Auf dem Schild der Partnerstädte am Ortseingang von Baden-Baden ist Sotschi noch zu lesen. Dabei hat Baden-Baden die Freundschaft mit der Stadt, in der 2014 die Olympischen Winterspiele stattgefunden haben, auf Eis gelegt – wegen der Invasion Russlands in der Ukraine. Die Kurstadt im Nordschwarzwald muss sich neu sortieren, was vor Ort deutlich mehr zu spüren ist als anderswo in Deutschland.
Schließlich gilt Baden-Baden als Sehnsuchtsort der Russen, die das Stadtbild prägen, dort Urlaub machen oder gar wohnen und in Luxus-Boutiquen shoppen. Ein Blick auf eine Stadt, in der der Krieg rund 1400 Kilometer Luftlinie entfernt besonders tiefe Narben hinterlässt.
Mit einem Video fing alles an
Donnerstagmorgen am Augustaplatz. Es ist Markt. Die Kandidaten, die den zweiten Wahlgang der Bürgermeisterwahl am 27. März gewinnen wollen, nutzen den belebten Ort, um mit den Besuchern ins Gespräch zu kommen. Am Rande des Markt-Areals befindet sich das Szene-Restaurant „Rizzi“, das es quasi über Nacht zu weltweiter Bekanntheit gebracht hat – zumindest in den sozialen Netzwerken. Ein ukrainischer Barkeeper ist gefeuert worden, weil er auf Instagram ein Video veröffentlicht hatte, das es in sich hat.
Der 52-Jährige verschaffte in dem Video seinem Ärger über den Krieg joggend und im blau-gelben Trikot Luft – und griff die Russen darin pauschal an. Den Betreibern des „Rizzi“, das bei Russen als beliebt gilt, war das zu viel – und sie entließen den Mann. Der Vorwurf: Der Barkeeper habe sich rassistisch geäußert, was man in jeder Form verurteile.

Als dann noch der ukrainische Außenminister Dmytro Kuleba das Thema auf Facebook aufgriff und den Besitzern des Restaurants wiederum vorhielt, sie würden sich nur um ihre russischen Kunden sorgen und mit der Entlassung dem Angriffskrieg von Russlands Präsident Wladimir Putin stillschweigend zustimmen, wurde die Kündigung endgültig zum Politikum. In den sozialen Medien tobt seitdem ein heftiger Streit über die Deutungshoheit des Vorfalls. Am Ende wird wohl das Arbeitsgericht über die Rechtmäßigkeit der Kündigung entscheiden.
Wegen des „Rizzi“-Streits hat Roland Seiter jetzt wieder viel zu tun. Baden-Badens Stadtsprecher bekommt eine Medienanfrage nach der anderen zu dem Fall. Seiter ist besorgt. „Wir müssen jetzt die Ruhe bewahren“, sagt er. Die Angst ist spürbar, dass das kein Einzelfall bleibt in der 56.000-Einwohner-Stadt am Flüsschen Oos.
Rund 1100 Bürger haben einen russischen Pass, noch einmal so viele besitzen die doppelte Staatsbürgerschaft. Zudem leben 500 Ukrainer in der Stadt – hinzu kommen etwa 270 mit einem Doppelpass. Doch die Zahl der Ukrainer hat sich durch den Krieg zuletzt rasant erhöht. Baden-Baden hat bislang etwa 1200 ukrainische Flüchtlinge aufgenommen. Konfliktpotenzial ist vorhanden.
Die einzige russische Stadt außerhalb Russlands
Doch warum gilt Baden-Baden eigentlich als die einzige russische Stadt außerhalb Russlands? Warum haben Russen bei einer Umfrage im Jahr 2008 erklärt, Baden-Baden sei in ihrem Land nach Berlin die bekannteste deutsche Stadt? Wer die Antwort wissen will, muss in die Geschichtsbücher schauen.
Es war die Zarin Katharina die Große, die im 18. Jahrhundert ihre Beziehungen nach Westeuropa ausbauen wollte. Für ihren Enkel und Nachfolger suchte sie eine Ehefrau mit geeigneter Herkunft und wurde bei Luise von Baden fündig – so kam die Verbindung zwischen dem russischen Zarenreich und dem Haus Baden zustande. Nach dem Sieg über Napoleon besuchte die Zaren-Familie Baden-Baden oft – und der neue Sehnsuchtsort der Russen in Deutschland war gefunden.

