Vor acht Jahren führten die beiden Angeklagten noch ein anderes Leben. Damals waren die beiden ein Paar. Die 34-Jährige ist inzwischen aber verheiratet, Mutter zweier Kinder und hat einen festen Job. Auch ihr 47-jähriger Ex-Freund scheint nach seiner Entlassung aus dem Gefängnis ein Leben in Legalität zu führen.
Aber das war nicht immer so. Darum wird den beiden am Landgericht Konstanz, fast sieben Jahre nach der ersten Anklageerhebung der Staatsanwaltschaft, der Prozess gemacht. Es geht um drei Fälle der ausbeuterischen und dirigistischen Zuhälterei, des Menschenhandels und der Zwangsprostitution im Jahr 2017 im Raum Villingen-Schwenningen.
Erste Ermittlungen nach anonymen Hinweis
Angefangen hat alles nach einem anonymen Hinweis, der bei der Polizei im Februar 2017 einging. Daraufhin nahmen die Ermittler eine Wohnung in St. Georgen ins Visier, berichtet ein Ermittler vor der Kammer um Richter Arno Hornstein.
Und so wird auch schnell klar: Auch dieses Verfahren geht auf eine der einflussreichsten kriminellen Gruppen zurück, die Strafverfolger in ganz Europa seit Jahren beschäftigen: die United Tribuns.
In der Wohnung entdeckten die Ermittler zwar keine Drogen, können aber schnell durch ein Handy einer rumänischen Prostituierten herausfinden: Die Rockerbande wirkt hier im Hintergrund mit.
Ein Name, den die Ermittler kennen, taucht auf: Sado S.. Gegen den Mann sei damals schon ermittelt worden. Er habe vermutlich die Frauen nach Deutschland geschickt. Das Telefon, das die Frau nutzte, gehörte einst dem Angeklagten.
Wer ist Sado S.?
Die rockerähnliche Gruppierung United Tribuns wurde 2004 von Armin „Boki“ C. in Villingen-Schwenningen gegründet. Erst 18 Jahre später wurde sie offiziell in Deutschland verboten. „Boki“ hatte sich da schon lange nach Bosnien-Herzegowina abgesetzt und führte die Gruppe wohl weiterhin mit seinem Bruder Nermin C. an.
Inzwischen sitzen beide hinter Gittern: Armin C. wurde im Oktober 2024 festgesetzt und soll vor dem Staatsgericht des Landes angeklagt werden. Ein Auslieferungsantrag aus Deutschland liegt dem Gericht in Bosnien-Herzegowina nicht vor. Die Staatsanwaltschaft Konstanz wartet noch den Ausgang des Verfahrens ab.
Nermin C. wurde zuvor in Kroatien festgenommen und später an die Schweiz ausgeliefert. Jahrelang lebten die Brüder unbehelligt, stellten ihren Luxus im Internet zur Schau.
Auf den Unterarmen von Sado S. prangen tätowiert die Namen „Nermin“ und „Boki“. Sado S., Jahrgang 1978, gehört zum Vorstand der Tribuns. Neben den C.s ist er einer der bekanntesten Mitglieder der Tribuns.
Auch Sado S. zeigte sich auf Facebook und mit teuren Autos, großen Summen Bargeld, mit Schweizer Luxus-Uhren am Handgelenk, gab TV-Sendern Interviews – oder finanzierte gar einen Film mit, in dem er selbst mitspielte.
Führungsriege festgesetzt
Wie die Brüder C. sitzt auch Sado S. derzeit im Gefängnis. S. stand bereits wegen organisierter Kriminalität vor Gericht und wurde zu 13 Jahren Haft verurteilt. Der oberste Gerichtshof hob das Urteil allerdings im November 2024 teilweise auf und wies das Verfahren an das Kantonsgericht in Mostar zurück. Wenige Wochen später erklärte die Staatsanwaltschaft, ihn erneut anzuklagen.
S. soll von 2014 bis 2019 eine internationale kriminelle Gruppe in Bosnien und Herzegowina, Deutschland, der Schweiz und anderen EU-Ländern organisiert und geleitet haben.
Diese Gruppe rekrutierte Opfer, organisierte Prostitution und beutete Mädchen und Frauen aus Serbien, Bosnien und Herzegowina sowie anderen Ländern sexuell aus. Zudem soll S. am internationalen Drogenhandel beteiligt sein.
Zehn Männer pro Tag
Im Verhandlungssaal in Konstanz fällt der Name S. immer wieder: Denn S. soll die Frauen nicht nur nach Deutschland und ihre Einnahmen kassiert haben, sondern auch verprügelt haben, wenn sie nicht gehorchten. Das frühere Paar soll mit ihm zusammengearbeitet haben, insbesondere der Angeklagte.
Die beiden Angeklagten, beide in Bosnien-Herzegowina geboren und im Zuge des Krieges Anfang der 90er nach Deutschland gekommen, sorgten dafür, dass die Frauen in Bordellen, Hotelzimmern und Wohnungen in Villingen-Schwenningen, Konstanz oder Donaueschingen und in Bayern (Ingolstadt, München) ihre Körper verkauften. Auch auf den Straßenstrich wurden die Frauen geschickt.
Das Paar soll für die Frauen Profile auf Online-Portalen eingerichtet, mit den Freiern kommuniziert und Termine ausgemacht haben. Den Frauen aus Bosnien-Herzegowina, Serbien oder Rumänien seien zuvor darüber getäuscht worden, was sie verdienen können und welche Kosten auf sie zukommen.
Stattdessen wurden sie kontrolliert und ausgebeutet. Zehn Freier am Tag hätten die Frauen oft empfangen, durchschnittlich etwa 500 Euro am Tag verdient – aber fast das gesamte Geld wurde ihnen abgenommen, berichtet der Ermittler.
Deal verhindert langes Verfahren
In Konstanz wird die Dimension des internationalen Netzwerks nur gestreift. Daran dass die Angeklagten an diesem System beteiligt waren, bleiben wenig Zweifel. Dennoch war der Prozess nach wenigen Stunden vorbei. Nach einer Verständigung erhielten die zwei Angeklagten eine Bewährungsstrafe: die Frau neun Monate, der Mann zwölf Monate.
Sie haben die Kosten des Verfahrens zu tragen, müssen aber die Taterträge nicht zurückzahlen. Das hatte Staatsanwalt Kulikow noch beantragt und damit die Verteidiger gegen sich aufgebracht. Da die Berechnung in Höhe von mehr als 40.000 Euro auf Schätzungen beruhe, deren Grundlage das Gericht nicht kenne, folgte man dem nicht.
Das Gericht wertete vor allem ihre Geständnisse und die lange Verfahrensdauer strafmildernd für den 47-Jährigen und die 34-Jährige. Insbesondere die Aussagen der Frau hätten den Ermittlern wertvolle Erkenntnisse geliefert.
Denn sie billigte damals den Einfluss von Sado S. auf die Frauen nicht und lieferte weitere Hinweise über die Struktur und beteiligte Personen. Die Aufarbeitung der Machenschaften der United Tribuns dauert noch immer an: Während des Prozesses in Konstanz wurde auch in Villingen-Schwenningen verhandelt.