Wer in der Nähe von Rottweil unterwegs ist, kann das Bauwerk nicht übersehen. Der schmale Turm ragt exakt 246 Meter in die Höhe. An nebligen Tagen scheint er bis in die Wolken zu reichen, die Spitze ist nicht zu sehen. Warum er dort steht, macht sein Name deutlich: TK Elevator Testturm. So heißt das Bauwerk, nachdem Thyssen-Krupp seine Aufzugssparte im Sommer 2020 für 17,2 Milliarden Euro an eine Investorengruppe verkauft hat. Daraus ging das Unternehmen TK Elevator hervor.
Im Inneren des Turms befinden sich zwölf Aufzugschächte, neun davon sind für Tests reserviert, die übrigen drei für den Personenverkehr. Besucher werden besonders den Panoramaaufzug kennen, der in gerade einmal 30 Sekunden bis zur höchsten Aussichtsplattform in Deutschland führt. 232 Meter über dem Boden sehen Autos aus wie Spielzeuge, auch Gebäude und die Kirche scheinen klein.
Beate Höhnle, die Managerin des Testturms, ist seit 2016 an Bord. Die Aussicht aus ihrem Büro auf 216 Metern Höhe genießt sie aber wie am ersten Tag. Sie erklärt, was seitdem im Turm passiert ist. Das klare Aushängeschild ist der „Multi“, ein seilloser Aufzug, der sich nicht nur in der Höhe bewegt, sondern auch seitwärts. „Das gibt es wirklich nur hier im Testturm“, sagt Höhnle.
Noch hat sie damit auch Recht. Bisher ist der Multi nirgendwo auf der Welt im Einsatz, er befindet sich noch in der Testphase. Noch in diesem Jahr soll die Zertifizierung anstehen, damit er tatsächlich auf den Markt kommen kann. Sein Vorteil: Er braucht weniger Platz, für Aufzugschächte geht gewöhnlich viel Platz in Gebäuden verloren. Und weil mehrere Kabinen im selben Schacht fahren können, geht es für die Fahrgäste schneller.
Noch eine technische Überlegenheit: Der Multi wird mit einer Linearmotortechnologie bewegt. Das bedeutet, dass er ohne Seile auskommt. Damit ist es möglich, unbegrenzt in die zu Höhe fahren. Bei gewöhnlichen Aufzügen sei nach spätestens 600 Metern Schluss. Wer höher hinaus will, muss umsteigen. Was das Aushängeschild des Unternehmens für Gebäudebauer kosten soll, kann nicht pauschal beziffert werden. „Das ist ja keine Meterware, kein Standard“, sagt Höhnle, sondern jedes Mal ein individuelles Projekt.
Die restlichen Technologien, die in Rottweil getestet wurden, gibt es bereits am Markt. Darunter ist etwa das Modell „Twin“, bei dem zwei Kabinen unabhängig voneinander im gleichen Schacht unterwegs sind. So kommen Menschen schneller auf das richtige Stockwerk. Das schnellste Modell, das im Testturm fährt, bewegt sich mit bis zu 18 Metern pro Sekunde, umgerechnet 65 Kilometern pro Stunde.
In Rottweil wird täglich getestet
Mit dem Verkauf der Aufzugsparte von Thyssenkrupp an die Investorengruppe kamen Sorgen und Gerüchte für Standort und die rund 50.000 Mitarbeiter auf. Dadurch habe es aber „überhaupt keine Veränderungen“ gegeben, sagt Höhnle. Lediglich der Austausch von Firmenlogo und Farbe überall im Turm sei ein Aufwand gewesen, sagt sie mit einem Schmunzeln.
Für TK Elevator ist der Testturm ein „integraler Bestandteil im Forschungsnetzwerk“, sagt Höhnle. Entwicklungszeiten könnten durch die Arbeit im Turm verkürzt werden. Das Hauptaugenmerk der Arbeit hier liege auf Sicherheit und Innovation. Täglich gibt es Prüfungen von Komponenten, Software und Fahrtests. Außerdem ist der Turm die „Heimat des Multi“, wie Höhnle sagt. Und auch für die Stadt Rottweil spielt er eine Rolle. Bei Besuchern ist der Turm beliebt. Mit rund 700.000 Gästen seit der Eröffnung im Jahr 2017 zählt er zu den touristischen Aushängeschildern von Baden-Württemberg.
Die Entwicklungsarbeit an den neuen Technologien dauert mehrere Jahre. Dafür arbeitet ein Team von Ingenieuren im Turm und im Aufzugswerk in Neuhausen auf den Fildern, nahe Stuttgart. Nach dem Verkauf der Aufzugssparte von Thyssenkrupp wurde eine Standort- und Beschäftigungssicherung bis 2027 vereinbart. Dennoch teilte die Gewerkschaft IG Metall Esslingen im Dezember vergangenen Jahres mit, dass im Aufzugswerk Neuhausen 500 der 800 Stellen abgebaut werden sollen.
Testturm nicht direkt von Stellenstreichungen betroffen
Auf den Testturm in Rottweil habe das aber kaum Auswirkungen, sagt Max Czipf von der IG Metall Esslingen. Der Standort bleibe in jedem Fall erhalten, es seien keine Änderungen geplant. Allerdings habe der geplante Stellenabbau zumindest indirekte Auswirkungen: Auch Mitarbeitern im Testturm werde ein Auflösungsvertrag inklusive „hoher Abfindung“ angeboten.
Die Produkte von TK Elevator werden in über 100 Ländern vertrieben. Die Testturm-Managerin listet etwa das One World Trade Center in New York auf, wo 90 Aufzüge und acht Fahrtreppen des Unternehmens zu finden sind. Auf der anderen Seite des Globus, im Shanghai World Financial Center, werden Menschen ebenfalls mit Produkten von TK Elevator bewegt. Der wichtigste Geschäftsbereich sei allerdings der Servicebereich. Rund 8,5 Milliarden Euro hat das Unternehmen im Geschäftsjahr 2021/2022 umgesetzt.