Im Anschluss wählten auch große russische Literaten wie Iwan Turgenew, Leo Tolstoi und Fjodor Dostojewski die Stadt als Urlaubsziel. Dostojewski verarbeitete seine Casino-Erfahrungen in Baden-Baden in seinem Roman „Der Spieler“. Eine Büste des Literaten ist an dem Haus zu sehen, in dem er einst mit seiner Frau wohnte.
Das Glücksspiel, die Luxus-Boutiquen, die sich heute vor allem in der belebten Sophienstraße befinden, die idyllische Lage am Rande des Schwarzwalds, die Erholung in den Thermen – Baden-Baden hat in der Vergangenheit viele russische Touristen angezogen. Doch heute sieht die Situation anders aus.
Immer weniger russische Touristen kommen
Zwar ziehen Extravaganz oder die eine oder andere medizinische Behandlung noch immer viele Russen in die Stadt, ihr Anteil unter den jeweils mehr als 550.000 Übernachtungen in den Jahren 2021 und 2020 lag aber nur noch zwischen einem und zwei Prozent – was natürlich vor allem mit der Corona-Krise zu tun hatte. Doch es gab auch andere Zeiten – so war 2013 knapp jeder zehnte Tourist hier aus Russland. Vor der Pandemie im Jahr 2019 waren es immerhin noch vier Prozent.
Besuch in „Brenners Park-Hotel“, dem Luxus-Hotel der Stadt mit Tradition und weltweiter Bekanntheit. Am Eingang stehen die Limousinen aneinandergereiht. Wer stehenbleibt, hört, dass oft auch Russisch gesprochen wird. Doch in einer Luxus-Adresse spricht man nicht über die Herkunft der Gäste.
Hoteldirektor Henning Matthiesen gibt jedenfalls zunächst nur Auskunft über die Folgen der Pandemie und die starken Zuwächse aus Frankreich, der Schweiz, den Benelux-Staaten oder aus dem innerdeutschen Markt.
Baden-Baden habe eben eine enge Verbindung zu Russland oder Frankreich, das sei Teil der Geschichte. Und hat der Krieg etwas verändert? „Ein Krieg ist immer schlimm. Ich würde nie darüber nachdenken, dass aufgrund der Kriegssituation ein Markt wegbleibt“, sagt er.
Das stehe in überhaupt keiner Relation, daher denke er nicht daran, was der Krieg geschäftlich bedeute, so Matthiesen, der seit 1. Januar 2020 Direktor des Grandhotels ist. Seine Konzentration liege darauf, wie das Hotel gestärkt aus der Corona-Krise herauskommen kann.
Wenige Meter vom „Brenners“ entfernt befindet sich die russische Kirche mit ihrer goldenen Kuppel. In der Nähe ist auch ein Supermarkt, der Lebensmittel aus aller Welt anbietet. Es ist einer der Orte, an denen auch über den Krieg gesprochen wird. Eine ältere Ukrainerin berichtet über ihre Flucht aus Charkiw.

Ihre Tochter wohne in Stuttgart und arbeite in Baden-Baden im Festspielhaus. Wie die Frau sind in Baden-Baden bislang drei von vier ukrainischen Flüchtlingen privat untergebracht. „Zuletzt wurden uns sogar wieder zehn Wohnungen privat angeboten, um Kriegsflüchtlinge unterzubringen“, berichtet Stadtsprecher Seiter.
Für die Stadt stellt sich nach der Invasion Russlands in der Ukraine noch eine andere Frage: Wie soll umgegangen werden mit russischem Besitz? Wird es hier – ähnlich wie bei Jachten von Oligarchen beispielsweise in Italien – zu Beschlagnahmungen von Immobilien oder anderer Besitztümer wohlhabender Russen kommen?
Generell wird aus Kreisen der Stuttgarter Landesregierung hier auf den Bund verwiesen. Offenbar ist noch unklar, ob und wie das „Einfrieren von Vermögenswerten“ tatsächlich umgesetzt werden soll. In Baden-Baden wurden bereits nach der russischen Krim-Invasion im Jahr 2014 Wohnungen oder Häuser von russischen Besitzern verkauft, heißt es bei der Stadt.
Jedoch sei es generell schwierig, die Herkunft der Eigentümer zu identifizieren. „Wenn zum Beispiel Investoren aus der Schweiz eine Wohnung kaufen, weiß man ja nicht, ob dahinter russische Staatsbürger stehen. Das ist alles sehr komplex“, so Seiter. Etwas schmunzelnd berichtet er über jüngste Medienanfragen, ob die Stadt nicht einfach russische Wohnungen beschlagnahmen könne, um darin ukrainische Flüchtlinge unterzubringen.
Ein Ort für Friedensverhandlungen?
Ernst gemeint war hingegen die Idee, Baden-Baden als Ort für Friedensverhandlungen auszuwählen. So könne in der Kurstadt ein Dialogtreffen zum Ukraine-Krieg stattfinden, schlug die scheidende Rathaus-Chefin Margret Mergen (CDU) kürzlich vor.
In der Stadt wird gern an die Gespräche zwischen dem deutschen Kanzler Konrad Adenauer (CDU) und Frankreichs Präsident Charles de Gaulle 1962 zur Verbesserung der Beziehungen der beiden Staaten erinnert, die in Baden-Baden stattfanden. Oder zuletzt an das Treffen der Finanzminister der G20-Staaten vor fünf Jahren. Doch ob die russische Sympathie für Baden-Baden den Aggressor Putin besänftigen würde, ist dann doch eine sehr hypothetische Diskussion.

Zurück zur Realität. In der Innenstadt winken etliche Passanten ab, werden sie auf den Krieg angesprochen. Putin hat aber auch hier Unterstützer. Der Besitzer eines Luxus-Schuhgeschäfts, ein Russe Mitte 40, der schon lange in Deutschland lebt, findet den Krieg zwar nicht gut, hält die Invasion aber trotzdem für gerechtfertigt. Schuld sei der jahrzehntelange Expansionskurs der USA, die den Krieg nun wollten, um Geld mit Waffen zu verdienen.
Die Europäische Union und auch Deutschland seien Marionetten der Amerikaner, Putin würde gezielt nur militärische Ziele in der Ukraine angreifen – und westliche Medien würden Lügen verbreiten und die Propaganda der EU und der Nato verbreiten. Der Mann redet sich in Rage. „Ich hoffe, die westlichen Staaten kommen zur Einsicht. Sonst kann es auch einen Atomkrieg geben“, sagt er. Diesen wolle er aber natürlich nicht.