die Getötete erst kurz zuvor aus Spanien zurückgekehrt. Als dringend tatverdächtig gilt laut Polizei und Staatsanwaltschaft Konstanz der frühere Lebensgefährte der 49-Jährigen, der auch auf der Insel Reichenau lebte und etwa gegen 3 Uhr früh zu ihr gegangen sein soll. Die beiden Osteuropäer hatten laut SÜDKURIER-Recherchen als Erntehelfer beim selben landwirtschaftlichen Betrieb auf der Insel Reichenau gearbeitet. Als Tatwaffe konnte die Kriminalpolizei ein Messer sicherstellen.
Video von Selbstverletzung veröffentlicht
Nach dem Angriff auf seine Ex-Partnerin legte sie der Tatverdächtige in ein Auto und flüchtete unter anderem über die Autobahn A81 in Fahrtrichtung Stuttgart. Der jugendliche Sohn und die Schwester des 49-jährigen Opfers sollen laut einem Anwohner die Polizei verständigt haben, die etwa gegen 5.30 Uhr auf der Reichenau eintraf, den Tatort großräumig absperrte und sofort eine Fahndung nach dem flüchtigen Mann einleitete. „Als ich in der Früh zur Arbeit fahren wollte, war schon alles abgesperrt und ich musste außen herum fahren. Auch die Spurensicherung war schon da“, erzählt eine Nachbarin.
Gegen 7 Uhr spürte die Polizei das gesuchte Fahrzeug auf einem Standstreifen der A81 kurz hinter der Autobahnabfahrt Engen auf. Hinter dem Steuer des Wagens saß der nicht mehr ansprechbare Tatverdächtige. Er hatte sich selbst lebensgefährliche Verletzungen zugefügt – vermutlich mit der Tatwaffe, dem Messer – und ein Video davon auf Facebook veröffentlicht, das kurz darauf gelöscht wurde, wie der SÜDKURIER aus mehreren Quellen erfahren hat. Auf dem Rücksitz des Pkw fand die Polizei schließlich den Leichnam der getöteten Frau.
Haftstrafe wegen Tötungsdelikt in Heimat?
Damit der Rettungshubschrauber auf der Autobahn landen und Spuren gesichert werden konnten, musste die A81 in Fahrtrichtung Stuttgart zur Gänze gesperrt werden, berichtet die Polizei. Der 46-jährige Tatverdächtige wurde in eine Klinik geflogen, wo er intensivmedizinisch betreut wird. Er ist laut Polizei außer Lebensgefahr, konnte jedoch noch nicht vernommen werden. In Deutschland ist er laut Polizei unbescholten. Allerdings soll der Tatverdächtige in seiner Heimat schon einmal eine mehrjährige Haftstrafe wegen eines Tötungsdeliktes verbüßt haben.
Wie ein Augenzeuge berichtet, der im fünfstöckigen Bürogebäude Cube in Engen mit Blick auf die Autobahn arbeitet, waren zahlreiche Polizeiautos, ein Fahrzeug eines Sondereinsatzkommandos sowie mehrere Krankenwagen vor Ort. Der Verkehr musste über die Autobahn-Ausfahrt Engen umgeleitet werden. Zur weiteren Spurensicherung wurde teilweise die rechte Fahrspur gesperrt. Die Folge der Sperrungen sowie der Umleitung war ein kilometerlanger Rückstau.
„Ein ruhiges Geschöpf“
Betroffen von der Gewalttat vor seinem Wohnhaus zeigte sich der Vermieter des Paares, der anonym bleiben will: „Das ist aus heiterem Himmel gekommen.“, sagt er.
Die 49-jährige Getötete sei „mehr als seriös“ und ein „ruhiges Geschöpf“ gewesen. Den 46-jährigen Ex-Partner, kannte der Wohnungsgeber nur flüchtig vom Sehen. Eine so schreckliche Tat hätte er ihm aber nicht zugetraut: „Er ist ein Strich in der Landschaft. Manchmal kommen einem ja Personen entgegen, bei denen man sich denkt, denen möchte man in der Dunkelheit nicht begegnen, aber das war er nicht.“
„Mich betrübt das ganz arg“
Sorge bereitet ihm, dass es nun auf der Reichenau und weit darüber hinaus eine ausländerfeindliche Debatte über Erntehelfer geben könnte, die hauptsächlich aus Osteuropa an den Bodensee zum Arbeiten kommen. „Ich ziehe den Hut vor diesen Menschen, die unsere Arbeit tun, weil unter den Deutschen das niemand mehr tun will.“ Deutschland sei abhängig von Gastarbeitern, ohne sie würden die Wirtschaft nicht mehr funktionieren. „Ich will keine Ausländerfeindlichkeit. Wie viele Deutsche haben sich schon gegenseitig umgebracht?“, fragt er.
Seine Mieter seien jedenfalls sehr in Ordnung gewesen und hätten sich wohl bei ihm gefühlt. In Sachen Verlässlichkeit, Sauberkeit und Seriosität könne man ihnen nichts Schlechtes nachsagen. „Da habe ich schon ganz andere gehabt, darunter auch deutsche Mieter, die alles kaputt gemacht und verdreckt haben und gegangen sind, ohne zu bezahlen.“
Es brauche eine Menge Frust, um so eine Tat begehen zu können. „Mich betrübt es arg, wenn ein Mensch so aus dem Leben scheidet. Das ist alles nicht notwendig. Wenn sie sich nicht mehr mögen, dann sollen sie sich wen anders suchen“, so der Vermieter.